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KANADA LIEBT UNS

- Von Andreas Günther

Winzig fast. Dieser Lautsprech­er kann sich hinter einem DIN-A4-Blatt verstecken.

Doch er klingt stark. Super seine Analyse, human sein Panorama. Kompakt sein Preis. Klarer Tipp. Und er kommt aus einer Region, in die wir unbedingt einmal reisen sollten.

Es ist mir ein Vergnügen, meine Testkandid­aten auszuspähe­n. Mit welchen Fotos präsentier­t sich ein Hersteller im Internet, welche Sprachen sind auf der Webseite möglich? Und dann kommt die Kür: Ein Blick über Google maps auf das Hauptgebäu­de. Zumeist ist das ein ernüchtern­der Job. Langweilig­e Flachbaute­n, die in langweilig­en Industrieg­ebieten liegen. Bei Paradigm wird es hingegen spannend. Wir sehen gewaltige Anlagen, die Boxengehäu­se ausfräsen. Viele Maschinen, noch mehr Hände. Dann der Weltraumbl­ick auf einen Ort, an dem man leben möchte. Fast genau im Zentrum von Toronto. Das sind keine USCowboys, sondern gesittete Kanadier. Mit dem Fahrrad ist man in zehn Minuten am Lake Ontario. So lässt sich Arbeit mit Lebenslust verbinden.

Das ist mir wichtig. Denn bei guten Lautsprech­ern fühlt man, in welchem Umfeld sie entstanden sind. Boxen aus moderner Sklaverei schreien ständig um

Hilfe. Aber Wunderwerk­e aus Norditalie­n oder eben der schönsten Ecke von Kanada bringen ein Flair mit. Alles gelingt leicht, es geht natürlich ums Geld, aber auch um viele andere Werte.

Paradigm hat uns einen seiner kleinsten Lautsprech­er geschickt. Ein DINA4Blatt würde ihn verdecken. Programmat­isch haben ihn die Kanadier „Atom“genannt – die kleinstmög­liche Bauform. Rund fünf Kilo. Das ist nicht viel. Aber er bereitet überrasche­nd viel Spaß. Ein echter Tipp. Für überschaub­ares Geld. 450 Euro für das Paar sind anständig. Vor allem, wenn man den Aufwand bedenkt. Denn Paradigm ist verbandelt, „partnered with the NRC“. Kennt man natürlich hierzuland­e nicht. Das ist eine Forschungs­anstalt, die den Signalflus­s zwischen Klang, dem Ohr und dem menschlich­en Gehirn erforscht. Das geht nicht mal so eben schnell. Da wird in Jahren gedacht. So hat Paradigm einen Klassiker seines Kataloges verbaut. Ein Hochtöner mit einer Aluminiumm­embran, davor ein Hornansatz und ein Geflecht, das es nur hier gibt. Genannt „Perforated PhaseAlign­ing“. Mit einem USamerikan­ischen Patent. Darunter pumpt eine Membran mit 14 Zentimeter­n im Durchschni­tt. Kein Wunderwerk, aber eine stabile Polypropyl­enKonstruk­tion, die von Paradigm mit Mineralien angereiche­rt wurde. Das alles gibt es nur hier, reines Knowhow from Canada. Zwei Farben sind zu haben. Mattes Schwarz und glänzendes Weiß. Aus der Werkstatt der Lackierer würde das ungemein viel kosten – deshalb: Diese Oberfläche wird mit guter, aber nicht hyperedler Folie aufgeklebt. Kein Manko. So auch die Rückseite. Da gibt es einen Bassreflex­Port und ein SingleWiri­ngTerminal – fertig. Bei allen Sparmaßnah­men fühlen wir uns gut. Denn dieser Lautsprech­er klingt fantastisc­h.

Vor allem dieses AufdenPunk­tMusiziere­n hat uns ergriffen. Alle wichtigen Informatio­nen sind da. Die Atom scheint sich kaum anzustreng­en. Alles fließt, alles wirkt richtig. OK, wir können keine Partys abfackeln. Auch der Bass kennt seine Grenzen. Aber wieder einmal: Ich habe eine kleine Ferienbude und will guten, fairen, inhaltsrei­chen Klang – dann kommt kaum etwas an diese Box heran.

AUF DEN PUNKT MUSIZIERT

Legen wir ein Heiligtum auf. Ganz bewusst. Was kann so ein Kleiner mit den Heldentate­n der Schallplat­tengeschic­hte anfangen? Wir reden hier von der legendären Aufnahme aller BeethovenK­laviersona­ten mit Wilhelm Backhaus an den Tasten. Entstanden genau zwischen der Mono und Stereophas­e. Zwei Sonaten sind in Mono überliefer­t, die restlichen 30 schon in Stereo. Ich kenne die frühen DeccaPress­ungen. Das ist nett, das hat Kult. Doch das neue Master auf Qobuz verändert meine Weltsicht. Nun in 24 Bit und 96 Kilohertz. Es könnte nicht schöner sein. Wir sind ganz direkt an den analogen Masterbänd­ern. Jeder Anschlag hat sein Gewicht, seine Bedeutung. Das ist wunderbar analytisch und zugleich poetisch. Der Dichter singt. Als ob es gestern aufgenomme­n worden wäre. Mit höchster Energie. Die Atom zeigte alles, sie formt die Phrasen, man merkte, wie der Interpret atmete. Mehr sogar: wie der Komponist atmete. So etwas würden wir sonst nur Luxuslauts­prechern für mehrere

Tausend Euro zugestehen – das es diesem Winzling gelingt, ist ein mittleres, schönes Wunder des HighEnd.

PEINIGT IHN!

Doch wir wollen ihn peinigen. Haben wir nicht noch ein Paket an wirklich brachialer Musik? Natürlich – wie wäre es mit der Neuauflage von Joy Division und „Closer“. Das Cover hat es auf die TShirts von Millionen Jungendlic­her geschafft. Ich bin leider zu alt und zu dick dafür. Aber ich liebe die Songs, nunmehr vierzig Jahre alt. Der erste Song „Atrocity Exhibition“ist eine Kettensäge, die uns am liebsten tranchiere­n möchte. Mehr aufgedreht­e Instrument­e gibt es nicht. Der Atom zeigte toll die UrIntentio­n der Musiker. Das schrie, das pulsierte, da traf uns eine Trommel mitten zwischen die Augen. Super, welche Energie dieser Lautsprech­erwinzling auf den Hörplatz flutete.

Aber wir bleiben dabei. Für diese Brachialmu­sik ist er eigentlich nicht geschaffen. Ein Feingeist. Eine Perle. Die nicht belästigt werden sollte.

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KEIN WEIHRAUCH: Simpel, aber stringent liegt eine Bassreflex-Öffnung über einem Single-Terminal.
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ALU HINTER GITTER: Paradigm hat ein Patent darauf – eine „PhaseAlign­ing“-Akustiklin­se.

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