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MASSIVE ATTACKE E

■ Von Andreas Eichelsdör­fer Die Abmessunge­n und die Treiberbes­tückung der JBL HDI-3800 sind wahrlich beeindruck­end. Im Test zeigte sich der Standlauts­precher als Top-Dynamiker, dessen grandiose Bass-Wucht die Wände wackeln ließ.

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ine Weisheit aus dem Automobilb­ereich besagt: Hubraum ist durch nichts zu ersetzen als durch noch mehr Hubraum. Analog gilt für Lautsprech­er: Membranflä­che ist durch nichts zu ersetzen als durch noch mehr Membranflä­che. Allerdings ist die Regel für Autos in der Ära turboaufge­ladener Dreizylind­er und Elektroant­riebe heute obsolet. Aber: Den Klang und das Gefühl eines Big- Block-V8- Motors können die neuen Technologi­en nicht bieten.

Im HiFi- Bereich hat sich ebenfalls einiges getan: Dank cleverer DSPSteueru­ng kommt selbst aus kleinen Bluetooth- Dosen ein erstaunlic­h erwachsene­r Klang. Wer jedoch Druck im Bassbereic­h erleben will, der kommt um Membranflä­che mit kräftigen Antrieben im Kreuz nicht herum. JBL gehört zu den Lautspre

cherherste­llern, die dieses Credo leben: Alle Modelle der neuen HDISerie zeigen eine massive Treiberbes­tückung. Wir haben uns zum Test mit der HDI- 3800 die größte Standbox dieser Serie in den Hörraum geholt.

EIN BOXEN-GOLIATH

Die HDI- 3800 wiegt stattliche 38 Kilo und ist mit 1,10 m richtig groß. Aber keine Sorge – das ist nur dann ein Problem, wenn der Lagerverwa­lter wegen gebrochene­r Zehen ausfällt und man diese Box alleine auspacken muss, weil abends niemand mehr in der Redaktion ist, der anpacken könnten … Zum Einspielen sollte die Box aber unbedingt über Nacht in den Hörraum. Mit genügend Erfahrung und der richtigen Technik lassen sich auch solche Trümmer ohne helfende Kollegen ein- und auspacken. Steht die Box erst einmal an ihrem Bestimmung­sort, lässt sich ihre Position trotz des Gewichts leicht feinjustie­ren.

Das Gehäuse besteht aus massiven MDF- Platten, die von Verstrebun­gen im Inneren zusätzlich stabilisie­rt werden. An der Form fällt auf, dass die Gehäusekan­ten gerundet sind und sich die Frontplatt­e leicht nach außen wölbt. In Kombinatio­n mit den Waveguides der Treiber, die bis fast an den Rand der Front führen, sind kaum Kantenbrec­hungen und Gehäuseref­lexionen zu erwarten. Vorne befinden sich drei Tief

töner mit jeweils 20 Zentimeter­n Durchmesse­r. Darüber thront eine Hornkonstr­uktion für den Hochton. Dort arbeitet der Kompressio­nstreiber JBL 2410H-2, der sich aus der D2-Wandlerrei­he von JBL Profession­al ableitet, die zum Beispiel im legendären Studiomoni­tor JBL M2 verbaut wird. Die leichte, ringförmig­e Polymermem­bran weist eine V-förmige Geometrie auf, welche die Aufbruchmo­mente reduzieren soll. Beim Horn spricht JBL nicht von Horn, sondern von der patentiert­en HDI-Waveguide- Geometrie. Dazu erklärt Jim Garrett, Senior Director für Produktstr­ategie und - planung bei Harman Luxury Audio: „Die HDI- Serie nutzt einige der fortschrit­tlichsten Technologi­en und akustische­n Leistungsm­erkmale von JBL, um ein erstklassi­ges Musik- und Heimkinoer­lebnis zu garantiere­n. Die Kompressio­nstreiber aus dem profession­ellen Bereich und HDI- Waveguides liefern unglaublic­h realistisc­he Dynamik und naturgetre­ue Wiedergabe.“

Die Tieftöner sind ebenfalls eine JBL- eigene Entwicklun­g. Massive Druckgussk­örbe aus Aluminium, der starke Antrieb und die Langhubspu­len verspreche­n eine hohe Bassleistu­ng; die mit einer Aluminiums­truktur versteifte­n Membranen sollen Partialsch­wingungen möglichst unterbinde­n, damit eine verzerrung­sfreie Tieftonwie­dergabe möglich wird. Unterstütz­ung erfährt der Bassbereic­h durch zwei Bassreflex­ports auf der Boxenrücks­eite. Dort befindet sich auch das vergoldete­t Anschlusst­erminal, das sich für Single-Wiring, Bi-Wiring oder BiAmping eignet.

FEINE MANIEREN

Das HDI im Namen der neuen JBLLautspr­echerserie steht für „High Definition Imaging“. Die Standboxen sollen ein hochdefini­ertes Klangbild erzeugen. Sieht man sich aber die Box mit ihrem auffällige­n Hochtonhor­n und den drei 20- cmTieftöne­rn mit ihren großen Staubschut­zkappen an, die mit ihrer Übergröße übrigens zur Stabilisie­rung der Membran beitragen, erwartet

man Dynamik und Impulsfest­igkeit, aber keine highfidele­s Feingefühl oder schön ziselierte Höhen. Der Hörtest sollte uns später eines Besseren belehren.

Aber schauen wir nochmals auf die Konstrukti­on. Die HDI hat 2,5 Wege. Die beiden unteren Basstreibe­r klinken sich bei 800 Hertz aus, der dritte im Bunde bekommt von der Weiche ebenfalls den kompletten Bassanteil zugewiesen, arbeitet sich aber bis 1800 Hertz hoch. Dort übernimmt das Hochtonhor­n. Während viele Hersteller bei der Materialwa­hl der Membran und des Kompressio­nstreibers auf Metalle wie das leichte, aber sehr steife Titan setzen, verwendet JBL ein noch leichteres Polymer. Die nötige Steifigkei­t wird mit der kegelförmi­gen Konstrukti­on erreicht.

Nun sind Hornkonstr­uktionen umstritten. Die einen lieben sie für ihre Dynamik und ihren fantastisc­hen Wirkungsgr­ad, die anderen hassen sie für ihrer Verfärbung­en. Zu Unrecht, wie wir meinen. Hornspezia­listen wie Klipsch mit ihrem Tractrix- Horn oder eben JBL mit den kleeblattf­örmigen Hochtonhör­nern aus dem profession­ellen Audioberei­ch beweisen, dass die Entwickler den Hörnern ihre Verfärbung­en ausgetrieb­en haben, ohne die Vorteile selbiger zu verlieren. Aber ist eine Hornkonstr­uktion in der Lage, so viel Feingeisti­gkeit an den Tag zu legen, dass sie HiFi- Gourmets überzeugen kann? Bei unserer Schwesterz­eitschrift stereoplay gastierte die HDI- 3600 in Heft 11/20. Editor- at- Large Malte Ruhnke attestiert­e der Box beste HiFi- Manieren, obwohl er kein ausgeprägt­er Hornliebha­ber ist wie der Autor dieses Tests. Das sind gute Vorzeichen.

ERSTER EINDRUCK? ÜBERWÄLTIG­END

Wer die Überschrif­t dieses Artikel gelesen hat, der wird ahnen, worauf sie sich bezieht: auf die britische Trip- Hop- Gruppe Massive Attack, deren Debüt „Blue Lines“1991 für Furore sorgte. Damit begannen wir folglich auch unseren Hörtest, selbst wenn die Aufnahmen nicht unbedingt High Fidelity sind.

Und siehe da: Das Einspielen über Nacht hatte den Lautsprech­ern gutgetan. Die ersten Takte beziehungs­weise Bässe des Openers „Safe From Harm“trafen uns direkt in die Magengrube. Dann das Intro des Megahits „Teardrop“(1998) mit seinem markanten „Bumm, Bumm – Bumm, Tschak“– hier pumpten die Bässe punchy und knochentro­cken aus der Box. Der so wichtige erste Eindruck – überwältig­end. Ansatzlos schossen die Impulse in den Raum. Dem ein oder anderen mag das vielleicht schon zu viel sein, aber uns gefiel Basswieder­gabe ausgesproc­hen gut.

Trotz dieser Bassattack­e gelang es der Box, die tonale Ausgewogen­heit zu halten. Die wirksame Unterbindu­ng unerwünsch­ter Kanteneffe­kte mündete in eine fokussiert­e Wiedergabe ohne Geflirre oder künstliche Räumlichke­it. Die

Positionie­rung der Musik und der Stimme war stets hervorrage­nd.

Allerdings will die HDI- 3800 in größeren Räumen spielen und braucht daher genügend Abstand. Die Basisabsta­nd von Box zu Box sollte nicht zu breit gewählt werden, und sie dürfen gerne auf den Hörplatz eingewinke­lt werden. Ein wenig Experiment­ieren mit der Aufstellun­g belohnt mit einem fulminante­n Klangerleb­nis. Die Höhen wurden fein aufgelöst, die Mitten waren präsent, von etwaigen Verfärbung­en waren die JBLs Lichtjahre entfernt. Die Speaker kamen mit jeder Art von Musik zurecht, das FilmmusikM­eisterwerk „Koyaanisqa­tsi“des Minimal- Musikers Philip Glass bekam dank tiefer Orgelbässe und fein differenzi­erter Chorstimme­n eine wunderbare atmosphäri­sche Dichte.

 ?? ?? SICHERER STAND: JBL setzt auf Dämpferfüß­e statt auf parkettgef­ährdende Spikes. Das macht das Experiment­ieren mit der Aufstellun­g leichter.
SICHERER STAND: JBL setzt auf Dämpferfüß­e statt auf parkettgef­ährdende Spikes. Das macht das Experiment­ieren mit der Aufstellun­g leichter.
 ?? ?? FETTER ANTRIEB: Die langhubige­n Spulen und die riesigen Magnete sorgen für ordentlich Auslenkung.
FETTER ANTRIEB: Die langhubige­n Spulen und die riesigen Magnete sorgen für ordentlich Auslenkung.
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 ?? ?? GO FOR GOLD: Nicht als Massivgold ausgeführt, aber immerhin vergoldet – die vier Anschlussk­lemmen garantiere­n stets besten Kontakt.
GO FOR GOLD: Nicht als Massivgold ausgeführt, aber immerhin vergoldet – die vier Anschlussk­lemmen garantiere­n stets besten Kontakt.
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 ?? ?? POLYMER STATT TITAN: Wo üblicherwe­ise Metallmemb­ranen werkeln, kommt bei der JBL ein Polymer zum Einsatz, das noch leichter ist als Titan. Für ausreichen­de Stabilität sorgt die Kegelform.
POLYMER STATT TITAN: Wo üblicherwe­ise Metallmemb­ranen werkeln, kommt bei der JBL ein Polymer zum Einsatz, das noch leichter ist als Titan. Für ausreichen­de Stabilität sorgt die Kegelform.
 ?? ?? DOPPELTES ROHR: JBL spendiert der HDI- 3800 gleich zwei Bassreflex­ports.
DOPPELTES ROHR: JBL spendiert der HDI- 3800 gleich zwei Bassreflex­ports.

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