48 T Test Atoll IN 400 SE
Comeback eines Außenseiters: Die Special Edition des Atoll IN 400 ist einsam, aber schneller. Die Franzosen haben ihren Top-Amp aufgewertet – das strafft Charme und Fitness.
Nach langer Bauzeit ersetzt Atoll den IN 400 durch eine Special Edition (SE)
Die Älteren unter uns verbinden mit der Begriffskombination „Atoll“und „Frankreich“fast zwangsläufig die in den 60ern und 70ern heftig diskutierten Atomversuche auf dem Mururoa- Atoll im Südpazifik. Wenig diskutiert wird immer noch die friedliche Entfesselung von Höllenkräften durch französische Forscher – etwa in den Verstärkern der Marke Atoll. Das soll sich jetzt ändern. Keine Sorge, nichts liegt uns ferner, als mit „The German Angst“zu spielen. Die Franzosen haben auch in die Special Edition ihres formidablen Vollverstärkers IN 400 keinen winzigen Wasserstoffreaktor eingebaut. Aber er entwickelte im Hörtest eine Energie, die diesen Ver-
dacht fast nahelegte. Grund genug, uns auf die Suche nach den Besonderheiten der SE-Version zu machen und zu erforschen, was sich im Vergleich zum Vorgänger geändert hat. Der IN 400 SE kommt nicht als Ergänzung zu dem in AUDIO 1/12 getesteten IN 400. Er löst ihn nach langer Bauzeit ab, weshalb man Special Edition genauso gut Second Edition nennen könnte. Mit seinem bei Insidern beliebten Vorgänger verbindet ihn eine Besonderheit, die ihn von seinen kleineren Brüdern IN 200 und IN 100 unterscheidet: Beim Flaggschiff unter den Vollverstärkern des Hauses sitzen die je vier Endtransistoren für die positive Halbwelle jedes Kanals auf einer Metallschiene, die von vorne bis fast an die Rückwand reicht. Damit soll eine gleichmäßigere Temperaturverteilung innerhalb der beiden spiegelbildlich links und rechts im Gehäuse angeordneten Ausgangsstufen gewährleistet werden. In den anderen Amps sitzt jeder Endstransistor auf einem eigenen Kühlkörper, was den Verzicht auf Isolatoren zwischen Transistor und seiner leitfähigen Montagefläche erlaubt. Das ist ein Kompromiss: Was der Ableitung von Vibrationen und dem mikrothermischen Verhalten dient, schadet dem Temperaturausgleich zwischen den Endtransistoren für identische Arbeitsbedingungen. Im IN 400 SE verwendet Atoll jetzt spezielle, besonders teure Glimmmer
plättchen mit optimalem elektrostatischem Verhalten, um sämtliche Zielkonflikte noch überzeugender zu lösen.
Simply FET
Wie üblich bei den Franzosen baut die Ausgangsstufe des IN 400 SE auf Mosfets auf, die besonders flink schalten. In Verbindung mit der extrem niedrigen Gegenkopplung fördert das röhrenähnlichen Klang. Die Gegenkopplung wurde zwar überarbeitet, sie blieb aber weiter niedrig, um eine röhrenähnliche Klirrverteilung zu erreichen; die große Bandbreite der Ausgangsstufe dient der schnellen Impulsverarbeitung. Der Speed der Mosfets wird also durch das geringe negative Feedback in der Ausgangsstufe ideal umgesetzt. Um möglicher Schärfe entgegenzuwirken, steuern die um Ausgewogenheit bemühten Franzosen die Leistungsstufe mit einer klassischen Darlington- Schaltung in der Treiberstufe an. Ganz offensichtlich schwebte ihnen eine Art Powerplay- Röhre als Klangideal vor, was mit strammen 2 x 280 Watt Sinus an 4 Ohm überzeugend gelang – auch wenn unser damaliger IN 400 den Widerständen sogar mit 294 Watt pro Kanal einheizte. Auf starre Regelungen verzichtet Atoll auch im Netzteil. Damit das Netzteil an komplexen Lasten trotzdem nicht gleich in die Knie geht, wurde das mit einem Ringkerntrafo bestücke Netzteil einfach auf 1015 VA ausgelegt, sprich überdimensioniert. Eine Formel, die aufgeht, wie die unverändert hohe AUDIO- Kenn zahl 72 und der tadellose Stabilitätswürfel zeigen. In der Stromversorgung vertraut die 1997 von den Brüdern Stéphane und Emmanuel Dubreuil gegründete Marke auf ein üppiges Reservoir mit neuen, speziell für sie gefertigten und extrem schnellen Pufferkondensatoren, um eine Gesamtkapazität von 93 400 μF zu erzielen. Wie üblich setzten die Konstrukteure auf Parallelschaltung mehrerer kleiner Siebkondensatoren im Netzteil. Dadurch lassen sich parasitäre Eigenschaften wie Induktivität (ESL) und Ersatzserienwiderstand (ESR) gegen
über größeren Kondensatoren gleicher Kapazität drastisch vermindern. In den Doppel- Mono-Audio-Schaltungen kommen im IN 400 SE darüber hinaus als Koppelkondensatoren hochwertige Clarity Caps aus England zur Anwendung. Die elektronische Laustärkeregelung wurde über ein R2RLeiternetzwerk von Widerständen realisiert. Dabei übernimmt der Lautstärkeregler weitere Funktionen. Das erste Drücken schaltet das Gerät ein, Drehen justiert die Lautstärke, erneutes Drücken des Knopfes ergibt einen Wechsel ins Einstellmenü: einmal für Balance, zweimal für die Farbe der Beleuchtung. Das große monochrome Display unterstützt die Bedienung des Verstärkers, der dank Infrarot- Fernbedienung mit lediglich zwei Knöpfen auskommt. Des- sen geschwungenes Gehäuse aus massivem Aluminium hebt ihn erfrischend von der Masse ab und fügt sich mit dem kompakteren CD- Player Atoll CD 400 huckepack zu einer skulptural anmutenden HiFi- Kombination zusammen. Mit der Systemfernbedienung lassen sich dann beide Geräte steuern. Wer unter Umgehung der Vorstufe direkt auf die Endstufensektion zugreifen möchte, findet dafür einen Bypass- Eingang auf der Rückseite. Darüber hinaus gibt es zwei weitere vergoldete Cinch- Buchsen- Paa- re, mit denen sich der Atoll IN 400 SE zum Ansteuern von Endstufen oder Subwoofern verwenden lässt. Abgesehen davon gibt es ein Goodie für PC- Affine: Über einen rückseitigen USB- B- Eingang kann der Benutzer einen Computer an den Verstärker anschließen und ihn als externe Soundkarte nutzen. Wer seine Digital- Audio- Quelle über S/ PDIF anschließen möchte, bekommt von Atoll ein DigitalBoard mit Burr Brown PCM 1744 – einem Delta-Sigma- DAC für Auflösungen bis zu 24 Bit/ 96 kHz. Durch Einstecken verwandelt es den AUX- Eingang in einen koaxialen DigitalEingang. Doch es geht auch drahtlos mit dem Wireless- Modul von Atoll, das über ein USB- Dongle drahtloses Streamen vom Rechner in CD- Qualität gestattet.
Analog, digital, freie wahl
Doch Atoll vergisst auch die Analogis, nicht, die sich aber entscheiden müssen. Sie können statt der Digitalplatinen den AUX- In mit Phono P50 oder dem Phono P100 in eine Phono- Sektion für MModer MC-Tonabnehmer verwandeln.
Der TG V der Amps
So vielseitig, wie sich der IN 400 SE in der Nutzung zeigte, so universell gab er sich in Verbindung mit unterschiedlichen Lautsprechern und Musikarten. Seine Grundtugenden stachen unabhängig davon immer heraus: Der Atoll erwies sich als äußerst zackig. Er reagierte vehement auf Impulse, zeigte eine exzellente Fein- und Grobdynamik. Das Timing des breitbandigen Amps war ebenso atemberaubend wie punktgenau. Diese Gruppe hervorstechender Charaktereigenschaften lassen sich im weitesten Sinne mit Begriffen wie Speed und Power zu- sammenfassen. Doch es gab noch einen weiteren Eckpfeiler der mitreißenden Darbietung. Und der heißt Stabilität – Stabilität in der Abbildung und im Bass. Der Atoll schob unten an, mit einer Fülle und einer Unnachgiebigkeit, dass akustische Trommeln, Pauken oder Bassdrums im Hörraum eindrucksvoll Gestalt annahmen. Doch auch harte Beats aus dem Computer wie bei Eminems neuem Überraschungsalbum „Kamikaze“(„The Fall“) waren vom Punch und der Präzision her auf dem Punkt. Stimmen wirkten luftig frisch, aber ohne Schärfe, so wie eine der milderen Sorten von Fisherman‘s Friends. Der charmante Franzose zeigte zwar die Luftigkeit von Röhren, aber nicht deren typische Wärme. Deshalb harmonierte er am besten mit Boxen, die nicht gerade ihren Hightech- Super-Tweeter demonstrativ zur Schau stellen müssen.