Test Focal Kanta No. 3
Mit den Fanta 4 kam Hip-Hop nach Deutschland, mit der Kanta No. 3 will uns Frankreich eine Lektion in Savoirvivre erteilen. Focal kann sich dabei den Flachs nicht verkneifen.
Diese Box erteilt eine Lektion in Savoir-vivre. Mit Membranen aus Flachs.
Für gewöhnlich hält Focal seine Lautsprecher durch evolutionäre Verbesserung jung. Doch diesmal gab es eine Radikalkur. Die Electra- Serie läuft aus beziehungsweise wird nur noch in einzelnen Ländern erhältlich sein. Dafür gibt es jetzt die erfrischend neue Kanta- Serie. Die hat zwar keinen direkten Vorgänger, aber zumindest gewisse Vorbilder, was die Technologien der Treiber betrifft, wie man spätestens nach dem Abnehmen der Stoffbespannung sieht. Die inverse Beryllium- Kalotte kennt man im Grundsatz schon aus der Utopie- Reihe, die Flachs- Membranen der Mittel- und Tieftöner aus der Aria- Serie.
Doch Vorsicht: Focal hat mit der Kanta No. 3 nicht einfach einen Remix mit Treibern aus dem Regal auf die Beine gestellt, sondern bestehende Prinzipien an die neue Baureihe angepasst. Das gipfelt in einer Technik- Arie, wie man sie im Lautsprecherbereich nur selten sieht. Nehmen wir den Hochtöner, der im Tal der wie ein futuristischer Telefonhörer gekrümmten, vom restlichen Gehäuse abgesetzten Front angeordnet ist. Es handelt sich hier grundsätzlich um die aus dem seltenen Leichtmetall Beryllium gefertigte Inverskalotte, die sich zum technologischen Imageträger der Franzosen entwickelt hat. Doch hinter der Kalotte geht Focal bei der Kanta No. 3 andere Wege. Angetrieben wird die extrem leichte und steife, dazu resonanzarme Membran nicht wie in der auch preislich extremen Utopia- Serie von einem Ring aus einzelnen Stabmagneten. Bei
der Kanta muss ein Ringmagnet ausreichen. Was das übrige Arbeitsumfeld betrifft, kam es zur Verschmelzung des aus der Sopra- Serie bekannten IAL- Prinzips mit dem IHL aus der Utopia. Das Kürzel IAL steht für „Infinite Acoustic Loading“, IHL für „Infinite Horn Loading“. Im Hochtöner der Kanta No. 3 gibt es zwei Luftströme, die auf der Rückseite der Beryllium- Kalotte abgeleitet und mit Dämmung unterschiedlicher Dichte eliminiert werden. Ein Luftstrom entweicht seitlich zwischen Sicke und Antriebsmagnet, der andere durch eine Kernbohrung. Ziel ist es, rückseitig emittierten Schall zu bedämpfen und zugleich Kompressionseffekte durch einen Luftstau hinter der Membran zu vermeiden. Bowers & Wilkins nutzt dazu die Nautilus-Technologie und rückte das Thema „Dark Side Of The Tweeter“damit in den Fokus anspruchsvoller Musikliebhaber. Übrigens: Wegen der Giftigkeit von Beryllium fertigt Focal seine Kalotte in einem hermetisch abgeschlossenen Raum im eigenen Haus.
Das Ecotextil Flachs
Das Thema Flachs kennen aufmerksame AUDIO- Leser schon eine ganze Weile. In der Kanta- Serie nutzt Focal dieses „Ecotextil“in einer neuen Kombination, welche die Franzosen zum Patent angemeldet haben. Die Mittel- und TieftonMembranen bestehen aus drei Lagen, deren Stärke und Dichte an die Erfordernisse des jeweiligen Übertragungsbereichs angepasst wurden. Die oberste Lage besteht aus Hohlfaser mit einer durchschnittlichen Dichte von 1,54 g/m bei einem Durchmesser von 20 Mikrometer. Dahinter folgt ein Elastizitätsmodul, dessen Eigenschaften laut Focal ähnlich wie Kevlar mit einer Zugfestigkeit vergleichbar mit Kohlefaser sein sollen. Für gute Dämpfung sorgt die unterste Schicht aus einem Gewebe, das zu
80 Prozent aus Zellulose besteht. Damit die Sicke keine Zicken macht, wurde sie mit dem „Tuned Mass Damper“( TMD) ruhiggestellt, bekannt unter anderem aus der Scala Utopia Evo (AUDIO 11/18). Mit zwei kleinen, kreisförmigen Wülsten, die als zusätzliche Massen wirken und entgegen der Resonanzfrequenz der Sicke schwingen, will Focal einen gleichmäßigen Frequenzverlauf zwischen 1000 und 3000 Hz, eine verringerte Eigenresonanz der Sicke und eine Reduzierung von Treiber-Verzerrungen erreichen. Darüber hinaus spendierte Focal seinen Treibern NIC. Der „Neutral Inductance Circuit“nutzt einen FaradayRing am Boden des Polkerns – das Ergebnis umfangreicher Simulationen am Computer, mit denen die Entwickler eine konstante Flussdichte im Magnetspalt erreichen wollen, um Kompressionseffekte und Verzerrungen zu vermindern. Gewöhnlich beeinflussen die Position der Schwingspule und die Frequenz des sie durchfließenden Wechselstroms auch das Magnetfeld des Permanentmagneten in einem konventionellen Motorsystem. Focals Kunstgriff soll 3 bis 5 Prozent weniger Klirr in den Mitten bescheren. Auch die Gehäuse sollen einen Beitrag zur Minderung von Klangbeeinträchtigungen leisten. Das Ziel der Kanta- Boxen war es, eine vergleichba- re Steifigkeit wie bei der Utopia- oder Sopra- Serie zu erreichen, aber gleichzeitig den Treibern im Verhältnis zu den Abmessungen mehr Volumen zu bieten. Das erreichte Focal mit einem geschwungen Gehäusekorpus aus Schichtholz mit aufgesetzter High- Density- Polymer- Front (steifer und besser bedämpft als MDF) mit Ausformung für den zum Ausgleich von Phasenunterschieden nach hinten versetzten Hochtöner. Das Ganze ruht auf Druckguss-Standfüßen mit von oben verstellbaren Edelstahlspikes. Die neuen Gehäuse, deren Fronten in je vier hochglänzenden und matten Lackierungen erhältlich sind, dienen nicht nur der Akustik. Die in SaintÉtienne handwerklich aufwendig gefertigten Boxen sehen grandios aus. Kein Vergleich zu den Faltschachteln aus Fernost, die inzwischen auch höhere Preisregionen erobern.
MAGNETSYSTEME AUS DEM COMPUTER
Klang-Ra finess e
Der Klang der Kanta No. 3 war am Ende keine Überraschung. Die größte Standbox der neuen Linie folgte der Philosophie des Hauses: Sie vereinte ein Höchstmaß an Neutralität mit impulsiver Spielfreude. Mit ihrer äußerst spritzigen, frischen und mitreißenden Art und ihrem tiefen, satten Bass eignet sich die neue Focal auch für Rock und Pop. Doch das können in diesem Preisbereich auch viele andere sehr gut. Um die besondere Raffinesse der Kanta No. 3 gebührend zu würdigen, sollte man ihr folglich Klassik servieren. Kaum zu glauben, was sie mit Choraufnahmen an Differenzierungsvermögen und Raumeindruck vermittelte oder was sie mit Klavier an Attacke und an Präzision im Ausschwingen der einzelnen Noten bot. Streichern spendierte sie gar einen Extrahauch an Frische, wirkte dabei aber zu keiner Zeit hart.