THE BEAT GOES ON
Von Rockbands wie den Foo Fighters zum Guru erklärt, stand Rupert Neve noch mit 94 Jahren seinen Mann – am Mischpult wie beim Entwurf des Fidelice Precision DAC.
Alte weiße Männer haben es heute nicht leicht. Nicht nur alltägliche Dinge werden ihnen immer mehr zur Last, der Zeitgeist hat für sie dieser Tage auch an jeder Ecke Fettnäpfchen aufgestellt, in die viele von ihnen nicht nur treten – sie tauchen geradezu in ihnen ab. Kaum zu glauben, dass einer, der 1926 in Großbritannien geboren wurde, sich bis zu seinem Ableben Anfang 2021 immer noch auf der Höhe der Zeit hielt, aktiv Maßstäbe setzte und dafür sogar von Jüngern der Rock- und Popkultur verehrt wurde.
Als Rupert Neve im zarten Alter von 13 Jahren in Argentinien, wo sein Vater Missionar war, mit dem Verkauf seiner ersten Radios begann, waren Röhren der letzte Schrei. Gegen Ende des zweiten Weltkriegs setzte der Hochbegabte Ausrufezeichen mit seinen kundenspezifischen Röhrenmischpulten für Musiker und Radiostationen und sammelte schon bald internationale Auszeichnungen. Sein Erfolgsrezept basierte auf der Kombination von Class- A- Schaltungen und Ausgangsübertragern, die auf niedrige Spannungen optimiert waren. Dieser
Trick ließ seine Transistor- Mischpulte in den 60ern so warm und musikalisch klingen wie Fabrikate mit Röhren. Diese Formel findet sich auch im Fidelice Precision Digital-To- Analog- Converter, kurz: Precision DAC, der unter dem Dach seiner 2005 in Texas gegründeten Firma Rupert Neve Designs entstand, wo er nach dem Verkauf seiner bisherigen Unternehmungen neben preisgekrönten Studiogeräten Kopfhörer- und PhonoPre-Amps sowie unseren D/A-Wandler konstruierte. Was der „Einstein des Mischpults“(Nirvana- Drummer Dave
Grohl) hier geschaffen hat, wirft nicht nur beim trapezförmigen Design mit rotem Lautstärkeknopf aus eloxiertem Aluminium oder Holzapplikation auf der Oberseite Konventionen über Bord.
KÖNNTE FAST EINE RÖHRE SEIN
Auch beim technischen Konzept schlug Rupert Neve wieder eigene Wege ein. So handelt es sich bei dem Precision DAC genau genommen um eine Kombination aus D/A-Wandler, Vorstufe und Kopfhörerverstärker. Auch wenn das nostalgischeigenwillige Design den Anfangsverdacht auf Röhren im Inneren nährt, bedient sich Neve hier ausschließlich modernster Bauteile mit Halbleitertechnik – vulgo Transistoren.
Allerdings erspäht man unter dem geschlitzten Aluminumdeckel links auf der Audioplatine zwei kleine, nach Maß gefertigte Transformatoren. Spätestens auf den zweiten Blick wird auch jenen, die nicht mit den Schaltungskonzepten des genialen Entwicklers vetraut sind, klar: Die beiden stehen nicht mit der Spannungsversorgung in Verbindung. Stattdessen – man ahnt es nach dem anfänglichen Exkurs in Neves Konstruktionsphilosophie – fungieren sie als Übertrager für den symmetrischen XLR- Ausgang. So soll der Precision DAC smooth und musikalisch wie ein Röhrengerät klingen und die hohe Bandbreite moderner Halbleiter nutzen, die mit HiRes- Kost schnurgerade bis 100 Kilohertz reicht. Auch beim Blick auf den in unserem Messlabor ermittelten Rauschabstand von 115 dB wird die Sonderstellung des Neve- Konzepts deutlich. Offensichtlich haben wir es hier eben nicht mit dem Spätwerk einer Legende zu tun, das nur vom einstigen Ruhm und dem großen Namen zehrt. Chapeau!
Zum Anschluss des Precision DAC an Endstufen oder Aktiv- Lautsprecher stehen ein Cinch- und ein symmetrischer XLR-Ausgang bereit. Dazu kommen drei dedizierte Kopfhörerausgänge: ein asymmetrischer Klinkenanschluss sowie je eine symmetrische 4- Pol-XLR- und Pentaconn- Buchse. Um auch leistungshungrige Kopfhörer zu betreiben, lässt sich die Verstärkung mit einem High- GainSchalter hochfahren.
Eine Elektronik von solchem Schlag verlangt nach einem leistungsfähigen Digital- Analog- Converter- Chip. Neve nutzt einen AKM AK4497. Dabei handelt es sich um das Flaggschiff von Asahi Kasei Microdevices mit 32- Bit- Architekur, die der verheißungsvolle Namen „Velvet Sound“ziert. Laut Spezifikationen schafft der Zwei- Kanal- DAC über 130 dB Systemdynamik. Seine maximal möglichen 768 MHz Abtastrate für PCMTon nutzt der AK4497 im Neve- DAC
zwar auch über USB nicht ganz aus – er begnügt sich mit 384 kHz –, aber bei DSD kommen dann die vollen 22,4 MHz, sprich DSD512, zur Geltung. Damit lässt sich der Precision DAC via USB- B am Rechner als externe Soundkarte der Superlative verwenden. Über einen DipSchalter auf der Rückseite lassen sich verschiedene Digitalfilter- Charakteristiken, Gruppenlaufzeiten und der HighQuality- Mode des AKM- DACs anwählen. Man kann den Fidelice sogar auch statt mit USB oder seinem koaxialen und optischen S/ PDIF- Eingang über einen symmetrischen und asymmetrischen Analog- Eingang als puristischen Vorverstärker nutzen.
DEN WÜRDE DER KÜNSTLER KAUFEN
Im Hörtest erfreute der Fidelice Precision DAC mit einer mitreißend satten und stimmigen Performance. Alles, was man vor einem solchen Test über den Exoten aus Wimberley im US- Bundesstaat Texas aufgrund seiner langen Ahnenreihe ahnen konnte, sollte sich bewahrheiten. Er bot eine Neutralität, wie man sie von Studiogeräten kennt und schätzt, wirkte dabei aber niemals nüchtern oder blutleer. Sehr schön konnte man bei Live- Aufnahmen wie dem Album „Live At Pompeii“des PinkFloyd- Gitarristen David Gilmour die Tiefe der Konzertarena nachvollziehen, wenn das Publikum etwa bei „Wish You Were Here“mitsang. Doch nicht nur die Tiefe ließ sich erleben, der DAC baute auch eine besonders hohe imaginäre Bühne vor dem Hörer auf.
Dabei gelang es dem Fidelice, jedes noch so subtile, teils selten in jener Güte gehörte Detail in einen musikalischen Spannungsbogen einzubinden, der das bewirkt, was einen echten Genießer einen mittleren vierstelligen Betrag allein für einen vielseitgen Kopfhörer- DAC mit Vorverstärker- Funktion ausgeben lässt: Er erzeugte Emotionen und vermittelte einen Eindruck von den Intentionen der Künstler, woran Impulswiedergabe, Basspunch und Timing- Präzision ebenfalls einen großen Anteil hatten.