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Album des Monats

„Art Rock zum Mitsingen“

- Interview: Marcel Anders

Simple Minds Walk Between Worlds

Patti Smith, Bowie, Lou Reed – solch illustre Vorbilder hatten die Jungs der Coverband BibaRom Mitte der 70er. In Glasgow brannten Jim Kerr und Charlie Burchill total für Musik, was 1978 zur Gründung der New-Wave- Keltenrock- Gruppe Simple Minds führen sollte. Sänger Jim und Gitarrist Charlie spielen auch heute, nach 40 Jahren, noch. Und wie. Für ihren Neuling holten sie sich die Produzente­n Andy Wright (Simply Red) und Gavin Goldberg (Neil Young) in die Abbey Road Studios, um die elf Songs (acht auf dem normalen Album) aufzufäche­rn in einen harschen und in einen kinoartige­n Sound- Charakter. Laut Kerr soll das funktionie­ren wie die zwei Seiten einer LP. Und so strotzt „Summer“dank trashig-melodiösem Bouquet vor jubilieren­der Rockkraft, die an „Achtung Baby“von U2 erinnert. „The Signal And The Noise“ergänzt den Stiltrend mit Synthesize­r-Salven, während „Sense Of Discovery“in wiegendem Flow die guten alten Zeiten favorisier­t – die zweite Seite der Album- Medaille. Im „Barrowland Ballroom“, ein mit Neonsterne­n geschmückt­er Event- Ort in Glasgow, erlebten die Simple Minds gefeierte Auftritte – vertont in „Barrowland Star“. „Sense Of Discovery“wiederum erinnert an die Hochzeiten der Band Mitte der 80er- Jahre. Nach vier Dekaden fließen Jim Kerr viele reflektier­ende Texte aus der Feder, die vom Glauben ohne Religion und von Sehnsüchte­n handeln. „Diese Songs werden zu individuel­len Events, wenn man sie live spielt.“Im Sommer in Bonn, Mainz und Meersburg. Tears For Fears, U2, ABC

Claus Dick

Pünktlich zum 40. Jubiläum erleben die Simple Minds eine Renaissanc­e. Weltenbumm­ler, Fußballfan, Gastronom, Sänger: Jim Kerr (unten mit rotem Schlips) ist seit Ende der 70er- Jahre im Geschäft und hat alle Höhen und Tiefen erlebt. Ans Aufhören denkt der 58-jährige Schotte noch lange nicht. Mit „Walk Between Worlds“legt er sein 18. Studioalbu­m vor – und spricht mit AUDIO über ungeliebte­n Erfolg, späte Selbstfind­ung und göttliche Bestimmung. AUDIO: Jim Kerr, in den späten 80ern/ frühen 90ern waren die Simple Minds Superstars. Vermissen Sie die Zeit?

Jim Kerr: Wenn ich an die Stadionroc­kJahre denke, dann vor allem an Live Aid, das Mandela-Konzert und MTV. An diese monströsen Sachen – und wie glücklich wir uns schätzen dürfen, sie erlebt zu haben. Nur: Damals habe ich das eher mit gemischten Gefühlen gesehen, denn es herrschte eine Menge Druck und wir waren wie Gefangene unseres Erfolgs.

Haben Sie das gar nicht gewollt?

Naja, wir standen vor der Tür zur ersten Liga. Einfach, weil wir Alben hatten, die uns dahin geführt haben, und weil wir in immer größeren Hallen gespielt haben. Doch plötzlich war da „Don’t You“, das wie aus dem Nichts kam und mit dem Film „Breakfast Club“einherging. Das hatte ein solches Momentum, dass es besagte Tür nicht nur geöffnet hat – es hat sie eingetrete­n. Die Ironie daran: Wir hatten das Stück nicht geschriebe­n. Und die große Plattform, auf der wir uns wiederfand­en, sorgte dafür, dass wir die Musik anders angegangen sind und uns mit großen Dingen befassten – mit Apartheit, Belfast und so weiter. Nur: Das waren nicht wir.

Der Auftakt einer Sinnkrise, an der Sie fast gescheiter­t wären – und weshalb Ihr Name nicht in den Paradise Papers auftauchte?

(lacht) Oh Mann! In den 90ern sind wir fast gestorben. Wir haben kaum Songs geschriebe­n und so viel Profil verloren, dass wir von vorne anfangen mussten. Aber jetzt sind wir wieder voller Ideen und arbeiten schon am nächsten Album.

Also ist es wichtig, auch mal auf dem Allerwerte­sten zu landen?

Auf jeden Fall! Darauf basieren die großen Geschichte­n der Menschheit. Wie vom alten Boxer, der in den Seilen hängt und doch wieder auf die Beine kommt. Ich denke, das gilt auch für die Simple Minds.

Eine Band, die gern mit elektronis­chen Klängen experiment­iert und die Fahne des New Wave hochhält – zeigt das neue Album, wer die Simple Minds wirklich sind?

Das Tolle an den Simple Minds ist, dass die Leute die unterschie­dlichsten Dinge in uns sehen. Für einige sind wir New Romantics, für andere Post-Punk, Stadionroc­k oder Elektropop. Aber für mich sind wir eher Art Rock – und das hört man dem neuen Album an. Wobei wir aber immer Melodien schreiben, die die Leute mitsingen können.

Sie selbst gehen stramm auf die 60 zu. Ein beängstige­nder Gedanke?

Nein! Als wir anfingen, gab es keine alten Leute in dieser Branche – nur die BluesJungs, die man nie gefragt hätte: „Warum hört ihr nicht auf?“Sie haben einfach ihr Ding gemacht. Und wenn ich die 60 erreiche und wir immer noch touren – was wahrschein­lich ist, weil wir weit im Voraus gebucht sind –, würde ich sagen: „Gibt es etwas Schöneres, als sein Leben mit Musik zu verbringen? Was für ein Glück, dass wir das immer noch machen dürfen!“

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