Rotel Michi X3
Seine vielgelobte Michi-Serie rundet Rotel jetzt mit einem „ kleinen“Vollverstärker ab. Die Anführungszeichen müssen sein, denn der X3 ist eine echte Wuchtbrumme.
Schon äußerlich strahlt der Rotel-Vollverstärker Souveränität aus. Ganz zu Recht, wie sein beeindruckender Auftritt im AUDIO-Test zeigt
Kann der Entwurf eines Vollverstärkers ein Kunstwerk sein? Ich glaube fest daran. Ich habe schon viele gesehen, ein Großteil wirkte wie Abziehbilder. Aber es waren auch einige Bedeutsame darunter. Würde ich den Auftrag erhalten, eine Kunstausstellung zu kuratieren, ich würde meine Lieblinge wie Reliefs an die Wand schrauben.
Hier ist wieder so ein Wunderwerk. Rotel ist der Hersteller, er entstammt der „Michi“-Serie und heißt mit Namen X3. Ich habe die komplette Michi- Serie erlebt, angefasst, gehört: Die Vorstufe, die Endstufen, den großen X5-Vollverstärker und nun die kleine X3-Version. Das ist der größte Wurf in der Geschichte von Rotel. Dass die Rotels gut- günstig können, haben wir nie bezweifelt. Mit Michi wird aber der Angriff auf die große HighEnd- Gemeinschaft gewagt. Keine Kompromisse, keine Gefangenen. In diesem Sinn verbietet sich auch alles, was den X3 als „klein“erscheinen lässt.
Ganz naiv dachte ich daran, als ich die ersten Fotos sah. Dann erschien das Original auf der Karre unseres Lagerverwalters. Ich wollte diesen Amp ins Rack des
Hörraums heben, doch da knirschten meine Bandscheiben. Das sind runde 30 Kilogramm. Das hebt man besser mit den Knien als mit der Wirbelsäule. Besser zu zweit stemmen oder den Händler zur Installation in die Pflicht nehmen.
Schönste Symmetrie
Schnitt, Schwenk: Bitte schauen Sie kurz auf das Foto der folgenden Seite. Sieht das nicht wunderschön aus? Das ist ein Kunstwerk. Wir haben es dreidimensional erlebt, als wir die Top- Platte abschraubten. Kurz einatmen, lang wieder ausatmen – das ist wirklich ein Hochamt. In der Mittelachse, kurz hinter der Front liegt der mächtige Trafo. Aufgedruckt ist der Michi- Schriftzug. Links und rechts davon zwei Umsetzer in Bri
kettform. Dahinter vier blaue, massive Elkos. Von hier aus geht es nach links und rechts zu den Endstufen, die an massive Kühlkörper gekoppelt sind. Alles symmetrisch bis hierhin und wunderschön. Die Symmetrie wird bei den mehrstufigen Platinen der Vorstufe aufgelöst. Das muss sein, weil hier unterschiedliche Eingänge verschieden verwaltet werden.
Der Preis passt
Es folgt der Blick auf die nicht minder schöne Front: links ein Drehregler für die Quelle, rechts das Pendant für die Lautstärke. Das ist klassisch. Statt altertümlicher Zeiger gibt es in der Mitte ein Display, das unterschiedliche Informationen an den Besitzer flutet. Alles frei wählbar.
Super, wir lieben diesen Verstärker, bitte einpacken und liefern. Überraschung: wir sind bei 5000 Euro. Das passt, das ist zwar kein Knallerpreis, aber doch ein humanes Angebot. So sehr Rotel mit der Michi-Serie seinen Anspruch auf Großes ausstellt, so preissensibel ist man dennoch und der Philosophie und dem hart erarbeiteten Markenkern verbunden.
Kurzer Exkurs: Warum heißt die neue Serie „Michi“? Das ist kein Kosename, sondern eine ehrwürdige Philosophie: Michi bedeutet im Japanischen „Weg“. Und der Weg ist heilig. Eine religiöse Reise zu einem wie auch immer projizierten Ideal. Genau das erfüllt der Michi X3. Seine Verarbeitungsqualität ist erstaunlich, perfekt sogar. Das Innere haben wir gesehen, die Faszination geht auf der Rückseite weiter. Drei Schichten liegen hier. Unten: Die Lautsprecherports und der Stromkontakt. Darüber allerlei digitale Kontakte, inklusive USB und Ethernet. Dann die analoge Flöte – hier gibt es für die Vinyl- Fans auch einen MM- Port, dazu drei Cinch-Zugänge und in der Kür auch noch ein XLR- Duo.
Starker Wandler an Bord
Alles zusammen genommen – wie lesen wir diesen Vollverstärker? Die Schaltung folgt den Class-AB- Prinzipien. Kommt es hart auf hart, kann der X3 doppelte 350 Watt Dauerleistung bereitstellen. Aber er ist auch schlau, unser Michi, hauptsächlich dank eines AKM- Chips. Das ist der zentrale Wandler für Digitalsignale, die wir per USB oder optisch anliefern können. Gewandelt wird maximal futuristisch und opulent: 32 Bit und 768 Kilohertz sind möglich. Ich persönlich habe
noch nie einen Datensatz mit dieser hohen Auflösung gesehen, gehört. Obwohl ich fleißig sammele. So denken halt die manischen High- End- Fans. Die Praktiker wird hingegen freuen, dass dieser Amp auch per Bluetooth Musik entgegennimmt. Einfach nach Hause kommen, den X3 anwerfen und per Smartphone den Kontakt suchen – dann die Lieblingsmusik hören und sich gut fühlen.
Im Hörraum zeigte der Mi chi die pure Spielfreude
Die Messwerte, die unser Labor Testlab ermittelt hat, sind mehr als ehrenwert. Es reizt mich, sie lang und ausführlich zu kommentieren. Aber mindestens ebenso spannend ist der Höreindruck. Also schließen wir einen schönen Lautsprecher im sinnvollen Preisverhältnis zwischen 3000 und 4000 Euro an. Da haben wir in diesem Heft erstaunlich viele. Mein Lebensgefühl sagt mir, dass die Acoustic Energy AE 520 perfekt mitspielen könnte. Und tatsächlich: Das war ein perfektes Team. Da stimmten die Werte – der Antrieb, die Auflösung, der Bass. Vor allem die pure Spielfreude des Michi X3 zusammen mit der Acoustic Energy AE 520 fasste uns an.
Kürzlich war ich mit einem guten Freund uneins über die Frage, wessen Einspielung der 32 Klaviersonaten von Beethoven die beste sein mag. Die von Arrau, Brendel, Gulda? Erstaunlicherweise konnten wir uns irgendwann auf die älteste Einspielung mit Wilhelm Backhaus einigen. Auch, weil die Decca die Bänder ganz frisch gemastert hat. Das klingt wie gestern aufgenommen und eben nicht altväterlich. Was für ein Druck nach vorn, was für ein Gewitter der Saiten. Diese Aufnahme ist zu haben als Download in 24/96 oder auch als Super
Audio- CD aus Japan. Der X3 legte das ganz große Panorama aus. Mal glaubten wir in der ersten Reihe des Konzertsaals zu sitzen, dann wieder schien es uns, als befänden wir uns inmitten des Flügels selbst. Etwas seltsam, aber super.
Dazu braucht es Kraft, Beherrschung und einen Hauch von Zauber. Was als große Botschaft bleibt: Mit diesem Vollverstärker will ich die ganzen Beethoven-Sonaten hören – da gibt es keine falsche Note, keine falsche Dynamik. Toll ist die Mischung aus Analyse und Herzblut. Doppelte Empfehlung: für die Aufnahme wie für den Michi.
Dieser Verst ärker kan swingen
Pop und Rock braucht es für einen richtigen Hörtest natürlich auch. Da blättere ich einmal in der Bestenliste von Qobuz. Ah, das neue Album von Kings of Leon – „When You See Yourself“. Die drei Followill- Brüder und ihr Cousin desselben Nachnamens aus Nashville, Tennessee, haben noch immer ihren Southern- RockSpieltrieb. Etwas aus der Spur, ein bisschen im Alternative- Bereich, und stets liefern sie Meisterwerke ab. „The Bandit“trifft uns von hart links, die Sologitarre, dann die Rhythmus- Saiten von rechts und das Schlagzeug in der Mitte. Das ist nicht die Big Party, sondern eher ein Treffen im Probenraum.
Toll, wie der Michi X3 vom mächtigen High- End- Produzenten zum PA- Mixer umschalten konnte. In „Supermarket“übernimmt der Bass die Melodielinie. Klasse, wie der X3 hier mitswingte. Das ist ein Superalbum, das ist als Verstärker ein wunderbarer Spaßvermittler. Ich kaufe beide. Gibt es auch eine LP? Ja, in Knallrot. Etwas teuer, aber noch morgen werde ich damit den sehr guten MMEingang meines Michis befeuern.