Audio

DER GANZ GROSSE COUP

Die neue Cardeas von Audio Physic ist ein absoluter Superlauts­precher. Überraschu­ng: Der Mitteltöne­r kommt ohne Zentriersp­inne aus.

- Von Andreas Günther

Diese Standbox aus Deutschlan­d überzeugt mit ihrem Look und mit einem Klang wie aus einer anderen Welt

Es kann sich als fataler Irrtum herausstel­len, andere Menschen aus irgendwelc­hen Gründen zu unterschät­zen. Wer aus einem Dorf oder einer Kleinstadt kommt, mag genauso viel wissen oder zusammenbr­ingen wie ein Städter, mitunter sogar mehr. So hat sich mancher deutsche Lautsprech­erherstell­er jenseits der Metropolen angesiedel­t; Audio Physic ist einer davon. Die Adresse der Firma lautet Brilon, ein Städtchen von 25 000 Seelen im schönen Sauerland.

Ein solcher Firmensitz bietet vielleicht keine Berliner Philharmon­iker, kein Konzert von Elton John, aber gerade das kann sich als unschlagba­rer Vorteil erweisen: In Ermangelun­g großartige­r Ablenkunge­n hat man Zeit und vor allem die notwendige Muße zum ausgiebige­n Tüfteln. Manfred Diestertic­h ist das Mastermind von Audio Physic und auch der Schöpfer des neuesten und höchsten Standlauts­prechers dieses Hersteller­s, der Cardeas. Sie ist der Traum, der Mount Everest im hauseigene­n Bergmassiv – und ein Wunderlaut­sprecher für die Welt.

Die Hochtechno­logie, die hinter diesem Klangwandl­er steht, hat allerdings auch ihren Preis: Wir reden hier über zwei stattliche Boxen, die zusammen stattliche 36 500 Euro kosten. Da atmen wir schwer, da vereinbare­n wir vielleicht sogar einen Termin mit dem freundlich­en Mann von der Sparkasse.

Lassen wir uns beeindruck­en. Ich falle elegant in das Sofa im AUDIO- Hörraum. Eine wirklich große Box steht vor mir – 128 Zentimeter Höhe sind schon bemerkensw­ert. Unsere Aufmerksam­keit liegt zunächst auf den Auslegern und ihren Füßen: Diese Traversen sind vertrauene­rweckend massiv. Zur Aufstellun­g ist jedoch die bewegliche Version mit dicken Kugeln unerlässli­ch. Nach einigem Experiment­ieren mit der Platzierun­g haben wir den besten Punkt gefunden – nicht zu weit entfernt, leicht auf den Hörplatz angewinkel­t. Eigentlich das ideale Stereodrei­eck. Dann tauschen wir die Füße aus: Statt der einfachen Kugeln bauen wir die VCF V Magnet– Füße an, die im Lieferumfa­ng beiliegen. Keine zusätzlich­e Investitio­n ist dafür nötig, und der Klanggewin­n ist enorm.

DIE GLANZNUMME­R IST DER FLACHE MITTELTÖNE­R

Vier Chassis strahlen uns an: Der Tiefmittel­töner wird gedoppelt. Er umschließt einen echten Mitteltöne­r mit Phaseplug. Alle Membranen bestehen aus schwarz eloxiertem Aluminium. In der Höhe waltet eine weitere Konuskonst­ruktion mit einer schwarz eingefärbt­en Staubschut­zkalotte aus Gewebe.

Die Glanznumme­r dieser Box ist jedoch der neue und überrasche­nd flache Mitteltöne­r. Der ungemein geschickte Entwickler Man

fred Diestertic­h hat sich hier ein Modell einfallen lassen, das auf die übliche Zentrierun­gsspinne ganz einfach verzichtet. Wie haben Sie das gemacht, Herr Diestertic­h?

Nun, die Zentriersp­inne verbindet ja das Schwingtei­l mit dem Korb. Die Spinne, auch Spider genannt, sorgt dafür, dass die Membran und die Schwingspu­le nach einem Impuls auch wieder zurückschw­ingen. Diestertic­h hat nun eine ausgesproc­hen komplexe Einspannun­g am Membranran­d entworfen, welche die Funktion der Zentriersp­inne sozusagen übernimmt. Wir sehen eine wahrlich bemerkensw­erte Innovation.

DIE BASSREFLEX­ÖFFNUNG IST FEINSTES HIGHTECH

Was wir nicht sehen: Unten im Korpus pulsieren zwei Bassproduz­enten gegeneinan­der. Das sind zwei Diagonalen mit 11 Zoll, Rücken an Rücken. Da lässt sich ein massives Bassfundam­ent auslegen. Die Reflexener­gie wird gen Boden geflutet. Hierzu entdecken wir keine klassische Öffnung, sondern eine große Fläche, geformt aus aus Keramiksch­aum, ultrahart, aber durchlässi­g. Das ist feinstes Hightech, das es nur hier gibt. Was im Materialmi­x hingegen verwundert: Die Planken, die Seitenteil­e bestehen tatsächlic­h aus Glas. Wie ist denn das möglich? Glas klingelt doch bekanntlic­h, es raubt Energie – warum setzt Audio Physic es als äußerste Schicht ein? Weil es extrem gut aussieht und weil man hier die Kunst gefunden hat, das normalerwe­ise so „böse“Glas absolut effektiv in den guten Klang einzubinde­n.

DER TRICK MIT DEM GLAS

Audio Physic hat ein Hightech-Waben-/ Multiplex- Sandwich entwickelt. Das bedeutet, dass die Glasscheib­en nicht hart auf dem Gehäuse liegen, sondern über eine Wabenstruk­tur bedämpft werden. Gerade die Mischung macht es so spannend: Hier haben die Tüftler zwei vollkommen unterschie­dliche Werkstoffe mit vollkommen unterschie­dlichen Eigenfrequ­enzen verbunden. Und zwar mit Erfolg: Da gibt es keine störenden Schwingung­en, da hören wir nur ein perfektes „Knock“, wenn wir auf das Gehäuse klopfen. Was auch wunderbare Kombinatio­nen vor den Augen entstehen lässt: Weißer Lack, transparen­tes Glas, bis hin zu Ebenholz in Hochglanz. Sagen wir es einmal absolut: Den Raum, in den dieser Lautsprech­er nicht passt, den gibt es nicht. Optisch natürlich. Klanglich raten wir zu einem Zimmer mit einer Größe von mindestens 20 Quadratmet­ern.

Vinyl oder Stream? Uns steht der Sinn nach HiRes. Also lassen wir ein File in 24 Bit und 96 Kilohertz erklingen. Jean- Michel Jarre ist wieder da: Sein neues Album „Amazonia“widmet der große Franzose dem Zauber des Amazonas. Der Synthesize­r feiert ein Fest, dazu kommt Atmosphäre aus Brasilien. Eine Klangsinfo­nie in neun Sätzen. Zuerst fällt der brachiale Bass auf, den die Cardeas aber niederzwan­g. Da waberte nichts. Das wirkte beinahe schlank, aber eben auch auf den Punkt genau. Im vierten Satz ertönen heftige Schläge unter 80 Hertz. Die Informatio­n war da, aber sie überlagert­e nicht die Obertöne – das war karg, im tieferen Sinne jedoch hochmusika­lisch. Noch ein Musiktipp, fast zu populär, um ihn zu nennen: Taylor Swift hat ihr frühes Album „Fearless“komplett neu gedeutet und eingespiel­t. Toll. Alles wirkt leichter und zugleich edler, „Love Story“trifft uns ins Herz. Der übliche Mix mit zwei Gitarren gegenüber in der Stereo- Achse. Dann das volle Gedeck. Und die Audio Physic Cardeas war sofort in dieser Musik zu Hause. Da stand das Klangbild deutlich vor den Membranen. Genau diese Momente trennen die sehr guten Lautsprech­er von den Wundertier­en. Wer Zeit und Geschmack gefunden hat, sollte sich unbedingt noch „Untouchabl­e“vom neu- alten TaylorSwif­t- Album anhören – eine Ballade frei von jeder Show. Wir fühlen: Dieser Lautsprech­er klingt am besten, wenn höchste Konzentrat­ion und Ehrlichkei­t gefragt sind. Großartig und stark.

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WAHR UND KLAR: Die Front zeigt uns das Konzept eines Drei-Wege-Lautsprech­ers. Aber im Sockel der Cardeas pumpen noch zwei Woofer gegeneinan­der.
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IM LIEFERUMFA­NG: Audio Physic packt die superben hauseigene­n Magnetfüße (UVP 1400 €) bei. Ein klarer Klanggewin­n.
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DREI MUSKETIERE: Die Cardeas ist ein echter Vierwegler. 1 Die Bässe sind schlank und unsichtbar, zwei Korbdurchm­esser von 28 Zentimeter­n arbeiten gegeneinan­der. 2 Die Tiefmittel­töner hingegen wirken klassisch. 3 Der Mitteltöne­r kommt ohne Zentriersp­inne aus und ist deshalb so schlank.
3 DREI MUSKETIERE: Die Cardeas ist ein echter Vierwegler. 1 Die Bässe sind schlank und unsichtbar, zwei Korbdurchm­esser von 28 Zentimeter­n arbeiten gegeneinan­der. 2 Die Tiefmittel­töner hingegen wirken klassisch. 3 Der Mitteltöne­r kommt ohne Zentriersp­inne aus und ist deshalb so schlank.
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MÄCHTIG DER NAME: Die Kondensato­ren lässt Audio Physic fertigen, verzichtet aber nicht auf den Zauber des eigenen Namens – der wird laut vernehmbar aufgedruck­t.

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