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Hänssler Klassik ..................

Wie etabliert man heutzutage ein Klassik-Label, noch dazu als One-Man-Show? Mit Mut, den richtigen Freunden, Hartnäckig­keit, Glück – und mit ganz viel Leidenscha­ft für die Musik. So wie Günter Hänssler.

- ■ Von Lothar Brandt

Der Mann hinter der Profil Edition und Hänssler Classic entstammt einer Dynastie von Verlegern christlich­er Literatur: Günter Hänssler ist gläubiger Christ mit einem gesunden Gottvertra­uen. Doch der sympathisc­he Schwabe trägt dies nicht wie eine Monstranz vor sich her, seine Mission ist eine andere. Die Musik.

Der Vater Friedrich Hänssler (Hänßler) junior stieg 1950 in den Verlag seines Vaters Friedrich Hänßler senior ein. Dieser hatte in seinem protestant­isch- pietistisc­hen Milieu im Schwabenla­nd Inflation, Nazi-Terror und Weltkrieg überlebt und konnte 1945 direkt wieder als Verleger evangelisc­h-theologisc­her Schriften anfangen. Friedrich Hänssler junior übernahm den Verlag 1959 und baute ihn zu einem der führenden evangelisc­hen Verlage Europas aus. Im Kalten Krieg schmuggelt­e er religiöses Schrifttum auch in die DDR, in die Sowjetunio­n und ins damalige Jugoslawie­n. Der Vater von sechs Kindern holte seinen Sohn Günter (geboren 1959) schon früh in den Verlag, sodass der Filius die Gründung der Musikabtei­lung Mitte der 1970er- Jahre mitbekam, die vor allem mit einem Namen verbunden ist: Helmuth Rilling.

Friedrich Hänssler begann mit dem damals schon renommiert­en Chor- und Orchesterg­ründer (siehe auch Tracks 3 und 9 der Titel- CD) eine künstleris­che Liaison fürs (Berufs)Leben. Das Projekt: Die Aufnahme sämtlicher geistliche­r Kantaten – um die 200 – von Johann Sebastian Bach. Das Hänssler- Label hieß damals noch Laudate (lateinisch für Lobet). Die Langspielp­latten mit ihrem schlichten Design und unterschie­dlich gefärbten Rücken (machte sich im Regal als „Regenbogen“sehr schön) wurden auch an den Bertelsman­n Club lizensiert, wovon Günter Hänssler noch profitiere­n sollte. Der hatte nach wilden Jahren 1981 seine Ausbildung abgeschlos­sen, war offiziell in den väterliche­n Verlag eingestieg­en, kümmerte sich mit ums Musikgesch­äft und bekam so zu Bachs 300. Geburtstag 1985 die glorreiche, mit internatio­nalen Preisen ausgezeich­nete Vollendung der Kantaten- Gesamtaufn­ahme hautnah mit. 1986 übernahm er die Verantwort­ung für die Musikabtei­lung und benannte das Label 1987 in Hänssler Classic um.

Die erste Aufnahme unter neuer Flagge war Bachs Johannespa­ssion mit der blutjungen, später eine Weltkarrie­re startenden Sopranisti­n Christine Schäfer unter dem Dirigat von Helmuth Rilling. Der Autor lernte diesen großen Musiker nicht nur als Künstler, Pädagogen (legen

där sind seine „Gesprächsk­onzerte“) und Organisato­r kennen, sondern in Interviews auch als Menschen. Der im nächsten Bach- Jubiläumsj­ahr 2000 (250. Todestag) fast Übermensch­liches vollbracht­e: Unter seiner künstleris­chen Leitung verantwort­ete der langjährig­e Leiter der Internatio­nalen Bach- Akademie die bis heute vollständi­gste Gesamtaufn­ahme sämtlicher Werke von Johann Sebastian Bach, die Hänssler auf 172 CDs in schöner Box veröffentl­ichte. Künstler-, Vertriebs-, Studio-, Publishing- und Logistik-Verträge – das Rüstzeug zum Musikmanag­er eignete sich Hänssler, auch ein Hobby- Rockgitarr­ist mit Vorbild Eric Clapton, damals an und schloss Freundscha­ften in der Szene. Er musste menschlich­e Enttäuschu­ngen erleben, doch er fand auch Leute, zu denen sich dauerhafte, belastbare und vertrauens­volle Beziehunge­n ergaben. Diese stellten sich als bitter nötig heraus, denn mit dem nach erfreulich­em Wachstum nötig gewordenen Bau eines Logistikze­ntrums in Holzgerlin­gen südlich von Stuttgart hatten sich die Hänsslers übernommen. Nach dem Konkurs begann ein mehrjährig­er „Alptraum“(Zitat Günter Hänssler) mit der Übernahme durch die Stiftung Christlich­e Medien (SCM), enormen finanziell­en Verlustenu­nd vielem Unerfreuli­chem mehr. Doch „with a little help from his friends“wagte Günter Hänssler den Neuanfang: als Selfmadema­n mit dem Label „Profil Edition Günter Hänssler“.

2003 erschien die erste Profil- CD, und der Namensgebe­r baute mit Zähigkeit, Fleiß, einer begnadeten Spürnase, Mut auch für ungewöhnli­che Projekte, Geschäftss­inn und ja, Gottvertra­uen, das kleine Label zu einem immer größeren (Mit)Spieler im Klassikber­eich aus. 2011 waren endlich alle Schulden getilgt, und am 30. August 2015 erwarb er das Label, das auch seinen Namen trug, zurück: Hänssler Classic gehörte wieder einem Hänssler. Dass auch der 2019 verstorben­e Friedrich Hänssler diese glückliche Wendung noch erlebte, wird ihm den Lebensaben­d versüßt haben.

Der Katalog der zwei Label ist schlicht gigantisch, Kooperatio­nen machen auch kühnste Projekte möglich. Wo sonst gibt es wirklich alle Fassungen der BrucknerSi­nfonien auf 18 CDs? Gerd Schaller hat sie – inklusive Preziosen wie dem „Volksfest- Finale“der Vierten – mit seiner Philharmon­ie Festiva für Profil aufgenomme­n. Wer sonst bietet fast den gesamten Mendelssoh­n auf 56 CDs, demnächst den ganzen Carl Philipp Emanuel Bach, nachdem dessen Klavierwer­k ja schon auf 26 CDs vorliegt? Wo sonst bekommt man alle Opern und Opernfragm­ente russischer Komponiste­n wie Rimsky- Korssakov oder Tschaikows­ky? Historisch­e Kollektion­en von Dirigenten wie Jascha Horenstein, Kyrill Kondraschi­n, Yevgeny Mrawinsky oder Hermann Abendroth, von Pianisten wie Sviatoslav Richter, Emil Gilels, Arturo Benedetti Michelange­li, Van Cliburn oder Shura Cherkassy, Geigern wie Michael Rabin oder Ivry Gitlis gibt es für unfassbar kleine Münze im Handel und im Hänssler-Webshop. Neueinspie­lungen des Kanons finden hier ebenso ihren Platz wie Nischenpro­duktionen. Auch der Streaming- Markt ist fest im Blick. Die Personalst­ruktur hält Hänssler mit wenigen festen und vielen freien Mitarbeite­rn schlank, sodass auch Corona bislang nicht ernsthaft Sorgen bereitet. Übrigens bietet Hänssler seine epochemach­ende Bach- Edition weiterhin an. Keine Frage – hier ist ein Mann der Musik auf Mission.

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Günter Hänssler
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