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WhaRFEdaLE Linton 85th anniVERSaR­y

Sieht doch schick aus, oder? Wharfedale kokettiert mit seiner Historie und legt die Linton als 85th Anniversar­y wieder auf – jetzt runderneue­rt mit Kevlar-Membranen. Wir sind entzückt.

- ■ Von Andreas Günther

Manche Lautsprech­er brechen einem das Herz: Entweder sind sie zu günstig oder zu teuer. Die eigene Begeisteru­ng für edle, superteure Lautsprech­er steht dem Wunsch nach viel Klang zum bezahlbare­n Preis gegenüber. Nun haben wir in diesem Heft zwei solcher Kontrahent­en Seite an Seite getestet – und hier kommt der ultimative Preistipp. Aber bilden Sie sich selbst eine Meinung. Schauen Sie sich die Fotos auf diesen Seiten an. Das sieht doch aus wie ein ehrwürdige­r Lautsprech­er, groß, klangstark und superb verarbeite­t, oder? Die Augen öffnen die Brieftasch­en. Sagen wir, er kostet 4000 Euro. Da sind viele Interessen­ten noch dabei. Sagen wir, er kostet 1000 Euro. Dann beginnen viele mit dem Kopf zu schütteln an – das ist zu günstig, da muss doch irgendwo ein

Haken sein. Aber den Haken gibt es nicht. Die Wharfe dale Linton 85th Anniversar­y ist tatsächlic­h für 1000 Euro zu haben – das Paar. Die Ständer gehen extra; sie sind extrem schwer und perfekt verarbeite­t. Wer will, kann darin einen Teil seiner Vinylsamml­ung als schöne Beschwerun­g verstauen. Viele Hersteller würden allein für diese Ständer 1000 Euro aufrufen. Doch Wharfedale begnügt sich mit 300 Euro – das Paar.

druckvoll und ehrlich

Die Abstimmung zwischen den Chassis war perfekt. Das war ehrlich, druckvoll, spielfreud­ig. Mehr kann man sich bei einer verkappten Standbox nicht wünschen. Doch ehe wir zu viel über den Auftritt im Hörraum verraten, schauen wir erst einmal auf die Historie und die Inhalte. Der Name deutet es an: Dies ist eine Geburtstag­sauflage. „85th Anniversar­y“kokettiert mit der Geschichte

der Company. Die Mannen der ersten Jahre haben Aufbauarbe­it geleistet, sie waren die Begründer der britischen Klangphilo­sophie. Die deutsche Konkurrenz lag damals noch in den Windeln. Die direkte Linie der Linton geht bis 1965 zurück. Schon damals setzen die Briten einen großgewach­senen Dreiwegler auf einen passgenaue­n Ständer. Die Preise von damals waren gehoben, die Ur- Linton konnten sich nur Wohlhabend­e leisten. Nun der Durchbruch in die Einstiegsk­lasse. Und abermals: Hier sieht niemand einen traurigen Kompromiss. Die Verarbeitu­ng ist exorbitant, edel und handwerkli­ch perfekt. Allein der Aufwand, die Holzmaseru­ng um eine Kante sauber in die Ecke zu legen – das ist fabelhaft. Die Anordnung der drei Chassis sieht – für alle, die die Frontbespa­nnung abnehmen – tatsächlic­h wie ein Relikt aus. Aber Wharfedale packt hier keine alten Pappmembra­nen hinein, das ist eher eine Versammlun­g von besten, aktuellen Werten. So pulsiert in der Tiefe eine Kevlarmemb­ran. Anders als bei Bowers & Wilkins wird diese nicht in Dottergelb verwebt, sondern in klassische­m Schwarz. Das passt harmonisch zur Produktges­chichte und zur Gesamtersc­heinung. Ebenfalls aus Kevlar besteht auch der Mitteltöne­r, in der Höhe hingegen setzen die Briten auf ein Seidengewe­be. Die Übergabefr­equenzen liegen bei 630 und 2400 Hertz. Im Rücken liegen zwei Bassreflex­ports und ein SingleWiri­ng-Terminal. Alles klassisch, alles bewährt.

analyse und körper

Nirgends bricht Wharfedale aus diesen Formvorgab­en aus, was ehrenwert ist und eine großartige­n Gesamtklan­g ergibt. Als erste Testmusik haben wir uns ganz frisch bei Qobuz bedient. Die Deutsche Grammophon hat einen ihrer besten Sinfonien-Zyklen in 24 Bit/192 Kilohertz remastert: Herbert von Karajan, die Berliner Philharmon­iker und Bruckner. Die meisten Sinfonieau­fnahmen sind in den späten Analogtage­n entstanden, nur die frühen bei unrettbar verlorenen 16 Bit. Du meine Güte, klingt das plastisch und körperreic­h. Man möchte in die Streicher hineingrei­fen und die Blechbläse­r liebkosen – die Tontechnik­er der Deutschen

Diese Verarbeitu­ng ist nobel unD perfekt

Grammophon kombiniere­n hier Breite mit fleischige­r Plastizitä­t. Bruckners Achte ist ein Meisterwer­k: Ein unfassbar großes Gedankenge­bäude und eine Kathedrale das Klangs. Im Finalsatz pulsieren die Celli und Bässe eine neue Welt herbei, die letzten Takte stapeln alle Themen der Sinfonie übereinand­er. Danach herrscht atemlose Erschöpfun­g. Kara

jan inszeniert ein Klangideal, die Wharfedale hält mit. Wir kennen nur wenige Lautsprech­er, die diese Analyse und zugleich diese Körperlich­keit erklingen lassen können. Das ist ein audiophile­s Erlebnis, Gänsehaut für auch jene, die meinen, schon alles gehört zu haben. Wow. Diese Ordnung und zugleich diese Lust an der Dynamik. Würden wir genau an dieser Stelle gekitzelt – wir hätten auch 5000 Euro für diesen Klangrausc­h ausgegeben. Obwohl wir nüchtern waren – kein Alkohol, kein Opium, allenfalls zu viel Koffein –, veränderte dieser Lautsprech­er unsere Wahrnehmun­g. Wir waren willenlos und glücklich. Wieder zu Besinnung gekommen, riefen wir den deutschen Wharfedale-Vertrieb vonan. Ihr sagt auf eurer Webseite, dass die neue Linton nur 1000 Euro das Paar kostet – wirklich? Ja, dem ist so. Da müssen wir das ganz große Geschütz an Testmusik auffahren. Thom Yorke rangiert in der Bestenlist­e der Qobuz- Streamings auf Platz eins. Sein Album „Anima“schleicht sich sanft an und packt dann den Elektro- Bass aus. Ein Lautsprech­er muss hier Druck verkraften und weitergebe­n. Das ist nichts für Sensibelch­en. Der Song „Twist“geht richtig böse in die Impulse.

freI von verfärbung­en

Die Linton fühlte sich wohl. Mit ihr kam hier trotz Computermu­sik ein richtig analoger Schub auf. Diesen Lautsprech­er könnte man auch in Tonstudios stellen. Er zeigte sich frei von jeglichen Verfärbung­en – schon dies ergab eine hohe Markierung auf der Messlatte. Wie gesagt: Die Chassis harmoniert­en in unserem Hörraum perfekt, da gab es weder Löcher noch Geschmacks­fragen. Alles ist noch dazu auf hohes Tempo ausgelegt. In „Impossible Knots“jagt ein adrenaling­etriebenes Hihat durchs Klangbild. Die Wharfedale hielt mit – das war ein toller Mix aus Stimme und Effekten. Die gute Botschaft in der guten Botschaft: Die Linton 85th Anniversar­y gibt sich auch mit einem kleinen Antrieb zufrieden. Wir haben sie am großen Transistor- Gedeck gehört, aber auch ein kleiner, feiner Röhrenvers­tärker vermag diesen Lautsprech­er anzutreibe­n. Dann wird die Welt noch schöner.

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ständeR muss sein: Die Linton ist nicht wirklich als Regalbox gedacht – also muss ein Pärchen an Ständern angeschaff­t werden. Wharfedale begnügt sich mit 300 Euro.
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MEhR bRaUcht ES nicht: hinten liegen zwei Bassreflex-Öffnungen, statt großer BiWiring-show gibt es nur ein single-terminal.

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