Starke Brüder
Die Franzosen haben den Dreh raus: Atoll fertigt edel und mit vielen Nachrüstoptionen. Der Klang dieser Kombi aus CD-Player und Vollverstärker ist stark, aber sanftmütig.
Tolles HiFi zum kleinen Preis: Diese schlanke Kombination aus Vollverstärker und CD-Player hat es faustdick hinter den Ohren
Genau jetzt halte ich den Karton meines neuen MacBooks in der Hand. Was steht da auf dem Aufkleber auf der Rückseite? „Designed by Apple in California“. Eine Zeile darunter: „Assembled in China“. So tickt der moderne, weltweite Markt. Tickt er immer so? Nein. In einem kleinen Ort im Westen Frankreichs wehrt man sich. Atoll fertigt seine ElektronikBausteine selbst – „Made in France“. Das wird doch dann wahrscheinlich unfassbar teuer? Nein, Atoll hat sich geradezu den Ruf erarbeitet, fantastisch zu klingen, aber wenig zu kosten. Der Zauber liegt in einer geradlinigen Fertigung mit vielen Bausteinen, die taktisch schlau kombiniert werden können. Zudem überzeugt die Verarbeitung.
Wir haben hier zwei Elektronikbausteine – einen CD- Player, einen Amp – beide für je 1100 Euro. Das Anfassgefühl ist gehoben: Die Hülle besteht aus wuchtigem Metall, eine 4 Millimeter dicke Platte aus gebürstetem Aluminium schließt die Front ab. Das schafft Vertrauen. Der Blick unter die Haube verzückt regelrecht: Die Franzosen führen die Signalwege streng nach dem Ideal des doppelten Mono- Aufbaus. Die Architektur mag noch so mutig- eigenwillig sein – die Impulse fließen immer symmetrisch.
Der CD- Player CD100 Signature Audio wirkt extrem aufgeräumt. Die Schublade
liegt im Zentrum, darunter mit gleichen Baumaßen das OLED
Display. Das Laufwerk hat Atoll bei Teac angekauft. Es wurde rein zur CD- Wiedergabe gezüchtet, eben kein Multi- Ausleser aus der PC-Welt. Bei den Wandlern bediente sich Atoll im Fundus von Burr- Brown, konkret beim Modell PCM1796. Das eigentlich auch höhere Raten stemmen kann – doch dazu kommen wir noch.
Spannender ist die Verstärkung des analogen Ausgangssignals. Hier nutzen die Franzosen einen blitzsauberen Aufbau in reinem Class- A. Nun gut, es gibt auch ein Manko – eben keinen symmetrischen Ausgang. Aber das wäre in dieser Preisklasse auch eine Ausnahme. Was beim Blick auf die Rückseite gefällt: Hier gibt es einen echten, harten Ausschalter neben der Strombuchse, umgekehrt auf der Front einen Standby- Knopf. Jetzt aufgemerkt: Atoll bietet ein optionales Digital- Input- Board an. Vielmehr ist es eine Versammlung von S/ PDIF, Toslink und USB- Eingang. Das kann jeder Besitzer, der einen Schraubenzieher halten kann, höchstselbst ganz einfach nachrüsten. Dann nutzt man erstens die leckere Class-A-Stufe und zweitens wird das volle Potenzial der PCM1796- Chips ausgeschöpft – bis hin zu 24 Bit und 192 Kilohertz. Das Einsatzgebiet weitet sich, während der Aufpreis mit 200 Euro noch bescheiden bleibt.
Symmetrie alS höchSteS Gut
Nach verwandtem Prinzip haben die Franzosen auch den passgenauen Vollverstärker IN100 Signatur entworfen. Nebeneinander sehen die beiden Atolls wie ein echtes Brüderpaar aus, eine elegante, sehr zentrierte Produktsprache. Auch hier herrscht Symmetrie, im Inneren wie im Äußeren. So liegt der Lautstärkeknopf genau in der Mitte, links und rechts davon zwei kleinere Rundungen – eine Kopfhörerbuchse und der Infrarotempfänger für die Systemfernbedienung. Die wiederum liegt als Zugabe dem CD- Player bei und kann den kompletten AtollParcours steuern.
Beim Blick unter die Haube haben wir ein leises, aber vernehmliches „Wow!“gehaucht. Die Symmetrie- Leidenschaft von Atoll hat die Ingenieure so weit getrieben, dass es hier gleich zwei Ringkerntrafos gibt, mächtig und schwer. Und scheinbar asymmetrisch – sie liegen nebeneinander auf der linken Seite des Gehäuses. Dann ein kleiner Wald aus aufgereckten Kühlkörpern. Die Franzosen werden doch nicht etwa in dieser Preisklasse echte Mosfets verbaut haben? Doch, haben Sie. Das ist ehrenwert und angenehm verwunderlich. Hier meint es jemand ernst. Schließlich liegt rechts der weitere Signalweg, klar in doppeltem Mono erkennbar, in der Vorstufe in reinster Class- A- Bauweise.
Die Rückseite bietet allerlei CinchPorts, aber keine echte Überraschung. Die müssen wir uns selbst bereiten. So kann oben, über den Cinchs ein D/AWandler eingebaut werden. Die kleine Lösung gibt es für 150 Euro. Spannender ist die große Version – dann haben wir PCM bis 32 Bit und sagenhaften 384
Kilohertz, dazu DSD bis 256 und in der praxisnahen Zugabe sogar noch einen Bluetooth- Empfänger – alles für sehr vertretbare 300 Euro.
Und die Fans der großen schwarzen Scheiben? Die werden auch mit einem Baustein umworben. Gleich doppelt. Dann entschwindet der AUX- Port und bekommt zusätzlich eine Erdungsschraube. In der kleinen Version wird nur MM gewandelt (100 Euro), in der größeren Version kommt MC hinzu (150 Euro). Viele Optionen, viele Details – doch nun wollen wir Musik hören. Mal was zum Schwelgen, das neue Album von Curtis Stigers – „Gentleman“. Das ist Edeljazz, mal in kleiner Besetzung, mal mit Big Band im Rücken – und wirklich hochklassig abgemischt. „A Lifetime Together“trifft direkt ins Herz, halblinks ein Flügel, halbrechts die Stimme des Meisters. Die beiden Atolls fühlten sich wohl, konturstark stand da das Klavier im Raum, dazu viel Samt. Schnell war klar: Das ist eine Kombi, die Analyse kann, diese aber nicht über den schönen Samt stellt. In den besten Momenten hatten wir das Gefühl, einem Plattenspieler und einem Röhren-Amp zu lauschen. In „Here We Go Again“schreiten Bass und Flügel gemeinsam, als Kontrast dazu helle Beckenschläge vom Schlagzeug. Ein Spagat, der manche Elektronik in Stress versetzen kann. Nichts davon bei den Atolls. Das war herrlich smooth, das ganz elegante Jazz- Feeling. Wer ist dafür eher verantwortlich? Der Player oder der Amp? Das wäre ungerecht, denn beide folgen demselben Klangideal. Man spürt die Vorliebe der Franzosen zu Class- A bei den kleinen Si
gnalen. Dazu die Mosfets in der Endstufe, die auch hungrige Lautsprecher bedienen können. So haben wir die beiden Atolls an unserer großen Referenzbox betrieben, der Bowers & Wilkins 802 D3. Nie hatten wir den Eindruck, das sei zu leichtgewichtig.
Wir schreiben das Beethoven- Jahr. Da das Geld knapp ist, wird nicht immer neu produziert. Man besinnt sich der alten Schätze. So ist jemand ins Archiv der einstigen VEB Schallplatten gestiegen, hat die Masterbänder der Staatskapelle Dresden heraufgeholt und dem Mastering-Team von Berlin Classics überreicht. Herbert Blomstedt dirigiert alle neun Sinfonien. Wo andere Orchester und Dirigenten Effekte zelebrieren, setzt Blomstedt auf Akkuratesse, fast Askese – alles ist schnell, fettfrei, wunderbar durchhörbar. Die Atolls spielten mit, wie ein Dream-Team. Die federnde Dynamik, das weite Klangbild, der packende Zugriff im Bass – erstaunlich viele audiophile Werte für erstaunlich kleines Geld.