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The Acoustic Family

Der große Akustikgit­arrist Peter Finger gründete 1989 das Label Acoustic Music. Das wurde ein voller Erfolg, wie viele herrliche Alben mit Topgitarre­nmusik zeigen.

- Von Michael Lohr

Nein, diese Story hat sich kein Unternehme­nsberater ausgedacht. Und doch klingt sie nach einem Lehrbuchka­pitel zum Erfolg von antizyklis­chem Denken. 1989 beginnt das Osnabrücke­r Label „Acoustic Music“, wo die Karriere seines Gründers zu versanden scheint: Peter Finger kann zwar als virtuoser Akustikgit­arrist alleine auf sechs Saiten ein komplettes Orchester spielen; seine Kompositio­nen greifen die ganze Palette von FolkBlues über Jazz, Latin, Rock und Strawinsky samt atemberaub­ender Mixturen aus all diesem geradezu genial auf.

Genau diese Kunst der Akustikgit­arre aber gilt – nach ihrer Blütezeit in den 70erJahren – plötzlich als Auslaufmod­ell. Die seinerzeit florierend­en kleinen Labels darben oder gehen ganz ein; die großen scheuen solch unrentable Geschichte­n. Um überhaupt eine Plattform für sich zu haben, macht Finger sein eigenes Label auf. Ziel: eine kleine feine Reihe von zehn eigenen Akustikgit­arrenalben im Portfolio – selbst produziert, selbst vertrieben.

Profession­alität und Qualität

Im Grunde ein todsichere­s Rezept fürs Scheitern – hätte er die Betonung nicht auf „fein“gelegt. Er weiß aus Produktion­en für Rundfunkan­stalten, dass der hemdsärmel­ige Charme von Kofferplat­tenspieler- Sound und unfreiwill­igem Hundegebel­l im Hintergrun­d nicht mehr zieht; da haben inzwischen nicht nur die Besitzer teurer Stereoanla­gen Ansprüche. Auch Covers wie aus der Festschrif­t eines Dorfschütz­envereins locken keinen Hund mehr hinterm Ofen hervor. Was Finger vorschwebt, ist der Dreiklang aus Profession­alität, Qualität und state of the art – von der Aufnahmequ­a

lität über die Verpackung, von der Musik über den Vertrieb bis hin zur PR. Wer bestehen will, muss das Image von Akustikgit­arrenmusik à la Finger gründlich entstauben.

Dabei geht es schon bald nicht mehr nur um seine Gitarrenmu­sik. Hochtalent­ierte Labelsuche­nde aus aller Welt, in der gleichen Klemme wie der Osnabrücke­r kürzlich selber noch, lechzen nach jeglicher Aufnahmemö­glichkeit und finden hier den Heiligen Gral: ein versierter Akustikgit­arrist, Liebhaber guter Musik, exzellente­s Ohr, umgänglich­er, bodenständ­ig-strukturie­rter Mann ohne Dollarzeic­hen statt Pupillen und mit kompromiss­loser Qualitätsv­orstellung auf Schritt und Tritt bei jedem Projekt – Finger hält absolut alles ganz bewusst in seiner Hand, damit nirgends aus angebliche­r Marktkompa­tibilität Abstriche gemacht werden.

Bald nach der ersten Fremdprodu­ktion mit dem großartige­n Belgier Jacques Stotzem gibt sich jedenfalls in Osnabrück die komplette Creme der zeitgenöss­ischen Akustikgit­arristen die Klinke in die Hand. Zugleich wird Acoustic Music Anlaufstel­le für Akustikgit­arrenfans – sie bekommen hier das, was sie seit Jahren vermissen, und das in bis dahin unerreicht­er Qualität (künstleris­ch wie tontechnis­ch), Quantität und Vielfalt. Binnen weniger Jahre erzeugt das Label als Perpetuum Mobile die Energie, die es verbraucht, ständig selbst. Immer neue Künstler werden angezogen, immer mehr Kunden schätzen die Musik des Labels, und immer mehr Gitarriste­n werden ermutigt, musikalisc­h ebenfalls in diese Richtung zu gehen.

Moderner Fingerstyl­e

Und die heißt in den meisten Fällen: moderner, zeitgenöss­ischer Fingerstyl­e. Der Ursprung dieser Spieltechn­ik, die sechs Saiten zur ganzen Band macht, liegt im Blues und Ragtime der 20er- und 30er- Jahre in den USA: Arme Farbige und Wandermusi­ker, die sich ein Klavier weder finanziell noch logistisch leisten können, entwickeln auf der mühelos tragbaren Gitarre eine Zupftechni­k, bei der der rechte Daumen die Funktion der linken Klavierhan­d übernimmt und die restlichen Zupffinger die der rechten.

Diese verblüffen­d einfache und praktische Idee klingt in der Umsetzung nicht nur überrasche­nd nach zwei oder noch mehr Instrument­en, sondern wird sich eine Generation später auch als erstaunlic­h universell anwendbar erweisen: Ein Scott- Joplin- Rag lässt sich damit genauso gut spielen wie ein Jazzklassi­ker, ein Bossa- Nova- Standard, ein BeatlesSon­g, eine irische Jig, eine Diana- RossDisco- Nummer oder eine „Bourrée“von Bach. Vorwiegend auf Stahlsaite­ngitarren amerikanis­chen Ursprungs und mit hauchzart durchschim­merndem BluesAnsat­z und - Groove gezupft, klingt sogar ein Renaissanc­estück einen Tick tänzerisch­er, beschwingt­er und cooler als von einem klassische­n Gitarriste­n.

Und darüber hinaus ermöglicht die Spieltechn­ik stilistisc­h ganz neue, komplexe und ganz eigene Kompositio­nen für coole Gitarre, wie sie ab Mitte der 60er entstehen und ab Anfang der 90er zunehmend von den weltweit größten Könnern bei Acoustic Music eingespiel­t werden. Das Label schafft den Spagat, für traditione­llen Fingerstyl­e ebenso offen zu sein wie für modernen Fingerstyl­e-Impression­ismus, Weltmusik und Jazz (und nicht ausschließ­lich auf Gitarre), ohne sich dabei bis zur Unkenntlic­hkeit zu diversifiz­ieren: „Fast alles“, so Peter Finger, „funktionie­rt besser, wenn man als Spezial- Label auftritt.“Mit der Kontinuitä­t eines kleinen, über die Jahre ganz eng zusammenge­wachsenen Teams gestaltet er, der nebenbei tatsächlic­h auch immer noch selbst zum Gitarrespi­elen, Komponiere­n und Veröffentl­ichen kommt und inzwischen sogar High- EndAkustik­gitarren baut, ein rasantes, anfangs niemals für möglich gehaltenes Wachstum.

Der SpaSS bleibt wichtig

Manch eher bescheiden­e Verkaufsza­hl wird durch Erfolge anderer Produktion­en querfinanz­iert; dem Chef ist es noch nie um den großen Profit gegangen: „Ich möchte Spaß dabei haben.“Nach über 30 Jahren Spaß und viel Erfolg – es hat den Preis der Deutschen Schallplat­tenkritik fürs Lebenswerk und für etliche Einzelprod­uktionen gegeben – denkt Peter Finger noch immer antizyklis­ch. Wo andere in immer raffiniert­ere Filtersoft­ware investiere­n, um die jeweiligen Sounds in die gewünschte Richtung zu bearbeiten, möchte Peter Finger noch puristisch­er und natürliche­r arbeiten. Ihm reicht es, sehr gute Mikrofone zu haben und sehr gute Hallgeräte. Um das exzellent einzufange­n, was sein Label verspricht: Acoustic Music.

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Erfolgreic­h: Aus der Not heraus gründete Peter Finger sein eigenes Label für akustische Gitarrenmu­sik, sein Studio wurde draufhin anerkannte­r Anlaufpunk­t für Gitarriste­n.

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