KANADA LIEBT UNS
Winzig fast. Dieser Lautsprecher kann sich hinter einem DIN-A4-Blatt verstecken.
Doch er klingt stark. Super seine Analyse, human sein Panorama. Kompakt sein Preis. Klarer Tipp. Und er kommt aus einer Region, in die wir unbedingt einmal reisen sollten.
Es ist mir ein Vergnügen, meine Testkandidaten auszuspähen. Mit welchen Fotos präsentiert sich ein Hersteller im Internet, welche Sprachen sind auf der Webseite möglich? Und dann kommt die Kür: Ein Blick über Google maps auf das Hauptgebäude. Zumeist ist das ein ernüchternder Job. Langweilige Flachbauten, die in langweiligen Industriegebieten liegen. Bei Paradigm wird es hingegen spannend. Wir sehen gewaltige Anlagen, die Boxengehäuse ausfräsen. Viele Maschinen, noch mehr Hände. Dann der Weltraumblick auf einen Ort, an dem man leben möchte. Fast genau im Zentrum von Toronto. Das sind keine USCowboys, sondern gesittete Kanadier. Mit dem Fahrrad ist man in zehn Minuten am Lake Ontario. So lässt sich Arbeit mit Lebenslust verbinden.
Das ist mir wichtig. Denn bei guten Lautsprechern fühlt man, in welchem Umfeld sie entstanden sind. Boxen aus moderner Sklaverei schreien ständig um
Hilfe. Aber Wunderwerke aus Norditalien oder eben der schönsten Ecke von Kanada bringen ein Flair mit. Alles gelingt leicht, es geht natürlich ums Geld, aber auch um viele andere Werte.
Paradigm hat uns einen seiner kleinsten Lautsprecher geschickt. Ein DINA4Blatt würde ihn verdecken. Programmatisch haben ihn die Kanadier „Atom“genannt – die kleinstmögliche Bauform. Rund fünf Kilo. Das ist nicht viel. Aber er bereitet überraschend viel Spaß. Ein echter Tipp. Für überschaubares Geld. 450 Euro für das Paar sind anständig. Vor allem, wenn man den Aufwand bedenkt. Denn Paradigm ist verbandelt, „partnered with the NRC“. Kennt man natürlich hierzulande nicht. Das ist eine Forschungsanstalt, die den Signalfluss zwischen Klang, dem Ohr und dem menschlichen Gehirn erforscht. Das geht nicht mal so eben schnell. Da wird in Jahren gedacht. So hat Paradigm einen Klassiker seines Kataloges verbaut. Ein Hochtöner mit einer Aluminiummembran, davor ein Hornansatz und ein Geflecht, das es nur hier gibt. Genannt „Perforated PhaseAligning“. Mit einem USamerikanischen Patent. Darunter pumpt eine Membran mit 14 Zentimetern im Durchschnitt. Kein Wunderwerk, aber eine stabile PolypropylenKonstruktion, die von Paradigm mit Mineralien angereichert wurde. Das alles gibt es nur hier, reines Knowhow from Canada. Zwei Farben sind zu haben. Mattes Schwarz und glänzendes Weiß. Aus der Werkstatt der Lackierer würde das ungemein viel kosten – deshalb: Diese Oberfläche wird mit guter, aber nicht hyperedler Folie aufgeklebt. Kein Manko. So auch die Rückseite. Da gibt es einen BassreflexPort und ein SingleWiringTerminal – fertig. Bei allen Sparmaßnahmen fühlen wir uns gut. Denn dieser Lautsprecher klingt fantastisch.
Vor allem dieses AufdenPunktMusizieren hat uns ergriffen. Alle wichtigen Informationen sind da. Die Atom scheint sich kaum anzustrengen. Alles fließt, alles wirkt richtig. OK, wir können keine Partys abfackeln. Auch der Bass kennt seine Grenzen. Aber wieder einmal: Ich habe eine kleine Ferienbude und will guten, fairen, inhaltsreichen Klang – dann kommt kaum etwas an diese Box heran.
AUF DEN PUNKT MUSIZIERT
Legen wir ein Heiligtum auf. Ganz bewusst. Was kann so ein Kleiner mit den Heldentaten der Schallplattengeschichte anfangen? Wir reden hier von der legendären Aufnahme aller BeethovenKlaviersonaten mit Wilhelm Backhaus an den Tasten. Entstanden genau zwischen der Mono und Stereophase. Zwei Sonaten sind in Mono überliefert, die restlichen 30 schon in Stereo. Ich kenne die frühen DeccaPressungen. Das ist nett, das hat Kult. Doch das neue Master auf Qobuz verändert meine Weltsicht. Nun in 24 Bit und 96 Kilohertz. Es könnte nicht schöner sein. Wir sind ganz direkt an den analogen Masterbändern. Jeder Anschlag hat sein Gewicht, seine Bedeutung. Das ist wunderbar analytisch und zugleich poetisch. Der Dichter singt. Als ob es gestern aufgenommen worden wäre. Mit höchster Energie. Die Atom zeigte alles, sie formt die Phrasen, man merkte, wie der Interpret atmete. Mehr sogar: wie der Komponist atmete. So etwas würden wir sonst nur Luxuslautsprechern für mehrere
Tausend Euro zugestehen – das es diesem Winzling gelingt, ist ein mittleres, schönes Wunder des HighEnd.
PEINIGT IHN!
Doch wir wollen ihn peinigen. Haben wir nicht noch ein Paket an wirklich brachialer Musik? Natürlich – wie wäre es mit der Neuauflage von Joy Division und „Closer“. Das Cover hat es auf die TShirts von Millionen Jungendlicher geschafft. Ich bin leider zu alt und zu dick dafür. Aber ich liebe die Songs, nunmehr vierzig Jahre alt. Der erste Song „Atrocity Exhibition“ist eine Kettensäge, die uns am liebsten tranchieren möchte. Mehr aufgedrehte Instrumente gibt es nicht. Der Atom zeigte toll die UrIntention der Musiker. Das schrie, das pulsierte, da traf uns eine Trommel mitten zwischen die Augen. Super, welche Energie dieser Lautsprecherwinzling auf den Hörplatz flutete.
Aber wir bleiben dabei. Für diese Brachialmusik ist er eigentlich nicht geschaffen. Ein Feingeist. Eine Perle. Die nicht belästigt werden sollte.