Harman Kardon Citation Tower
Ein Coup sollte es werden, ein Kompromiss ist es geworden. Die Klangsäulen von Harman bringen Ästhetik ins Wohnzimmer, aber nicht das Maximum an audiophiler Ehrlichkeit.
So klingt die schöne Smart-Box im Pyramiden-Design
Der moderne Lautsprecher hat ein Gehirn. Oder besser formuliert: Es gibt schlaue Chips und im Hintergrund eine gewaltige Datenbank. Dann klingt er nicht nur gut, sondern kann uns auch zuhören. Etliche Lautsprecher dieser Gedankenrichtung sind gerade auf den Markt gekommen, doch zumeist in kleiner Bauweise. Apple spielt hier auf, dazu noch Amazon und Google. Nun will Harman Kardon zeigen, dass es auch in der HighEnd- Liga gilt, sich seine Meriten zu verdienen. Der Citation Tower ist stattliche 116 cm hoch, ein klassisches DreiwegeSystem mit aktiven Endstufen. Wobei die Frage auftaucht, was denn Intelligenz bei einem modernen Lautsprecher eigentlich ist. In den genannten Fällen geht es am wenigsten um den
Klang. Als hätten sich die großen Hersteller verschworen, wird Intelligenz vor allem im Dialog definiert: Der Lautsprecher wird per Sprache gesteuert. Das kann echte High- End- Fans auch irritieren, denn wir haben bereits gelernt, dass es per Kabel hineingeht und halt keine Endstufe gebraucht wird. Doch beim Harman Citation Tower kommen wir einzig über ein Stromkabel hinein. Auf der Rückseite wird eine kleine Klappe entfernt – und dort prangt eben nur ein Stromeingang. Und wie bringe ich die audiophilen Signale an die Box? Per WLAN oder Bluetooth. Hier schütteln sich die alten HiFi- Fans mit Grausen. Das muss doch mit Verlusten behaftet sein. Nicht unbedingt. Wir kennen auch gute WLAN- Lautsprecher, die grundehrlich mit dem Stream umgehen. Doch der Citation Tower will in einer ganz anderen Liga spielen. Er ist entstanden als ultimative Antwort auf einen modernen Lebensstil. Man stelle sich ein aufgeräumtes Wohnzimmer vor, hier und da ein paar Andeutungen an den skandinavischen Look. Ein Lautsprecher soll hier Partner sein, nicht Raumfresser. Weshalb Harman Kardon am Design auch nicht gespart hat. Die Citation- Serie kann vom kleinen Küchenradio bis zum Surround-Set ausgebaut werden, die Form ist fließend. Alles fügt sich in die Gesamtarchitektur eines Multiroom-Sets ein. Mehr als nur ein Zeichen: Die Stoffbespannung wird vom skandinavischen Inneneinrichter Kvadrat zugeliefert – das ist die Oberklasse im Wohnraumdesign. Oder wie es der oberste Chef sagt: „Die Kunden
wünschen sich zunehmend von ihren HomeEntertainment-Systemen mehr als nur Musikwiedergabe“– Michael Mauser, President Lifestyle Audio bei Harman Kardon.
EINDEUTIGER SUBTEXT
Oha – hier kommt ein eindeutiger Subtext durch. Nämlich: Klang ist schön, aber nicht alles. Nun haben wir wahrlich nichts gegen gutes Design, aber: Erst sollte das Wirken der Ingenieure im Dienste des Klangs stehen, erst dann können sich die Designer am Outfit verlustieren, sicher nicht umgekehrt. Das würde uns nicht gefallen. Dabei verspricht das Innenleben deutlich mehr, eine höhere Form der Ernsthaftigkeit. Auf Ohrenhöhe waltet beispielsweise ein echter D‘Appolito- Aufbau. Zwei 4-Zoll- Mitteltöner umschmeicheln einen kleinen Hochtöner. Der Bass stammt von einem 8-Zoll- Subwoofer, der fast so groß ist wie der Sockel selbst und in die Tiefe feuert. Wer den Röntgenblick anwirft, sieht dazu ein aufwendiges Bassreflexgefüge, mit einem großen Trichter, der die Tiefeninformationen einfängt und nach hinten leitet. Eine digitale Endstufe treibt das Ganze mit 200 Watt an. Alles wirkt schlau, aber nicht in jedem Fall edel. Die Stoffhülle mag ja schmutzabweisend und schwer entflammbar sein, sie hat dennoch etwas Kaschierendes, denn sie versteckt in Wirklichkeit eine Basiskonstruk tion aus Kunststoff. Wo wir uns massives Holz oder gar Aluminium wünschen würden, nutzt Harman eine Pressform – recht hübsch vielleicht auf Fotos, doch im Lebensraum immer mit dem Manko des Kompromisses behaftet. Man erkennt hier und da die Zugeständnisse im Finish.
HÖR MIR BITTE ZU!
Auf der Webseite jubelt Harman über ein Huch-wie- einfach- Bedienkonzept. Das trifft nicht ganz die Realität unseres Testlaufs. Wir waren anfangs etwas irritiert von dieser Art der Steuerung. Es liegt zum Beispiel keine Fernbedienung bei. Nach dem Start wird der Kunde dazu aufgefordert, sich die App von Google Home herunterzuladen. Die Installation dauert und verlangt Aufmerksamkeit. Endlich sind wir weiter, dann hört der Citation Tower auf unsere gesprochenen Wünsche. Sehr nett. Auch können wir ihn per Bluetooth ansteuern. Dazu gibt es Streamingdienste und Radiostationen satt. Doch wenn man den Lieblingstrack von einer UPnP- Festplatte zusteuern will, wird es eng. Einerseits versteht der Citation Tower zwar eine
Datenausbeute bis 24 Bit und 96 Kilohertz, aber die Berliner Philharmoniker beispielsweise liefern ihre brillanten Mitschnitte bereits in 192 Kilohertz. DSD wird nicht unterstützt. Hier gibt sich ein Hersteller als Speerspitze seiner Branche und ignoriert die Klangqualität der höchsten Auflösungen. Es geht offensichtlich um konsumierbare Optionen. Man stelle sich den Hausherrn vor, der des Abends von seiner Arbeit nach Hause kommt und zu seinem Lautsprecher ruft: „Ok Google, spiele etwas Jazzmusik.“Und subito erklingt ein Klangteppich. Das vermag der Citation-Tower perfekt. Doch woher stammt der Stream? Aus den Weiten des Internets, von einem Radioanbieter, von einer StreamingPlattform. Egal, Hauptsache Musik in der Wohnung. Das ist nicht das Ideal unseres Musikgenusses, aber Convenience at its best. Geht es ums aufmerksame oder gar kritische Abhören, wird es mit dem Tower schwierig, was uns verwundert, denn unser Messlabor hat uns die schönste Gerade geliefert – linear, wie es sich besser nicht denken lässt. Wir vermuten: Die Entwickler haben diesen Lautsprecher in Feinarbeit mit all‘ ihrem Messequipment entwickelt. Eine Arbeit am Bildschirm. Die subversive Frage: Wer hat bei der Entwicklung tat
UNSER MESSLABOR HAT UNS DIE SCHÖNSTE GERADE GELIEFERT
sächlich nachgelauscht? Denn trotzt aller perfekten Messwerte zeigte sich der Citation Tower in unserem Hörraum fast schon als Kunstprodukt. Wir legten die wunderbare Einspielung von Brahms‘ Zweitem Klavierkonzert mit Van Cliburn und dem Chicago Symphony Orchestra unter Fritz Reiner auf – das war schwer greifbar. Hier stimmte die Auflösung nicht, die Wiedergabe wirkte ein wenig desorientiert. Die Höhen prahlten mit Brillanz, aber der Raum blieb vage, das Klavier perlte, doch magelte es an Korpus. Unser Ideal von High- End war angekratzt. Wer sich ernsthaft mit Klassik auseinandersetzen möchte, ist mit anderen Systemen besser beraten. Bei weiblichen Singstimmen kamen die Höhen leicht schnarrend, vielleicht sogar etwas bohrend. Diese ÜberBrillanz tat unseren Lieblingsalben von Sara K. wahrlich nur bedingt gut.