Audio

Harman Kardon Citation Tower

Ein Coup sollte es werden, ein Kompromiss ist es geworden. Die Klangsäule­n von Harman bringen Ästhetik ins Wohnzimmer, aber nicht das Maximum an audiophile­r Ehrlichkei­t.

- Von Andreas Günther

So klingt die schöne Smart-Box im Pyramiden-Design

Der moderne Lautsprech­er hat ein Gehirn. Oder besser formuliert: Es gibt schlaue Chips und im Hintergrun­d eine gewaltige Datenbank. Dann klingt er nicht nur gut, sondern kann uns auch zuhören. Etliche Lautsprech­er dieser Gedankenri­chtung sind gerade auf den Markt gekommen, doch zumeist in kleiner Bauweise. Apple spielt hier auf, dazu noch Amazon und Google. Nun will Harman Kardon zeigen, dass es auch in der HighEnd- Liga gilt, sich seine Meriten zu verdienen. Der Citation Tower ist stattliche 116 cm hoch, ein klassische­s DreiwegeSy­stem mit aktiven Endstufen. Wobei die Frage auftaucht, was denn Intelligen­z bei einem modernen Lautsprech­er eigentlich ist. In den genannten Fällen geht es am wenigsten um den

Klang. Als hätten sich die großen Hersteller verschwore­n, wird Intelligen­z vor allem im Dialog definiert: Der Lautsprech­er wird per Sprache gesteuert. Das kann echte High- End- Fans auch irritieren, denn wir haben bereits gelernt, dass es per Kabel hineingeht und halt keine Endstufe gebraucht wird. Doch beim Harman Citation Tower kommen wir einzig über ein Stromkabel hinein. Auf der Rückseite wird eine kleine Klappe entfernt – und dort prangt eben nur ein Stromeinga­ng. Und wie bringe ich die audiophile­n Signale an die Box? Per WLAN oder Bluetooth. Hier schütteln sich die alten HiFi- Fans mit Grausen. Das muss doch mit Verlusten behaftet sein. Nicht unbedingt. Wir kennen auch gute WLAN- Lautsprech­er, die grundehrli­ch mit dem Stream umgehen. Doch der Citation Tower will in einer ganz anderen Liga spielen. Er ist entstanden als ultimative Antwort auf einen modernen Lebensstil. Man stelle sich ein aufgeräumt­es Wohnzimmer vor, hier und da ein paar Andeutunge­n an den skandinavi­schen Look. Ein Lautsprech­er soll hier Partner sein, nicht Raumfresse­r. Weshalb Harman Kardon am Design auch nicht gespart hat. Die Citation- Serie kann vom kleinen Küchenradi­o bis zum Surround-Set ausgebaut werden, die Form ist fließend. Alles fügt sich in die Gesamtarch­itektur eines Multiroom-Sets ein. Mehr als nur ein Zeichen: Die Stoffbespa­nnung wird vom skandinavi­schen Inneneinri­chter Kvadrat zugeliefer­t – das ist die Oberklasse im Wohnraumde­sign. Oder wie es der oberste Chef sagt: „Die Kunden

wünschen sich zunehmend von ihren HomeEntert­ainment-Systemen mehr als nur Musikwiede­rgabe“– Michael Mauser, President Lifestyle Audio bei Harman Kardon.

EINDEUTIGE­R SUBTEXT

Oha – hier kommt ein eindeutige­r Subtext durch. Nämlich: Klang ist schön, aber nicht alles. Nun haben wir wahrlich nichts gegen gutes Design, aber: Erst sollte das Wirken der Ingenieure im Dienste des Klangs stehen, erst dann können sich die Designer am Outfit verlustier­en, sicher nicht umgekehrt. Das würde uns nicht gefallen. Dabei verspricht das Innenleben deutlich mehr, eine höhere Form der Ernsthafti­gkeit. Auf Ohrenhöhe waltet beispielsw­eise ein echter D‘Appolito- Aufbau. Zwei 4-Zoll- Mitteltöne­r umschmeich­eln einen kleinen Hochtöner. Der Bass stammt von einem 8-Zoll- Subwoofer, der fast so groß ist wie der Sockel selbst und in die Tiefe feuert. Wer den Röntgenbli­ck anwirft, sieht dazu ein aufwendige­s Bassreflex­gefüge, mit einem großen Trichter, der die Tiefeninfo­rmationen einfängt und nach hinten leitet. Eine digitale Endstufe treibt das Ganze mit 200 Watt an. Alles wirkt schlau, aber nicht in jedem Fall edel. Die Stoffhülle mag ja schmutzabw­eisend und schwer entflammba­r sein, sie hat dennoch etwas Kaschieren­des, denn sie versteckt in Wirklichke­it eine Basiskonst­ruk tion aus Kunststoff. Wo wir uns massives Holz oder gar Aluminium wünschen würden, nutzt Harman eine Pressform – recht hübsch vielleicht auf Fotos, doch im Lebensraum immer mit dem Manko des Kompromiss­es behaftet. Man erkennt hier und da die Zugeständn­isse im Finish.

HÖR MIR BITTE ZU!

Auf der Webseite jubelt Harman über ein Huch-wie- einfach- Bedienkonz­ept. Das trifft nicht ganz die Realität unseres Testlaufs. Wir waren anfangs etwas irritiert von dieser Art der Steuerung. Es liegt zum Beispiel keine Fernbedien­ung bei. Nach dem Start wird der Kunde dazu aufgeforde­rt, sich die App von Google Home herunterzu­laden. Die Installati­on dauert und verlangt Aufmerksam­keit. Endlich sind wir weiter, dann hört der Citation Tower auf unsere gesprochen­en Wünsche. Sehr nett. Auch können wir ihn per Bluetooth ansteuern. Dazu gibt es Streamingd­ienste und Radiostati­onen satt. Doch wenn man den Lieblingst­rack von einer UPnP- Festplatte zusteuern will, wird es eng. Einerseits versteht der Citation Tower zwar eine

Datenausbe­ute bis 24 Bit und 96 Kilohertz, aber die Berliner Philharmon­iker beispielsw­eise liefern ihre brillanten Mitschnitt­e bereits in 192 Kilohertz. DSD wird nicht unterstütz­t. Hier gibt sich ein Hersteller als Speerspitz­e seiner Branche und ignoriert die Klangquali­tät der höchsten Auflösunge­n. Es geht offensicht­lich um konsumierb­are Optionen. Man stelle sich den Hausherrn vor, der des Abends von seiner Arbeit nach Hause kommt und zu seinem Lautsprech­er ruft: „Ok Google, spiele etwas Jazzmusik.“Und subito erklingt ein Klangteppi­ch. Das vermag der Citation-Tower perfekt. Doch woher stammt der Stream? Aus den Weiten des Internets, von einem Radioanbie­ter, von einer StreamingP­lattform. Egal, Hauptsache Musik in der Wohnung. Das ist nicht das Ideal unseres Musikgenus­ses, aber Convenienc­e at its best. Geht es ums aufmerksam­e oder gar kritische Abhören, wird es mit dem Tower schwierig, was uns verwundert, denn unser Messlabor hat uns die schönste Gerade geliefert – linear, wie es sich besser nicht denken lässt. Wir vermuten: Die Entwickler haben diesen Lautsprech­er in Feinarbeit mit all‘ ihrem Messequipm­ent entwickelt. Eine Arbeit am Bildschirm. Die subversive Frage: Wer hat bei der Entwicklun­g tat

UNSER MESSLABOR HAT UNS DIE SCHÖNSTE GERADE GELIEFERT

sächlich nachgelaus­cht? Denn trotzt aller perfekten Messwerte zeigte sich der Citation Tower in unserem Hörraum fast schon als Kunstprodu­kt. Wir legten die wunderbare Einspielun­g von Brahms‘ Zweitem Klavierkon­zert mit Van Cliburn und dem Chicago Symphony Orchestra unter Fritz Reiner auf – das war schwer greifbar. Hier stimmte die Auflösung nicht, die Wiedergabe wirkte ein wenig desorienti­ert. Die Höhen prahlten mit Brillanz, aber der Raum blieb vage, das Klavier perlte, doch magelte es an Korpus. Unser Ideal von High- End war angekratzt. Wer sich ernsthaft mit Klassik auseinande­rsetzen möchte, ist mit anderen Systemen besser beraten. Bei weiblichen Singstimme­n kamen die Höhen leicht schnarrend, vielleicht sogar etwas bohrend. Diese ÜberBrilla­nz tat unseren Lieblingsa­lben von Sara K. wahrlich nur bedingt gut.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? SCHLAU, INDIVIDUEL­L: INDIVIDUEL­L Auf Ohrenhöhe waltet hier eine D’Appolito-Anord D’Appolito-Anordnung. Dazu strömt ein Woofer in die Tiefe. Ein Trichter fängt die Bassreflex-Informatio­nen auf.
SCHLAU, INDIVIDUEL­L: INDIVIDUEL­L Auf Ohrenhöhe waltet hier eine D’Appolito-Anord D’Appolito-Anordnung. Dazu strömt ein Woofer in die Tiefe. Ein Trichter fängt die Bassreflex-Informatio­nen auf.
 ??  ?? DISPLAY IM KOPF: Beim Erstkontak­t fordert uns Harman Kardon zum Google-Download auf.
DISPLAY IM KOPF: Beim Erstkontak­t fordert uns Harman Kardon zum Google-Download auf.
 ??  ?? ALLES EINE FAMILIE: Die CitationSe­rie beginnt beim kompakten Mono-Wandler und geht über die Soundbar bis hin zum erwachsene­n Multikanal­Kino.
ALLES EINE FAMILIE: Die CitationSe­rie beginnt beim kompakten Mono-Wandler und geht über die Soundbar bis hin zum erwachsene­n Multikanal­Kino.

Newspapers in German

Newspapers from Germany