Geheimtipp
Lonesome Shack Desert Dreams
In den letzten 30 Jahren haben sich immer mehr deutsche Künstler auf ihre Muttersprache besonnen – eine gute Idee, aber selbstverständlich keinerlei Garantie für gute Musik bzw. Texte. Deutschland, wie steht‘s? Keimzeit, 1980 in der DDR gegründet, klingen eher nicht wie andere ehemalige Ost-Bands. Ihr 21. Werk verfeinert ihren entspannten, deutschprachigen Rock nochmals; Norbert Leisegang singt schön unaufgeregt und beschäftigt sich mit Dingen wie seinem früheren Lieblingsakkord (E-Moll) oder Seeigeln. Moses Schneider hat zurückhaltend produziert. Sehr angenehm zu hören. Nachdem Tilman Rossmy 2017 seine bahnbrechende Indie-Truppe Die Regierung mit dem starken Album „Raus“wiederbelebt hatte, kommt nun bereits der Nachfolger. „Was“klingt jedoch leicht unrund, die retrospektiven Songs wirken teilweise unausgegoren. Rossmys Nuscheln über atmosphärischem Folkrock ist immer cool, war aber schon mitreißender. Freundlicher Hinweis: Das Präteritum von „sie verbieten“heißt „sie verboten“, nicht „sie verbaten“. Auch schon eine Weile dabei ist Annett Louisan; „Kleine große Liebe“ist bereits das achte Album der stets jugendlich wirkenden Sängerin. Es ist sogar ein Doppelalbum, so viel hat die junge Mutter zu erzählen. Louisan seziert die unerfreulichen Eigenheiten ihrer Verwandtschaft, kriecht tief in Beziehungskisten hinein und verteidigt ihre geringe Größe von 1,52 m („Klein“). Meist chansonhaft schön, teils mit Anklängen an die flotten 20er-Jahre („Eine Frage der Ehre“) und mitunter an der Grenze zum Kitsch. Davon sind Die Heiterkeit aus Hamburg weit entfernt. Band-Chefin Stella Sommer ist mit „Was passiert ist“bei Album Nr. 4 angekommen. Ein bisschen viel Keyboards sind hier zu hören; sie fügen diesem kühlen Kunst-Pop eigentlich wenig hinzu. Man kann sie sogar als störend empfinden. Immer noch schreibt Sommer einzigartige, rätselhafte Songs und singt diese mit ihrer tiefen Stimme so unrockig wie möglich, aber die Lo- ckerheit des Debüts „Herz aus Gold“(2012) und die halbironische Coolness von „Monterey“(2014) sind seit „Pop+ Tod I+II“(2016) irgendwie perdu. Bei Schiller sind die Keyboards deutlich besser aufgehoben, aber Christopher von Deylen kommt ja auch nicht vom Indierock, sondern von Tangerine Dream und Jean-Michel Jarre. Auf „Morgenstund“gibt’s unter anderem Nena und Mike Rutherford zu hören; alles ist sphärisch, es flimmert und glimmert 76:34 Minuten lang. Klangtipp! Moritz Krämer plagen irdischere Dinge: Auf seinem Doppelalbum „Ich hab’ einen Vertrag unterschrieben 1&2“geht es dem Mitglied der Allstar-Band Die höchste Eisenbahn genau darum – um Verträge und den mit ihnen manchmal verbundenen Ärger. „Es gibt zwei Teile/ den einen versteh’ ich/ den anderen aber nicht/ den hab’ ich damals überlesen“– das ist schon genial. Hat vor ihm schon mal jemand das Wort „PDF“in einem Musikstück verwendet („Alles ist Standard“)? Der im Schwarzwald aufgewachsene Krämer berlinert sich charmant durch seine erfreulich melodiereichen, poppigen Lieder, auf deren Gipfeln Streicher für Glanz sorgen. Neulich im Büro: Der Rezensent lauscht dem Botschaft- Debüt „Musik verändert nichts“und fühlt sich erinnert an eine Band aus den 90ern, deren CD er kürzlich suchte. Wie hieß die bloß noch? Dann liest er den Botschaft-Pressetext, und da steht’s – Go Plus! Die hatten 1998 mit „Largo“ein feines deutschsprachiges Gitarrenpop-Album aufgenommen, und Botschaft klingen nun ganz ähnlich. Milde gesungene, meist sonnige Lieder, die dem einen oder anderen jungen Menschen in dunkler Nacht das Leben retten können. Mit dem Zustand dieses Landes befassen sich Die Goldenen Zitronen auf „More Than A Feeling“. „Ihr edlen Erfinder der Menschenrechte/ braucht doch in Wahrheit outgesourcete Knechte“– die Polit-Avantgarde der Hamburger ist so provokant wie lustig. Wer KonsensPunk sucht, bitte woanders klingeln!