HEIMATKUNDE
Acht neue deutsche Alben unterschiedlichster Herkunft.
Früher war schon mal gar nichts besser“, stellte der legendäre Timo Blunck 2018 auf seinem großartigen Solowerk „Hatten wir nicht mal Sex in den 80ern?“fest. Bei allem Durcheinander in der Welt: Es gibt heute so viel interessante Musik aus Deutschland wie vielleicht noch nie. So mancher Musiker hat die Muttersprache hereingelassen wie die Katze, die sonst immer draußen herumgestromert ist. PeterLicht war schon 2001 so weit, als er mit „Sonnendeck“seinen größten und bis heute einzigen Hit hatte. Auf „Beton und Ibuprofen“, seinem Studioalbum Nr. 7, zeigt der Dichter aus Köln wieder die einsame Klasse, die sein gesamtes Schaffen auszeichnet. PeterLichts Zugang zur Gegenwart ist unerreicht, was auch seinem coolen Tonfall zu danken ist. Kein anderer Künstler schreibt Zeilen wie „Hinter jedem Auge ein schwarzer Ozean“oder „Ist jeder, der ein Mensch ist, dein Freund?“, nur er kann ganz locker über ein Schmerzmittel wie Ibuprofen singen. Masterpiece.
Ein gutes Stück traditioneller arbeitet Lucy van Kuhl, die auf Konstantin Weckers Label Sturm & Klang veröffentlicht. Wecker tritt auf „Alles auf Liebe“auch in Erscheinung, um in „Hochzeitstag“das Drama einer ebenso langen wie verfehlten Ehe auszubreiten. Auch offene Zahnpastatuben und unterschiedliche Urlaubswünsche finden Erwähnung – realistisch, aber nicht sehr erbaulich. Der unermüdliche Tilman Rossmy hat Die Regierung (bester Bandname) nach „Was“(2019) schon wieder für eine neue LP zusammengetrommelt. „Da“ist erneut angenehm rockig, krachig und Rossmy-typisch lakonisch- introspektiv. Niemand nölt nöliger als Tilman. Anspieltipp: „Jetzt was?“
Ihr erstes deutschsprachiges Album hat Masha Qrella aufgenommen, und es ist ein gutes geworden. Ihre modernen, elektropoppigen Songs klangen aber auch mit englischen Texten prima. Qrella entwirft eine kühle, melancholische Welt: „Jede Frau spürt ihre Haut, wenn ihr Herz auftaut“, „Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin“. Berlin ruft. Der vom Hardcore kommende norddeutsche Sänger Erik Cohen macht auf „Northern Soul“da weiter, wo er auf seinem dritten Studioalbum „III“(2018) aufgehört hatte: Er schmettert deutsche Rocksongs mit unpeinlichen Texten, die abgehen wie Luzie. Bzw. wie eine Dampflok – Anspieltipp: „Lokomotive“. So unkonventionell wie anregend ist „Die Drift“, das Debüt der Österreicherin Conny Frischauf. Die junge Künstlerin bewegt sich irgendwo zwischen Carl Orff, Kreidler, Neuer Deutscher Welle und Incredibly Strange Music. Anspieltipp: das luftige „Rauf“.
Magadalena Ganter kommt aus Berlin; ihr erstes Solowerk „Neo Noir“orientiert sich eher am Lied, am Chanson, am Varieté. Auf der Single „Nackt“gibt sie ihrem Freund/Exfreund zu verstehen, was sie von ihm hält – sauber formuliert, toll und ausdrucksstark gesungen. Anspieltipp: „Neue Ufer“.
Es klingt seltsam, Andreas Dorau im Opener „Chance“auf „Good Morning Erlenbach“quäken zu hören, dem zweiten Werk von Marcel Gein. „Erlenbach“zeigt Gein als Singer- Songwriter, der Erinnerungen an die Romantik Sven Regeners und stimmlich mitunter an Nils Koppruch (Fink) wachwerden lässt.