The Acoustic Family
Der große Akustikgitarrist Peter Finger gründete 1989 das Label Acoustic Music. Das wurde ein voller Erfolg, wie viele herrliche Alben mit Topgitarrenmusik zeigen.
Nein, diese Story hat sich kein Unternehmensberater ausgedacht. Und doch klingt sie nach einem Lehrbuchkapitel zum Erfolg von antizyklischem Denken. 1989 beginnt das Osnabrücker Label „Acoustic Music“, wo die Karriere seines Gründers zu versanden scheint: Peter Finger kann zwar als virtuoser Akustikgitarrist alleine auf sechs Saiten ein komplettes Orchester spielen; seine Kompositionen greifen die ganze Palette von FolkBlues über Jazz, Latin, Rock und Strawinsky samt atemberaubender Mixturen aus all diesem geradezu genial auf.
Genau diese Kunst der Akustikgitarre aber gilt – nach ihrer Blütezeit in den 70erJahren – plötzlich als Auslaufmodell. Die seinerzeit florierenden kleinen Labels darben oder gehen ganz ein; die großen scheuen solch unrentable Geschichten. Um überhaupt eine Plattform für sich zu haben, macht Finger sein eigenes Label auf. Ziel: eine kleine feine Reihe von zehn eigenen Akustikgitarrenalben im Portfolio – selbst produziert, selbst vertrieben.
Professionalität und Qualität
Im Grunde ein todsicheres Rezept fürs Scheitern – hätte er die Betonung nicht auf „fein“gelegt. Er weiß aus Produktionen für Rundfunkanstalten, dass der hemdsärmelige Charme von Kofferplattenspieler- Sound und unfreiwilligem Hundegebell im Hintergrund nicht mehr zieht; da haben inzwischen nicht nur die Besitzer teurer Stereoanlagen Ansprüche. Auch Covers wie aus der Festschrift eines Dorfschützenvereins locken keinen Hund mehr hinterm Ofen hervor. Was Finger vorschwebt, ist der Dreiklang aus Professionalität, Qualität und state of the art – von der Aufnahmequa
lität über die Verpackung, von der Musik über den Vertrieb bis hin zur PR. Wer bestehen will, muss das Image von Akustikgitarrenmusik à la Finger gründlich entstauben.
Dabei geht es schon bald nicht mehr nur um seine Gitarrenmusik. Hochtalentierte Labelsuchende aus aller Welt, in der gleichen Klemme wie der Osnabrücker kürzlich selber noch, lechzen nach jeglicher Aufnahmemöglichkeit und finden hier den Heiligen Gral: ein versierter Akustikgitarrist, Liebhaber guter Musik, exzellentes Ohr, umgänglicher, bodenständig-strukturierter Mann ohne Dollarzeichen statt Pupillen und mit kompromissloser Qualitätsvorstellung auf Schritt und Tritt bei jedem Projekt – Finger hält absolut alles ganz bewusst in seiner Hand, damit nirgends aus angeblicher Marktkompatibilität Abstriche gemacht werden.
Bald nach der ersten Fremdproduktion mit dem großartigen Belgier Jacques Stotzem gibt sich jedenfalls in Osnabrück die komplette Creme der zeitgenössischen Akustikgitarristen die Klinke in die Hand. Zugleich wird Acoustic Music Anlaufstelle für Akustikgitarrenfans – sie bekommen hier das, was sie seit Jahren vermissen, und das in bis dahin unerreichter Qualität (künstlerisch wie tontechnisch), Quantität und Vielfalt. Binnen weniger Jahre erzeugt das Label als Perpetuum Mobile die Energie, die es verbraucht, ständig selbst. Immer neue Künstler werden angezogen, immer mehr Kunden schätzen die Musik des Labels, und immer mehr Gitarristen werden ermutigt, musikalisch ebenfalls in diese Richtung zu gehen.
Moderner Fingerstyle
Und die heißt in den meisten Fällen: moderner, zeitgenössischer Fingerstyle. Der Ursprung dieser Spieltechnik, die sechs Saiten zur ganzen Band macht, liegt im Blues und Ragtime der 20er- und 30er- Jahre in den USA: Arme Farbige und Wandermusiker, die sich ein Klavier weder finanziell noch logistisch leisten können, entwickeln auf der mühelos tragbaren Gitarre eine Zupftechnik, bei der der rechte Daumen die Funktion der linken Klavierhand übernimmt und die restlichen Zupffinger die der rechten.
Diese verblüffend einfache und praktische Idee klingt in der Umsetzung nicht nur überraschend nach zwei oder noch mehr Instrumenten, sondern wird sich eine Generation später auch als erstaunlich universell anwendbar erweisen: Ein Scott- Joplin- Rag lässt sich damit genauso gut spielen wie ein Jazzklassiker, ein Bossa- Nova- Standard, ein BeatlesSong, eine irische Jig, eine Diana- RossDisco- Nummer oder eine „Bourrée“von Bach. Vorwiegend auf Stahlsaitengitarren amerikanischen Ursprungs und mit hauchzart durchschimmerndem BluesAnsatz und - Groove gezupft, klingt sogar ein Renaissancestück einen Tick tänzerischer, beschwingter und cooler als von einem klassischen Gitarristen.
Und darüber hinaus ermöglicht die Spieltechnik stilistisch ganz neue, komplexe und ganz eigene Kompositionen für coole Gitarre, wie sie ab Mitte der 60er entstehen und ab Anfang der 90er zunehmend von den weltweit größten Könnern bei Acoustic Music eingespielt werden. Das Label schafft den Spagat, für traditionellen Fingerstyle ebenso offen zu sein wie für modernen Fingerstyle-Impressionismus, Weltmusik und Jazz (und nicht ausschließlich auf Gitarre), ohne sich dabei bis zur Unkenntlichkeit zu diversifizieren: „Fast alles“, so Peter Finger, „funktioniert besser, wenn man als Spezial- Label auftritt.“Mit der Kontinuität eines kleinen, über die Jahre ganz eng zusammengewachsenen Teams gestaltet er, der nebenbei tatsächlich auch immer noch selbst zum Gitarrespielen, Komponieren und Veröffentlichen kommt und inzwischen sogar High- EndAkustikgitarren baut, ein rasantes, anfangs niemals für möglich gehaltenes Wachstum.
Der SpaSS bleibt wichtig
Manch eher bescheidene Verkaufszahl wird durch Erfolge anderer Produktionen querfinanziert; dem Chef ist es noch nie um den großen Profit gegangen: „Ich möchte Spaß dabei haben.“Nach über 30 Jahren Spaß und viel Erfolg – es hat den Preis der Deutschen Schallplattenkritik fürs Lebenswerk und für etliche Einzelproduktionen gegeben – denkt Peter Finger noch immer antizyklisch. Wo andere in immer raffiniertere Filtersoftware investieren, um die jeweiligen Sounds in die gewünschte Richtung zu bearbeiten, möchte Peter Finger noch puristischer und natürlicher arbeiten. Ihm reicht es, sehr gute Mikrofone zu haben und sehr gute Hallgeräte. Um das exzellent einzufangen, was sein Label verspricht: Acoustic Music.