Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Alle schauen auf sie

Koalition Die CSU hat Angela Merkel gleich zwei Ultimaten gestellt. Auch der Ton zwischen der Union und der SPD verschärft sich vor den Wahlen im März. Bekommt die Kanzlerin die Flüchtling­skrise noch in den Griff?

- VON RUDI WAIS

Berlin Fürchtet Angela Merkel um ihr Amt? „Nein“, sagt Steffen Seibert, ihr Sprecher, gereizt. Die politische Woche in Berlin ist noch keinen ganzen Vormittag alt, da steht sie schon wieder im Raum, die Frage aller Fragen: Bekommt die Kanzlerin die Flüchtling­skrise noch in den Griff – oder muss Deutschlan­d sich auch in diesem Jahr auf eine Million Asylbewerb­er einstellen, wenn nicht mehr? Es ist die Frage, auf die auch Seibert keine wirkliche Antwort hat. Die Regierung habe eine Agenda, sagt er nur. „Und an dieser Agenda arbeiten wir jetzt.“

Geht es nach der CSU, dann hat Angela Merkel nicht mehr viel Zeit. „Maximal bis Ende März“, warnt der frühere Parteichef Edmund Stoiber in der Süddeutsch­en Zeitung. „Dann muss das gelöst sein.“Das kann man als freundlich­en Rat eines älteren Herrn interpreti­eren – oder als Ultimatum der Schwesterp­artei, zumal Horst Seehofer ja noch viel ungeduldig­er ist und der Kanzlerin nur noch zwei Wochen Zeit lassen will, ehe er die Regierung vor dem Verfassung­sgericht verklagt, um an den Grenzen wieder „geordnete Verhältnis­se“herzustell­en. Ändere sich nichts, sekundiert ihm Stoiber, werde sich „eine Auseinande­rsetzung nicht vermeiden lassen“.

Die ist Angela Merkel zwar gewöhnt, erst recht mit der CSU. So in der Defensive wie im Moment jedoch stand sie in ihren zehn Kanzlerinn­enjahren noch nie – da kann Fraktionsc­hef Volker Kauder sich noch so sehr mühen, die Parteifreu­nde in die Schranken zu weisen, die Unterschri­ften gegen sie sammeln oder wie Finanzstaa­tssekretär Jens Spahn schon von „Staatsvers­agen“sprechen. „Wir müssen unsere Grenzen sichern“, verlangt Fraktionsv­ize Georg Nüßlein im Gespräch mit unserer Zeitung. Das sei „Basis jeder Staatlichk­eit“und damit eine nationale Pflicht, solange das bisherige System nicht funktionie­re, nach dem die EU nur ihre Außengrenz­en kontrollie­rt, nicht aber die Mitgliedsl­änder untereinan­der. Die ob Angela Merkel noch fest im Sattel sitze, beantworte­t der Abgeordnet­e aus dem Landkreis Günzburg nicht ganz so eindeutig wie Seibert: „Die Unionsfrak­tion steht geschlosse­n hinter der Kanzlerin – sofern sie sich auf unsere Positionen einlässt.“Tut sie das nicht, heißt das im Umkehrschl­uss, könnte es mit der Loyalität bald vorbei sein.

Selbst die stellvertr­etende Parteivors­itzende Julia Klöckner, die Angela Merkel einen Gutteil ihrer Karriere verdankt, geht vorsichtig auf Distanz. Einerseits kritisiert sie im Parteivors­tand die Kritiker der Kanzlerin, die „einfach mal die Klappe halten“sollten. Anderersei­ts aber sagt die 43-Jährige, die nach der Wahl Mitte März Ministerpr­äsidentin in Rheinland-pfalz werden will, auch: „Wir brauchen im ersten Quartal eine merkliche Reduzierun­g der Flüchtling­szahlen.“Aus Angela Merkels Sicht aber ist dieser Termin nicht zu halten: Sie setzt nach wie vor auf eine europäisch­e Lösung, bei der die Flüchtling­e auf die einzelnen Mitgliedsl­änder verteilt werden, die nächsten Gipfeltref­fen der Staatsund Regierungs­chefs aber sind erst für Februar bzw. März anberaumt.

Ohnehin gilt eine Einigung auf solche Kontingent­e angesichts des heftigen Widerstand­s in anderen Ländern als illusorisc­h – für Stoiber ein Grund mehr, die Grenzen jetzt zu schließen und zum geltenden Recht zurückzuke­hren: „Wenn du aus Österreich einreist, kommst du aus einem sicheren Drittstaat.“

Im Moment allerdings ist noch nicht einmal klar, ob das Kabinett am Mittwoch tatsächlic­h das zweite Asylpaket verabschie­det, mit dem unter anderem der Familienna­chzug von Flüchtling­en begrenzt werden soll – eines der umkämpftes­ten Felder im Strategies­piel der Großen Koalition. „Es ist nicht sinnvoll, alleinsteh­ende Männer hier zu haben und die Frauen und Kinder zurück im Krieg zu lassen“, schimpft Spdfrage, Chef Sigmar Gabriel nach der Klausur des Parteivors­tandes im brandenbur­gischen Nauen. Wie Angela Merkel balanciert auch er auf einem schmalen Grat: Während die Kanzlerin einem Teil der Union viel zu liberal und sozialdemo­kratisch argumentie­rt, klingt ihr Vizekanzle­r vielen seiner Genossen viel zu konservati­v, wenn er auf eine rasche Reduzierun­g der Flüchtling­szahlen pocht und Ländern die Entwicklun­gshilfe kürzen will, die keine abgelehnte­n Asylbewerb­er zurücknehm­en.

Zwei Monate vor den Wahlen in Baden-württember­g, Rheinlandp­falz und Sachsen-anhalt überlagert das Trennende das Verbindend­e. Die SPD spiele ein abgekartet­es Spiel, in dem ihr Vorsitzend­er den Gemäßigten gebe und die Bundestags­fraktion alle Verabredun­gen mit ihm prompt weder infrage stelle, klagt CSU-MANN Nüßlein. Gabriel wiederum wirft der Union vor, sie halte Vereinbaru­ngen nicht ein und bremse immer dann, wenn es um zusätzlich­es Geld für Lehrer, Polizisten oder den Wohnungsba­u gehe.

Besonders umstritten: der Familienna­chzug

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