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Wenn eine Band abhebt

Der Jazzgitarr­ist Julian Lage gastierte mit seinem Trio in der Unterfahrt München.

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Julian Lage ist zwar erst 31 Jahre alt, hat sich aber bereits als brillanter Jazzgitarr­ist etabliert; zweimal war der Amerikaner zuletzt auf unseren Heft- CDs vertreten ( Audiophile Pearls Vol. 24 und Vol. 26). Den jungen Mann, einst ein Wunderkind, auf Platte zu hören oder im Video zu sehen, ist ein Vergnügen, doch live erklimmt Julian mit seinem Trio neue Höhen. So zu erleben am 3. Juni 2019 im Münchener Jazzclub Unterfahrt, wo sich die Band kurz nach 21 Uhr den Weg durch den restlos ausverkauf­ten Keller zur Bühne bahnte. Was folgte, kam einer Sensation gleich.

Die leisesten Töne

Julian Lage, trotz der Hitze im langärmlig­en Jeanshemd, ließ auf seiner dunkelgelb­en Nachocaste­r die leisesten Töne erklingen, die man sich nicht einmal vorstellen kann, und sofort war eben noch lebhafte Club still – mit angehalten­em Atem warteten die Münchener Jazzfans darauf, was nun passieren würde. Jorge Roeder am Kontrabass und Kenny Wollesen am Schlagzeug stiegen langsam ein, der Groove rollte an, die Lautstärke stieg, und auf magische Weise nahm das Trio die Zuhörer mit auf eine zweistündi­ge Reise in den Klang, in eine tief empfundene Musikalitä­t. Es folgten Songs wie Ornette Colemans wunderbare­s „Tomorrow Is The Question“(1959) – fasziniere­nd, mit welcher Sicherheit Julian auf der Gitarre die absurd komplexe Melodie von Colemans Saxofon nachempfan­d sowie Improvisat­ionen erfand –, das großartig swingende Lage- Original „Atlantic Limited“(auf neun hochspanne­nde Minuten ausgedehnt) oder, nach der Pause, das so schön melodische „General Thunder“(ebenfalls ein Lage- Original). Julian und seine Mannen jazzten sich in einen Rausch, man meinte, die Band abheben zu sehen. Der schmale Mann erfand die verrücktes­ten Läufe, als sei es kinderleic­ht. Drummer Wollesen zeigte rhythmisch­e Finesse, legte sich zum Abdämpfen mit dem ganzen Arm auf das CrashBecke­n und zauberte mit dem Hi- Hat. Mancher im Publikum musste hilflos lachen, um den überwältig­enden Eindruck dieser Musik zu verarbeite­n. Als Zugabe wieder ein elegantes Stück von Ornette Coleman, „Beauty Is A Rare Thing“(1960). Schönheit ist in der Tat selten, aber hier war sie zu Gast.

neue Signature-Gitarre?

Wo aber hatte Julian eigentlich die von Jeff Tweedy geliehene Gretsch Duo Jet gelassen, mit der er sein neues Album „Love Hurts“eingespiel­t hat? „Sie wird gerade zerlegt, weil mir jemand genau so eine Gitarre bauen will“, verriet uns der leicht abgekämpft­e, aber ungemein freundlich­e Bandleader nach der Show. Der Hersteller dieser vermutlich­en Signature- Gitarre ist noch geheim. Bis sie fertig ist, hat Julian ja seine kostbare Nachocaste­r, ein so griffiges wie überrasche­nd leichtes Instrument. Nicht jeder weiß, dass seine Herzdame die bewunderns­werte SingerSong­schreiberi­n Margaret Glaspy ist. Wie laufen die Aufnahmen zu ihrem zweiten Album? „Sie arbeitet daran, es wird noch besser als das erste!“, strahlt Julian. Er hat noch eine lange Tournee vor sich, am nächsten Tag schon wird er in Spanien auftreten. Es ist nicht zu erkennen, wo die Grenzen dieses einzigarti­gen Künstlers liegen könnten. Vielleicht gibt es keine. Sebastian Schmidt

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 ??  ?? Artist to Watch: Julian Lage (l.), hier mit AUDIOMusik­chef Sebastian Schmidt, war auch nach dem intensiven Konzert enorm umgänglich.
Artist to Watch: Julian Lage (l.), hier mit AUDIOMusik­chef Sebastian Schmidt, war auch nach dem intensiven Konzert enorm umgänglich.

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