DER KLEINE LORD
AUDIO hatte den jüngsten Vertreter des britischen Vollverstärker-Adels zu Gast. Dabei zeigte der Rega io mal wieder souverän, wie man auch im kleinen Rahmen klanglich die große Noblesse wahrt.
Der kleine Rahmen betrifft sowohl die äußeren Maße als auch den aufgerufenen Preis: Exakt 499 Euronen ruft der deutsche Importeur für den Rega io auf. Und dabei ist das gerade mal 18 Zentimeter breite, 29 cm tiefe und knapp 7 cm hohe Kistlein ein ausgewachsener, sogar fernbedienbarer Vollverstärker, mit allem drin und dran. Jedenfalls, wenn man auf reihenweise Hochpegel- Eingänge, Digitalgedöns und einen Eingang für die sehr leisen Moving- Coil-Tonabnehmersysteme verzichten kann.
Dazu kurz zur Geschäftsordnung: In dieser Preisklasse dürften die meisten Vinylfans ihre Plattenspieler ohnehin mit Moving- Magnet-Systemen andocken – und dafür bietet der Rega io schon mal exzellente Voraussetzungen: Seine Phonostage hat er nämlich vom größeren Bruder Rega Brio übernommen, der in AUDIO 4/17 auf ganzer Linie überzeugte. Zudem entwachsen heute die meisten Quellgeräte der Digital Domain. Und da sind die entsprechenden Digital- Analog-Wandler in den hier relevanten Preisregionen an der Quelle besser aufgehoben als im Verstärker. An einem DAC (oft ja integriert) können dann Streamer, CDLaufwerk, Computer, Internetradio und Co. andocken – und dann reicht am Amp ein Hochpegel- Eingang. Der io hat zwei davon, noch Fragen?
Nun gut, die könnte man stellen nach der Herkunft der nominell zwei Mal 30 Watt, die Rega ins Datenblatt schreibt, und die der io im Messlabor (links) an acht Ohm knapp übertraf. Nun, wie im Brio schwitzen da zwei dreibeinige Sanken- Endtöpfe pro Kanal unter je einem Kühlblech. Ihre Energie beziehen sie aus einem linearen Netzteil mit richtigem Ringkerntrafo und entsprechender Siebung. Also richtig konventionell nach guter Väter Sitte erbrachte Leistung. Die kann der Kleine aber, je niedriger die Scheinimpedanz der angeschlossenen
Lautsprecher sinkt und je fieser deren Frequenzweichen die elektrische Phase drehen, nicht lange aufrechterhalten – ein Strom- Gigant ist er definitiv nicht. Dafür ist er einer, der an einigermaßen wirkungsgradstarken und ihm elektrisch angemessenen Lautsprechern die Musik richtig im Fluss halten kann. Mit einer Klipsch Heresy IV, die sich in Ausgabe 3/ 20 als Wirkungsgrad- Monster entpuppte, könnte der Rega io zwar auch mit diskotauglichen Pegeln die Nachbarschaft schocken, aber die wären möglicherweise gar nicht erwünscht. Und mit 3800 Euro pro Paar wäre die Amerikanerin möglicherweise „not appropriate“. Das gilt natürlich auch für die Bowers & Wilkins 802 D3. Aber an die muss im AUDIO- Hörraum nun mal jeder Verstärker ran. Und ihr kleinwüchsiger Landsmann zeigte sich ihr bis zu erstaunlichen Pegeln gewachsen.
Doch nicht seine Muskeln, vielmehr seine Kultur ließ den Rega io über sich hinauswachsen. Die mittelalterlichen Klangwelten, in die das Ensemble Peregrina (Seite 119) entführt, erschloss er mit bemerkenswerter Sinnlichkeit. Wie dieser Verstärker mit den Farben spielte, wie er feine Nuancen entwickeln und auseinanderhalten konnte, das ließ ihn schon zu größeren und teureren Kalibern aufschließen. Auch größere Orchesterapparate wie in der direkt geschnittenen Siebten Sinfonie von Anton Bruckner ( AUDIO 9/ 20) beherrschte er mit erstaunlichem Differenzierungsvermögen. Womit wir schon bei den erfrischenden Fähigkeiten der Phonostufe wären. Die rauschte selber sehr wenig, berauschte aber mit dem gleichen musikalischen Fluss, den schon die Hochpegelzüge an den Tag legten. Mit dem hauseigenen Plattenspieler Planar 1 Flex Edition (8/19, 450 Euro) bekommt der VinylEin- und Wiedereinsteiger eine Unter1000- Euro- Kombination, mit der er von Klassik bis Hardrock, von Singer/Songwriter bis Bigband- Jazz richtig großartige Musik für kleine Münze liefert. Der Rega io erwies sich als würdiges Mitglied der Preis- Klang- Aristokratie.