Das Haus an der Ampel
Der Tränenzieher ist zurück. Man mag darüber spotten oder sich auch ärgern, dass, während in anderen Ländern permanent junge, tolle Musiker neue Gedanken denken und interessante Ideen haben, in Deutschland viele Popsongs, ob Mainstream oder Indie, letztlich klingen wie Bierwerbung. Warum nur? Es hat doch jeder die Möglichkeit, zum Beispiel Reinhard Mey zu hören und somit zu sehen, wie man wahrnimmt, nachdenkt, formuliert und komponiert. Das ist kein Aufruf zur Nachahmung, wobei das vielleicht nicht das Schlechteste wäre ... Reinhard Mey pflegte zur Sprache, der deutschen wie der französischen, immer eine liebevolle Beziehung. Mit ihr formulierte er, was ihn bewegte. Da ihn viele, oft kleine Dinge, bewegten und er originell dachte, wurden ihm seine Lieder zu bunten Steinen. Nicht nur textlich, sondern auch musikalisch – beides hängt untrennbar zusammen. Dieses Können besitzt er heute wie am ersten Tag: Dass er auf die 80 zugeht, ist höchstens an manchen erinnernden Themen zu bemerken. Lieder wie „Der Vater und das Kind“(über einen Vater, der mit seinem behinderten Kind ein MeyKonzert besucht), das Titelstück „Das Haus an der Ampel“(über sein Elternhaus) oder „Häng dein Herz nicht an einen Hund“(über die komplexe Beziehung zwischen Herr und Sie wissen schon) sind auf diese typische Weise unendlich rührend und zeigen Meys ganze Klasse. Sie stehen stellvertretend für alle Songs auf diesem großen Album, das der Käufer sogar zweimal bekommt.
CD 1 liefert das von Manfred Leuchter wieder wunderbar aufgenommene, voll instrumentierte Werk. Brillant, wie die Gitarren- Koryphäen Ian Melrose und Jens Kommnick die Songs mit ihren Licks und Lines glänzen lassen. CD 2 ist eine Besonderheit: Sie bringt als „Skizzenbuch“alle Songs nur mit Stimme und Gitarre – ungemein hörenswert. In einer Sonderausgabe gibt’s das Album als dickes Buch mit vielen Fotos, das uns bei Redaktionsschluss aber noch nicht vorlag. Zum Verständnis: Der Klangtipp bezieht sich auf die mit Band eingespielte Version.