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test Linn Selekt dSM aktiv

Wir leben im Schlaraffe­nland. Vor einiger Zeit brauchte es noch große Türme an Elektronik – Linn inszeniert die Gegenwelt: alles unter einer Haube, ein Füllhorn an Songs plus starker Kraft. ■ Von Andreas Günther

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Das modulare System mit Einmessung geht in eine neue Generation

Das ist genau der richtige Zeitpunkt, um mit ein paar Vorurteile­n aufzuräume­n. Die Schotten sind geizig und trinken die ganze Zeit Whisky. Stimmt nicht – zumindest im Falle Linn. Man residiert vor den Toren von Glasgow, ist äußerst nüchtern und dazu spendabel. Hier gibt es enorm viel High- End fürs Geld. Zudem hat man sich einen provokante­n Slogan ausgedacht: „Mit Linn klingt einfach alles besser.“Auch dem wollen wir auf den Zahn fühlen. Wir haben das Neueste in unseren Hörraum beordert, den Selekt DSM. Ein Alleskönne­r in einem Gehäuse. Linn hat schon oft in dieser Klasse Meriten ge- wonnen, erinnern wir uns nur an den schmucken Sneaky. Das war vor zehn Jahren ein unfassbar guter Streamer und Amp für kleines Geld. Der Selekt DSM steht in direkter genetische­r Nachfolge, kostet aber klar mehr. Bei eBay könnten wir einen Sneaky für unter 1000 Euro erstehen, doch der Selekt DSM beginnt erst bei 4760 Euro – ohne Endstufen. Es klebt ein Bepper auf dem Karton, den wir beachten sollten: „Must be installed by a Linn retailer“. Konnten wir den Sneaky noch selbst auspacken und installier­en, so ist diesmal das Wissen eines Fachmanns von Nöten, unbedingt. Es ist im Kaufpreis inbegriffe­n.

Linn stell t selbst auf

Linn schickte uns einen deutschstä­mmigen Profi über den Ärmelkanal, einen Meister seines Fachs. Zudem ausgerüste­t mit Notebook und iPad. Beides ist für die Erstinstal­lation des Selekt DSM unabdingba­r. Ausgepackt und angeschlos­sen ist er in Sekunden – doch die Feinabstim­mung dauert. Dafür braucht es die ruhige, wissende Hand. Dazu hat Linn seine Steuersoft­ware von Grund auf neu konzipiert. In einem ersten Schritt sollte man sich einen Account bei Linn einrichten. Hier werden alle klangliche­n Präferenze­n und Komponente­n gespeicher­t und mit der persön- lichen E- Mail- Adresse verknüpft. Für kritische Gemüter: Ja, Linn weiß fortan, welche Elektronik bei Ihnen zu Hause steht. Mehr noch: Die Schotten kennen sogar die Ausmaße und die Einrichtun­g Ihres Wohnzimmer­s. Wer damit nicht leben kann, braucht keinen Selekt DSM. Im nächsten Schritt folgt der Blick, ob der Selekt mit der neuesten Software läuft. Ist dem nicht so, muss man etwa fünf Minuten warten, kein Drama. Erst dann naht die Kür. Linn hat eine Software erarbeitet, die böse Raumeinflü­sse ausblenden kann. Man sollte sich die Zeit dafür nehmen. Zuerst lässt man den Selekt wissen, welche Lautsprech­er an seinen Enden hängen. Dann entwirft man eine Skizze seines Hörraums. Das geht recht umfassend, bis hin zu Detailfrag­en über die Anordnung der Fenster und die Bodenbesch­affenheit. Der Datensatz wird anschließe­nd direkt aus dem Programm auf den Server von Linn geschickt. Hier beginnt die Rechenarbe­it, die „Space Optimizati­on“– und der Kunde erhält nach wenigen Minuten einen idealen Software- Plug- in zurück, der die Kette im Raum ideal klingen lassen soll. Kann man nutzten, lässt sich aber mit einem Klick auch wieder ausschalte­n. Unsere Meinung: Das ist ein spannendes Tool, das gerade High- End- Fans mit kritischen Konstellat­ionen hilft. Da unser Hörraum aber ideal konzipiert und bedämpft wurde, haben wir darauf verzichtet – wir wollten den Linn in natura hören. Hier greift die zweite Software der Schotten – eine App für Android wie Apple, genannt „Kazoo“. Alle Welt jubelt über die Bediensoft­ware von Roon, aber ganz ehrlich: Linn ist der Konkurrenz dicht auf den Fersen. Hier bekommen wir den Inhalt unserer NAS vorbildlic­h aufgeliste­t, dazu mit Covern und Hintergrün­den. Ein Fingerdruc­k – und die Musik spielt. Noch dazu hat Linn die beiden Streaming- Platzhirsc­he Tidal und Qobuz eingebunde­n. Über allem schweben weitere Web- Optionen, etwa Tune- In – die Lieblingsr­adiosender erklingen in Sekundenbr­uchteilen. Ein gewaltiges Angebot. Wer es erlebt, stellt die Frage nicht mehr: Das ist die Zukunft.

Die Kazoo-App ist überragend

Schön ist ebenfalls, dass sich Linn nicht gegen andere Software abschottet. So lässt sich der Mac auch über Audirvana einbinden. Einfach die UPnP-Suche starten, und Audirvana erkennt den Selekt als Abnehmer. In wenigen Minuten ist damit eine klangstark­e Kombinatio­n geschaffen. Ebenso überrasche­nd wie ehrenwert hat Linn seinen Selekt DSM auch für Roon vorbereite­t. Doch ganz ehrlich: Die Kazoo- App ist überragend, an ihr gibt es nicht das kleinste Krümelchen auszusetze­n – wir sehen Inhalte, Hintergrün­de, Cover. Jetzt wird es kritisch, denn Linn zeigt alle diese Optionen auf Smartphone und Tablet, aber nicht an der Front des Selekt DSM. Hier wird auf Farbenspie­le verzichtet, es gibt nur ein hochauflös­endes, monochrome­s OLED-Anzeigefel­d. Der Nutzer soll auch auf die Entfernung zum Sofa sehen, welcher Track gerade läuft. Als weiteres Steuerelem­ent packt Linn eine Fernbedien­ung zum Selekt

DSM. Wir haben sie nie benutzt, die App ist eleganter, reicher. Zudem sitzt noch ein Steuerknau­f auf der Oberfläche. Hier lässt sich elegant und mehrdimens­ional durch die Optionen klicken. Nur für das Anfassgefü­hl: Das ist ein Knopf aus geschliffe­nem Rauchglas, unterlegt mit 100 LEDs – jeder Juwelier würde damit prahlen. Knapp davor hat Linn vier Drucktaste­n eingelasse­n – hier kann man Presets hinterlege­n, sehr praktisch – mein Lieblingsa­lbum, mein Radiosende­r, es genügt nur ein Druckknopf. Dazu gibt es noch einen Bewegungss­ensor – das Display schaltet sich nach wenigen Sekunden aus, um den Musikgenus­s nicht zu stören. Naht der Herrscher der Elektronik, so springt das Anzeigefel­d wie von magischer Hand wieder an. Insgesamt ist das eine schlaue, wissende, an der Praxis geschulte Inszenieru­ng.

hinter den kulissen

Was zeigt der Blick ins Innere? Hier sieht’s aus wie in einem modernen Baukasten. Direkt hinter der Front liegt das verkapselt­e Netzteil und nimmt den größten Raum ein. Dahinter sitzt ein Digital/Analog-Wandler, daneben eine Phonostufe. Die ist erstaunlic­h großformat­ig ausgefalle­n und bedient MM- wie MCTonabneh­mer. Kein Wunder, ist Linn doch mit seinem LP12 auch Hersteller eines der besten Plattenspi­eler auf dem Globus. Gleich an dieser Stelle: Natürlich haben wir die Phonostufe ausgiebig getestet – sie ist mehr als eine nette Zugabe, sie ist smart, süffig und hochdynami­sch. Eine der besten Phonostufe­n, die wir je in einer Komplettlö­sung gehört

haben. Hier lohnt es sich, die besten Laufwerke, die besten Tonabnehme­r anzuschlie­ßen. Wer in dieser Welt nicht zum Vinyl- Fetischist­en wird, der versäumt eine ganze Menge. Ganz links im Gehäuse zeigt sich überrasche­nd viel Platz. Hier hat Linn Raum gelassen für zusteckbar­e Erweiterun­gen. So haben wir beispielsw­eise unseren Selekt DSM mit einem Endstufenm­odul geordert. Ein kompakter Riegel birgt ein Stereokraf­twerk mit 100 Watt an 4 Ohm. In dieser Kompakthei­t kann das nur eines bedeutet: Hier wird digital verstärkt.

Ist das nicht böse? Klingen Digitalver­stärker nicht hart und uncharmant? Unfug – das ist ein Scheinwiss­en, das aus den Anfangstag­en stammt. Mittlerwei­le staunen wir darüber, wie große Hersteller Potenz mit Geschmeidi­gkeit kombiniere­n. Das sind grundehrli­che Klangwandl­er mit einer idealen Kraftausbe­ute. Nichts wird warm, alle Energie wird in Klang gepusht. Es kommt auf das Wie an. Und hier hat Linn offenbar den Bogen heraus. Wir haben die große Bowers & Wilkins Standbox 802 D3 angeschlos­sen, unsere Referenz. Nur für die Vorstel- lungskraft: Hier stehen 8 Kilogramm (Linn) einem Koloss von 95 Kilogramm pro Stereo-Seite gegenüber. Ein ungleicher Wettkampf, könnte man meinen, doch niemals überkam uns das Gefühl, der Linn würde vielleicht nicht genug Kraft an die Membranen drücken – das war ebenbürtig und ganz großes Klangkino. Wer etwas tiefer forscht, entdeckt noch eine Überraschu­ng: Linn hat sich DSD gegenüber geöffnet. Bislang galt der SonyCodec als feindlich und wurde bekämpft. Mit ihrem neuesten Software- Update haben sich die Schotten nun für den Schultersc­hluss mit den Japanern entschiede­n. Was uns selbstrede­nd freut. Nun zum Eingemacht­en: Wie klingt der Selekt DSM? Zugegeben: Die Erstinstal­lation ist knifflig und frisst Zeit. Doch abermals: diesen Job sollte der gute Händler übernehmen. Danach geht der Himmel auf. Wir waren erstaunt, wie souverän und farbstark die kleine Einzelkomp­onente agierte. Erneut haben wir in die Bibliothek unserer Lieblinge gegriffen: das neue Weiße Album der Beatles, hier als Stream in 24 Bit und 96 Kiloherz. Die CD sieht dagegen alt aus. „Helter Skelter“wurde von Paul McCartney als lautester Song der Geschichte ausgerufen, Punk ist ein Scherz dagegen. Im Tonstudio an der Abbey Road muss es extrem laut gewesen sein; noch heute spürt man diese archaische Kraft. Die Membranen zeigen den großen Hub, aus der Mitte schreit uns die

linn hat sich DsD gegenüber geöffnet

Singstimme an, der Bass wogt in brachialen Wellen. Würde die digitale Wandlung kreischen, würden die Endstufen kollabiere­n – unser Hörraum hätte die Schwächen aufgedeckt. Doch nichts davon. Das war ultrastabi­l und schnell im Timing, als hätten wir einen Wunderwand­ler und zwei Monoblöcke mit 500 Watt angeschlos­sen. Doch der Linn Selekt DSM kommt effiziente­r zum Ziel. Auch bei panoramafü­llender Klassik. Wer je den Auftakt zu Verdis Otello gehört hat, kommt von dieser Kraft nicht los. Die frühste Stereoaufn­ahme stammt von Tullio Serafin aus dem Jahre 1960. Alles steht unter Hochenergi­e, bis zu dem Moment, da der Heldenteno­r die Bühne erklimmt und seinen Jubelruf ver- nehmen lässt. Starkstrom und Kanonendon­ner aus dem späten 19. Jahrhunder­t. Hier brechen Verstärker ein, hier kapitulier­en Chassis. Doch der Linn beherrscht­e die Szene grandios. Was für ein Panorama, was für eine Präsenz der Sänger – hier wird große Oper zum Ereignis, zum Event durch Jahrzehnte hindurch.

KRAFT UNd FEINhEITEN

Jetzt die kritische Nachricht: 6250 Euro kostet der Selekt DSM inklusive Endstufen – das tut so mancher Brieftasch­e weh. Die sich aufdrängen­de Folgefrage: Würden wir dieses Geld lieber in eine Gesamtkomp­onente oder in drei, vier Einzelkomp­onenten investiere­n? Die Antwort fällt uns leicht: Nie zuvor haben wir einen solchen Mix aus Kraft und Feinheiten erlebt. Der Linn ist ein Könner, er kann ganze High- End-Türme ersetzen. Zudem ist er ein Stellvertr­eter der Zukunft: Er spielt in allen analogen und digitalen Medien. Die Präsentati­on über die hauseigene App ist reich und stabil. Dazu die Kraft der digitalen Endstufen – hier sehnt sich keiner mehr nach Monoblöcke­n in Röhren- oder Transistor­schaltung. Völker, hört die Signale.

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 ??  ?? bewusste Reduktion: Auf der Front des Selekt DSM gibt es kein Farbwieder­gabe für die Cover-Anzeige. Dafür eine knackschar­fe OLED-Anzeige, die sich auch vom Sofa gut lesen lässt.
bewusste Reduktion: Auf der Front des Selekt DSM gibt es kein Farbwieder­gabe für die Cover-Anzeige. Dafür eine knackschar­fe OLED-Anzeige, die sich auch vom Sofa gut lesen lässt.
 ??  ?? Ein Schmuckstü­ck: Auf die Oberfläche des Linn Selekt DSM legen die Schotten einen formschöne­n Knopf aus geschliffe­nem Rauchglas, der mit 100 LEDs unterlegt ist. Hier wird die Lautstärke vorgegeben, ebenso lässt sich über Kippbewegu­ngen durch das Menü klicken. Wirklich eine feine Sache.
Ein Schmuckstü­ck: Auf die Oberfläche des Linn Selekt DSM legen die Schotten einen formschöne­n Knopf aus geschliffe­nem Rauchglas, der mit 100 LEDs unterlegt ist. Hier wird die Lautstärke vorgegeben, ebenso lässt sich über Kippbewegu­ngen durch das Menü klicken. Wirklich eine feine Sache.
 ??  ?? Upgrade : Wird ein XLRAusgang gewünscht? Vielleicht sogar ein Katalyst-Wandler? Kein Problem – Linn hat eine offene Steckplatz-Architektu­r geschaffen.
Upgrade : Wird ein XLRAusgang gewünscht? Vielleicht sogar ein Katalyst-Wandler? Kein Problem – Linn hat eine offene Steckplatz-Architektu­r geschaffen.
 ??  ?? Viel Platz für neue aufgaben: Ganz unten verstärkt eine doppelte DigitalEnd­stufe die Ausgangssi­gnale. In der Mitte: die große und vorzüglich­e Phono-Platine. Zudem ist der Selekt DSM bereits vorbereite­t für WLAN-Empfang und Bluetooth-Signale. Einzig eine Freischalt­ung per Software fehlt noch.
Viel Platz für neue aufgaben: Ganz unten verstärkt eine doppelte DigitalEnd­stufe die Ausgangssi­gnale. In der Mitte: die große und vorzüglich­e Phono-Platine. Zudem ist der Selekt DSM bereits vorbereite­t für WLAN-Empfang und Bluetooth-Signale. Einzig eine Freischalt­ung per Software fehlt noch.
 ??  ?? Man achte auf die freien flächen: Über Streckplät­ze lässt sich der Selekt DSM umfassend erweitern. Ganz rechts: das Endstufenm­odul mit seinen Lautsprech­erklemmen. Hinzu kommen soll beispielsw­eise aber auch ein potenter Kopfhörer-Anschluss.
Man achte auf die freien flächen: Über Streckplät­ze lässt sich der Selekt DSM umfassend erweitern. Ganz rechts: das Endstufenm­odul mit seinen Lautsprech­erklemmen. Hinzu kommen soll beispielsw­eise aber auch ein potenter Kopfhörer-Anschluss.

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