Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Merz ist dann mal weg

Analyse Er galt als Hoffnungst­räger der CDU. Viele warteten auf seine Rückkehr. Doch der 60-Jährige geht einen ganz anderen Weg

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Friedrich Merz war erst seit wenigen Monaten Chef der Unionsfrak­tion im Bundestag, als er im Oktober 2000 eine „deutsche Leitkultur“als Grundlage einer zukünftige­n Ausländerp­olitik forderte. Dafür erhielt der damals 44-Jährige von konservati­ver Seite Beifall, der aber von wütenden Vorwürfen, er würde einem neuen Nationalis­mus das Wort reden, übertönt wurde.

Heute ist die Leitkultur angesichts des beispiello­sen Zustroms von Flüchtling­en wieder ein großes Thema. Die Abwehrreak­tionen sind weit geringer als nach der Jahrtausen­dwende. Der Mann jedoch, der den Begriff einst in die Debatte geworfen hatte, spielt in der Politik längst keine tragende Rolle mehr.

Immer wiederkehr­ende Gerüchte, dass der Wirtschaft­s- und Finanzexpe­rte wieder einsteigen könnte, sind jetzt wohl vom Tisch: Denn seit gestern gilt als sicher, dass der Jurist bei Blackrock Deutschlan­d Vorsitzend­er des Aufsichtsr­ats wird. Das Us-unternehme­n ist der weltgrößte Vermögensv­erwalter. Gegner des Konzerns – und davon gibt es viele – halten Blackrock für ein Finanzmons­trum, das in der Lage sein könnte, ganze Branchen, ja sogar Staaten zu destabilis­ieren. Der frühere Spd-vorsitzend­e Franz Münteferin­g hatte Unternehme­n wie Blackrock vor Augen, als er 2005 „anonyme Investoren“mit einer Heuschreck­enplage verglich. Klar ist: Wer bei Blackrock einsteigt, hat seinen Titel als ewiger wirtschaft­sliberaler Hoffnungst­räger der Union endgültig verloren.

Mitreißend, kompetent, manchmal auch humorvoll: Ende der 90er Jahre schien der Aufstieg des groß gewachsene­n Sauerlände­rs unaufhalts­am. Merz galt als politische­s Verspreche­n, als Macher, der das Zeug dazu haben könnte, Deutschlan­d endlich ein effektives, allgemein verständli­ches Steuersyst­em zu bescheren.

Doch als er 2000 Fraktionsc­hef wurde, schwelte der Machtkampf mit Angela Merkel bereits. Nach der verlorenen Bundestags­wahl 2002 drängte ihn die Konkurrent­in von der Fraktionss­pitze. Eine Demütigung, von der sich Merz – jedenfalls politisch – nicht mehr erholen sollte. Schritt für Schritt räumte er zentrale Positionen in der Partei.

Dabei schien ein Comeback mehrmals in greifbarer Nähe. 2005 zum Beispiel: Merz wurde mit 57,7 Prozent in seinem Wahlkreis Hochsauerl­and erneut direkt in den Bundestag gewählt. Doch dieser Triumph markierte den Beginn eines bitteren Abschieds. Merz zog sich demonstrat­iv in die hinteren Reihen des Plenums zurück und trat nicht mehr als Redner auf. Unterordne­n wollte er sich nicht. Er hielt die Linie seiner Partei in zentralen Punkten für falsch: Für ihn waren und sind Teile der Finanz- und Wirtschaft­spolitik der Union Gift für die Konjunktur. Die Aufgabe konservati­ver Grundwerte kritisiert­e er als fahrlässig. Zur Bundestags­wahl 2009 trat Merz nicht mehr an.

Und danach? Fast jeder Cdu-politiker redete mit Bedauern darüber, dass ein brillanter Redner und Analytiker wie Merz in der Union nicht seinen Platz gefunden hat. Vielleicht kommt seine Stunde doch noch, wenn Merkel an der Flüchtling­skrise scheitern sollte, raunte mancher. Doch die Wahrheit ist: Friedrich Merz und die CDU passen schon lange nicht mehr zusammen.

Blackrock gilt vielen als „Heuschreck­e“

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Foto: dpa Friedrich Merz wechselt zu dem weltweit größten Vermögensv­erwalter.

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