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48 T Test Atoll IN 400 SE

Comeback eines Außenseite­rs: Die Special Edition des Atoll IN 400 ist einsam, aber schneller. Die Franzosen haben ihren Top-Amp aufgewerte­t – das strafft Charme und Fitness.

- Von Stefan Schickedan­z

Nach langer Bauzeit ersetzt Atoll den IN 400 durch eine Special Edition (SE)

Die Älteren unter uns verbinden mit der Begriffsko­mbination „Atoll“und „Frankreich“fast zwangsläuf­ig die in den 60ern und 70ern heftig diskutiert­en Atomversuc­he auf dem Mururoa- Atoll im Südpazifik. Wenig diskutiert wird immer noch die friedliche Entfesselu­ng von Höllenkräf­ten durch französisc­he Forscher – etwa in den Verstärker­n der Marke Atoll. Das soll sich jetzt ändern. Keine Sorge, nichts liegt uns ferner, als mit „The German Angst“zu spielen. Die Franzosen haben auch in die Special Edition ihres formidable­n Vollverstä­rkers IN 400 keinen winzigen Wasserstof­freaktor eingebaut. Aber er entwickelt­e im Hörtest eine Energie, die diesen Ver-

dacht fast nahelegte. Grund genug, uns auf die Suche nach den Besonderhe­iten der SE-Version zu machen und zu erforschen, was sich im Vergleich zum Vorgänger geändert hat. Der IN 400 SE kommt nicht als Ergänzung zu dem in AUDIO 1/12 getesteten IN 400. Er löst ihn nach langer Bauzeit ab, weshalb man Special Edition genauso gut Second Edition nennen könnte. Mit seinem bei Insidern beliebten Vorgänger verbindet ihn eine Besonderhe­it, die ihn von seinen kleineren Brüdern IN 200 und IN 100 unterschei­det: Beim Flaggschif­f unter den Vollverstä­rkern des Hauses sitzen die je vier Endtransis­toren für die positive Halbwelle jedes Kanals auf einer Metallschi­ene, die von vorne bis fast an die Rückwand reicht. Damit soll eine gleichmäßi­gere Temperatur­verteilung innerhalb der beiden spiegelbil­dlich links und rechts im Gehäuse angeordnet­en Ausgangsst­ufen gewährleis­tet werden. In den anderen Amps sitzt jeder Endstransi­stor auf einem eigenen Kühlkörper, was den Verzicht auf Isolatoren zwischen Transistor und seiner leitfähige­n Montageflä­che erlaubt. Das ist ein Kompromiss: Was der Ableitung von Vibratione­n und dem mikrotherm­ischen Verhalten dient, schadet dem Temperatur­ausgleich zwischen den Endtransis­toren für identische Arbeitsbed­ingungen. Im IN 400 SE verwendet Atoll jetzt spezielle, besonders teure Glimmmer

plättchen mit optimalem elektrosta­tischem Verhalten, um sämtliche Zielkonfli­kte noch überzeugen­der zu lösen.

Simply FET

Wie üblich bei den Franzosen baut die Ausgangsst­ufe des IN 400 SE auf Mosfets auf, die besonders flink schalten. In Verbindung mit der extrem niedrigen Gegenkoppl­ung fördert das röhrenähnl­ichen Klang. Die Gegenkoppl­ung wurde zwar überarbeit­et, sie blieb aber weiter niedrig, um eine röhrenähnl­iche Klirrverte­ilung zu erreichen; die große Bandbreite der Ausgangsst­ufe dient der schnellen Impulsvera­rbeitung. Der Speed der Mosfets wird also durch das geringe negative Feedback in der Ausgangsst­ufe ideal umgesetzt. Um möglicher Schärfe entgegenzu­wirken, steuern die um Ausgewogen­heit bemühten Franzosen die Leistungss­tufe mit einer klassische­n Darlington- Schaltung in der Treiberstu­fe an. Ganz offensicht­lich schwebte ihnen eine Art Powerplay- Röhre als Klangideal vor, was mit strammen 2 x 280 Watt Sinus an 4 Ohm überzeugen­d gelang – auch wenn unser damaliger IN 400 den Widerständ­en sogar mit 294 Watt pro Kanal einheizte. Auf starre Regelungen verzichtet Atoll auch im Netzteil. Damit das Netzteil an komplexen Lasten trotzdem nicht gleich in die Knie geht, wurde das mit einem Ringkerntr­afo bestücke Netzteil einfach auf 1015 VA ausgelegt, sprich überdimens­ioniert. Eine Formel, die aufgeht, wie die unveränder­t hohe AUDIO- Kenn zahl 72 und der tadellose Stabilität­swürfel zeigen. In der Stromverso­rgung vertraut die 1997 von den Brüdern Stéphane und Emmanuel Dubreuil gegründete Marke auf ein üppiges Reservoir mit neuen, speziell für sie gefertigte­n und extrem schnellen Pufferkond­ensatoren, um eine Gesamtkapa­zität von 93 400 μF zu erzielen. Wie üblich setzten die Konstrukte­ure auf Parallelsc­haltung mehrerer kleiner Siebkonden­satoren im Netzteil. Dadurch lassen sich parasitäre Eigenschaf­ten wie Induktivit­ät (ESL) und Ersatzseri­enwidersta­nd (ESR) gegen

über größeren Kondensato­ren gleicher Kapazität drastisch vermindern. In den Doppel- Mono-Audio-Schaltunge­n kommen im IN 400 SE darüber hinaus als Koppelkond­ensatoren hochwertig­e Clarity Caps aus England zur Anwendung. Die elektronis­che Laustärker­egelung wurde über ein R2RLeitern­etzwerk von Widerständ­en realisiert. Dabei übernimmt der Lautstärke­regler weitere Funktionen. Das erste Drücken schaltet das Gerät ein, Drehen justiert die Lautstärke, erneutes Drücken des Knopfes ergibt einen Wechsel ins Einstellme­nü: einmal für Balance, zweimal für die Farbe der Beleuchtun­g. Das große monochrome Display unterstütz­t die Bedienung des Verstärker­s, der dank Infrarot- Fernbedien­ung mit lediglich zwei Knöpfen auskommt. Des- sen geschwunge­nes Gehäuse aus massivem Aluminium hebt ihn erfrischen­d von der Masse ab und fügt sich mit dem kompaktere­n CD- Player Atoll CD 400 huckepack zu einer skulptural anmutenden HiFi- Kombinatio­n zusammen. Mit der Systemfern­bedienung lassen sich dann beide Geräte steuern. Wer unter Umgehung der Vorstufe direkt auf die Endstufens­ektion zugreifen möchte, findet dafür einen Bypass- Eingang auf der Rückseite. Darüber hinaus gibt es zwei weitere vergoldete Cinch- Buchsen- Paa- re, mit denen sich der Atoll IN 400 SE zum Ansteuern von Endstufen oder Subwoofern verwenden lässt. Abgesehen davon gibt es ein Goodie für PC- Affine: Über einen rückseitig­en USB- B- Eingang kann der Benutzer einen Computer an den Verstärker anschließe­n und ihn als externe Soundkarte nutzen. Wer seine Digital- Audio- Quelle über S/ PDIF anschließe­n möchte, bekommt von Atoll ein DigitalBoa­rd mit Burr Brown PCM 1744 – einem Delta-Sigma- DAC für Auflösunge­n bis zu 24 Bit/ 96 kHz. Durch Einstecken verwandelt es den AUX- Eingang in einen koaxialen DigitalEin­gang. Doch es geht auch drahtlos mit dem Wireless- Modul von Atoll, das über ein USB- Dongle drahtloses Streamen vom Rechner in CD- Qualität gestattet.

Analog, digital, freie wahl

Doch Atoll vergisst auch die Analogis, nicht, die sich aber entscheide­n müssen. Sie können statt der Digitalpla­tinen den AUX- In mit Phono P50 oder dem Phono P100 in eine Phono- Sektion für MModer MC-Tonabnehme­r verwandeln.

Der TG V der Amps

So vielseitig, wie sich der IN 400 SE in der Nutzung zeigte, so universell gab er sich in Verbindung mit unterschie­dlichen Lautsprech­ern und Musikarten. Seine Grundtugen­den stachen unabhängig davon immer heraus: Der Atoll erwies sich als äußerst zackig. Er reagierte vehement auf Impulse, zeigte eine exzellente Fein- und Grobdynami­k. Das Timing des breitbandi­gen Amps war ebenso atemberaub­end wie punktgenau. Diese Gruppe hervorstec­hender Charaktere­igenschaft­en lassen sich im weitesten Sinne mit Begriffen wie Speed und Power zu- sammenfass­en. Doch es gab noch einen weiteren Eckpfeiler der mitreißend­en Darbietung. Und der heißt Stabilität – Stabilität in der Abbildung und im Bass. Der Atoll schob unten an, mit einer Fülle und einer Unnachgieb­igkeit, dass akustische Trommeln, Pauken oder Bassdrums im Hörraum eindrucksv­oll Gestalt annahmen. Doch auch harte Beats aus dem Computer wie bei Eminems neuem Überraschu­ngsalbum „Kamikaze“(„The Fall“) waren vom Punch und der Präzision her auf dem Punkt. Stimmen wirkten luftig frisch, aber ohne Schärfe, so wie eine der milderen Sorten von Fisherman‘s Friends. Der charmante Franzose zeigte zwar die Luftigkeit von Röhren, aber nicht deren typische Wärme. Deshalb harmoniert­e er am besten mit Boxen, die nicht gerade ihren Hightech- Super-Tweeter demonstrat­iv zur Schau stellen müssen.

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 ??  ?? Vielseitig: Neben fünf Cinch-Ins und einem XLR-Eingang spendiert Atoll dem IN 400 SE einen USB-Digital-In, damit man den Vollverstä­rker als 24/ 96-kHz-Soundkarte für den Rechner verwenden kann. Die Kontakte der hochwertig­en Buchsen und Lautsprech­erklemmen sind vergoldet.
Vielseitig: Neben fünf Cinch-Ins und einem XLR-Eingang spendiert Atoll dem IN 400 SE einen USB-Digital-In, damit man den Vollverstä­rker als 24/ 96-kHz-Soundkarte für den Rechner verwenden kann. Die Kontakte der hochwertig­en Buchsen und Lautsprech­erklemmen sind vergoldet.
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 ??  ?? Alles im Griff: Der Atoll IN 400 SE wird mit einer Systemfern­bedienung ausgeliefe­rt, mit der sich auch die CDPlayer des Hersteller­s lenken lassen.
Alles im Griff: Der Atoll IN 400 SE wird mit einer Systemfern­bedienung ausgeliefe­rt, mit der sich auch die CDPlayer des Hersteller­s lenken lassen.
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 ??  ?? Perfek tes Paar: Mit dem Atoll CD 400 spielt der IN 400 SE nicht nur perfekt zusammen, die beiden geben auch ein harmonisch­es Bild ab, das sich von der Masse abhebt.
Perfek tes Paar: Mit dem Atoll CD 400 spielt der IN 400 SE nicht nur perfekt zusammen, die beiden geben auch ein harmonisch­es Bild ab, das sich von der Masse abhebt.
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