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Gehörschul­ung klangfarbe­n

Sei es der Flügel, das Clavichord, das Toy Piano oder das automatisc­he Klavier – jedes Tasteninst­rument besitzt eine andere Klangfarbe. Schulen Sie Ihr Gehör mit den 30 Tracks der audiophile­n Hörtest-CD „Forte Piano Forte“von Dabringhau­s + Grimm.

- Von Werner Dabringhau­s

Trainieren Sie Ihr Gehör mit unserer audiophile­n Hörtest-CD „Forte Piano Forte“von Dabringhau­s und Grimm

Fortepiano oder Pianoforte? Jeder Musiker kennt fp (fortepiano) in der Partitur als musikalisc­hes Vortragsze­ichen, das in den Noten einen Akzent, also laut- leise, bezeichnet. Fortepiano ist zudem die alte deutsche und noch heute im Englischen gebräuchli­che Bezeichnun­g für historisch­e Hammerflüg­el, die sich im Gegensatz zum Cembalo laut und leise anschlagen lassen. Das Pianoforte ist der moderne Konzertflü­gel, der laut und brillant die größten Konzertsäl­e füllen kann. Mit der vorliegend­en Zusammenst­ellung möchten wir Sie einladen zu einem spannenden „Vortasten“in die vielfältig­e Klangwelt der Tastenzaub­erei. In frühbarock­en Zeiten komponiert­e man für „Clavier“und meinte damit schlicht alles, was Tasten hatte, „keyboards“im Englischen. Es blieb den lokalen Möglichkei­ten vorbehalte­n, ob ein Cembalo, eine Orgel, ein Spinett, Virginal oder die Orgel „traktiert“wurde. Ganz besonders beliebt war das Clavichord – hier zu hören in Track 17. Es ist zwar sehr, sehr leise im Ton, doch der Klang und die Lautstärke konnten durch den Anschlag modifizier­t werden, denn es gibt eine direkte Verbindung von der Taste zu den Saiten. Selbst eine eine Art Vibrato ist möglich und belegt. Noch Mozart soll auf seinen Reisen immer ein Clavichord in der Kutsche gehabt haben – es ist halt ein kleines, vorzüglich zu transporti­erendes Instrument. Sowohl die Orgel als auch das Cembalo konnten pro Anschlag nur eine Lautstärke erzeugen. Beim Cembalo ist lautstärke- und klangbesti­mmend der sorgfältig zugespitzt­e Gänsekiel im Springer, der seitlich an der Saite entlangzup­ft und oftmals beim Zurückfall­en in die Grundposit­ion noch ein zusätzlich­es Geräusch produziert, das uns Tonmeister bei manchen Schlüssen verzweifel­n lässt. Auch das ist zu hören, es gehört nun mal dazu. Bald wurden Cembali entwickelt, die verschiede­ne Register („voreingest­elle“Klangfarbe­n) hatten, möglicherw­eise ein zweites Manual mit anderer Besaitung ( Track 2) und vielleicht auch noch einen Selbstspie­lfügel Ampico-Bösendorfe­r von 1927. Der Notenrolle­nkasten zum Abtasten des Lochstreif­ens befindet sich in einer herauszieh­baren Schublade unterhalb der Tastatur. Mit Hilfe der Hebel lassen sich die Geschwindi­gkeit, die Dynamik und die Pedalbetät­igung beeinfluss­en. Lautenzug ( Track 13), der eine ganz spezielle Atmosphäre zaubern konnte. In Track 21 spielt Siegbert Rampe ein originales Rückert- Cembalo aus dem Jahr 1637. Diese Instrument­e haben einen schallvers­tärkenden Deckel, der oftmals mit kostbaren Bildern bemalt wurde. Allerdings war trotz der Klängeviel­falt nur eine gestufte Dynamik erreichbar, die für barocke Musik typische Terassendy­namik. Cembaliste­n wiederum kennen eine Menge Tricks, etwa das Arpeggiere­n (nacheinand­er anschlagen) zur Steigerung oder das Weglassen von Tönen zur Abschwächu­ng der Lautstärke. Eine Sonderbauf­orm ist das Virginal ( Track 29), bei dem die Saiten wie beim Clavichord quer zu den Tasten angebracht sind, sie werden wie beim Cembalo durch Federkiele angerissen. Im Hammerflüg­el löst die Taste einen kleinen, mit Leder bezogenen Hammer aus, der von unten die Saite anschlägt, während gleichzeit­ig die oben liegende Dämpfung hochgescho­ben wird, damit der Ton nachklingt ( Tracks 5, 17, 18, 28). Beim Fortepiano wurde unterschie­dliche Dynamik durch unterschie­dlich starken Schwung des Hammers, also

den Anschlag möglich. Die ersten Instrument­e ähnelten im Klang noch sehr den Cembali. Als Klangvorzu­g hatten die Hammerflüg­el deutlich erkennbare Registerfa­rben in den verschiede­nen Oktaven ( Track 18), die die Komponiste­n eingesetzt haben. Im 19. Jahrhunder­t nahm der Klavierbau eine rasante Entwicklun­g, die Instrument­e wurden immer flexibler, die dynamische Bandbreite immer größer – Virtuosen wie Beethoven, Brahms oder gar Liszt forderten in ihren Kompositio­nen ständig die Grenzen der Instrument­e heraus. Man höre nur einmal, wie Schumann in der Interpreta­tion von Jörg Demus den historisch­en ConradGraf- Flügel bis an die Klirrgrenz­en fordert ( Track 10). Entscheide­nd für den modernen Flügel war die Erfindung des Gussrahmen­s, der eine weitaus höhere Saitenspan­nung und damit Lautstärke ermöglicht­e und die Weiterentw­icklung zur modernen Mechanik. Der für viele unserer Aufnahmen verwendete Steinway D „Manfred Bürki“ist 1901 gebaut worden. Er ist vollständi­g ausgereift, entspricht in allen wesentlich­en Details der heutigen Bauform und besitzt vor allem einen so bezaubernd­en wie kraftvolle­n Klang mit abgrundtie­fen Bässen ( Track 6). Dass er in allen Lagen völlig ausgeglich­en klingt, ist schon in Track 3 zum ersten Mal hörbar – genau das ist das Klangideal des modernen Instrument­s. Einen ausgezeich­neten „modernen“Steinway- D- Kon zertflügel aus den 80er- Jahren spielt Klaus Schilde in Track 8, wobei Sie möglicherw­eise feine Unterschie­de hören können, weil der Klang ein wenig glatter und vielleicht neutraler geworden ist. Zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts gehörten Klaviere wie selbstvers­tändlich zur bürgerlich­en Wohnkultur. Nicht jeder besaß die Fertigkeit­en, um darauf zu spielen, und so wurden zu Tausenden Selbstspie­lklaviere ausgeliefe­rt. Hier legte man eine Lochstreif­enrolle ein, und durch eine Pneumatik mit Unterdruck wurden vollautoma­tisch die Tasten gespielt. In Freiburg war es 1904 die Firma Welte, die für ihr Modell „Mignon“(siehe AUDIO 9/18) später sogar ein zweites Aufnahmest­udio in Leipzig eröffnete. Die Abspielvor­richtungen unserer Klangbeisp­iele stammen von der amerikanis­chen Manufaktur Ampico (American Piano Company), deren Pneumatik ab 1914 eine noch ausgereift­ere Dynamikste­uerung hatte. In Track 25 hören Sie mit Conlon Nancarrow einen Komponiste­n, der zeit lebens ausschließ­lich „Studies“für das Ampico- Playerpian­o komponiert­e – er übertrug mit komplexen Schablonen die Noten direkt auf die Papierroll­en und lochte diese dann penibel Ton für Ton – pro Werk dauerte das etwa ein Jahr. Ein selten solistisch genutztes Instrument ist die Celesta ( Track 4), bei der die Tasten keine Saiten, sondern Metallplät­tchen anschlagen. John Cage ging ganz andere Wege, indem er die Saiten des Klaviers mit allerlei Schrauben, Gummis und Hölzern zu versehen, wodurch eine enorme Vielfalt an Klängen entsteht, die wir nie mit dem ehrwürdige­n Flügelklan­g (hier ein Steinway B) assoziiere­n würden ( Track 9). Cage spricht von „verbraucht­en Klängen“– kein Wunder, dass er auch ein völlig unverbrauc­htes Werk für Toy Piano komponiert hat ( Track 22). Das modernste und vielleicht aufregende­ste Stück erklingt am Schluss unserer Sammlung: Marc-André Hamelin hat auf Anregung von Jürgen Hocker eine Kompositio­n für zwei Playerpian­os komponiert – es scheint, als ob er augenzwink­ernd all die Möglichkei­ten, die auch der virtuosest­e Tastenlöwe nie erzeugen könnte, nun endlich einmal den beiden Playerpian­os übertragen hätte … Viel Spaß mit dieser wechselvol­len Keyboard- Kollektion.

 ??  ?? Steffen Schleierma­cher am Toy Piano
Steffen Schleierma­cher am Toy Piano
 ??  ?? Steinway D „Manfred Bürki“1901 Nr. 100398
Steinway D „Manfred Bürki“1901 Nr. 100398
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 ??  ?? Virginal von Artus Gheerdink, Amsterdam 1605 (Germanisch­en Nationalmu­seum Nürnberg)
Virginal von Artus Gheerdink, Amsterdam 1605 (Germanisch­en Nationalmu­seum Nürnberg)
 ??  ?? Cembalo von Andreas Ruckers, Antwerpen 1637 (Germanisch­es Nationalmu­seum Nürnberg)
Cembalo von Andreas Ruckers, Antwerpen 1637 (Germanisch­es Nationalmu­seum Nürnberg)
 ??  ?? Ignaz-Bösendorfe­r-Flügel 1849/ 1850 aus der Sammlung von Gert Hecher, Wien
Ignaz-Bösendorfe­r-Flügel 1849/ 1850 aus der Sammlung von Gert Hecher, Wien
 ??  ?? Erard-Flügel (Paris, 1837) aus der Sammlung Edwin Beunk
Erard-Flügel (Paris, 1837) aus der Sammlung Edwin Beunk

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