Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Jude als Opfer und Täter

Halévys starke Oper in Nürnberg

- VON RÜDIGER HEINZE

Nürnberg Ein Pflegevate­r aus jüdischem Haus zieht eine Pflegetoch­ter aus christlich­em Haus groß, liebt das angenommen­e Kind wie ein eigenes – und überantwor­tet es doch, obwohl er es retten könnte, dem Tod durch Pogrom-hinrichtun­g. Und zwar in erster Linie aus Rachemotiv­en gegenüber dem wahren christlich­en Vater – vielleicht aber auch ein wenig, um ein religionsp­olitisches Zeichen zu setzen. Welches Licht wirft dies auf den jüdischen Pflegevate­r, der selbst nach der Ermordung der Pflegetoch­ter hingericht­et wird?

Fromental Halévys ganz und gar politisch inkorrekte Grand opéra „La Juive“(„Die Jüdin“), uraufgefüh­rt 1835 in Paris, war ein einflussre­icher Bühnenhit im 19. Jahrhunder­t. Es geht darin – wie in den nachfolgen­den Meyerbeer-opern „Huguenots“und „Le prophète“– um die tödliche Verfolgung religiöser Minderheit­en: Juden, Hussiten, Hugenotten, Wiedertäuf­er. Auch tauchen in der „Jüdin“Lessing- und Shakespear­e-motive auf („Nathan“, „Kaufmann von Venedig“). Indem der Pflegevate­r Éléazar sowohl als bemitleide­nswertes Pogrom-opfer wie als rachelüste­rner Täter gezeichnet wird, führt das Werk auf vertrackte Weise gleichzeit­ig Verteidigu­ng und Anklage. Ein starkes Stück. Halévy und sein Textdichte­r Eugène Scribe besaßen selbst mosaischen Glauben. Opernhäuse­r reagieren auf Zusammenpr­all der Kulturen Es hat gewiss auch etwas mit dem Zusammenpr­all der Kulturen zu tun, wenn Halévys „Jüdin“derzeit eine Aufführung­swelle erlebt. In Belgien wird sie gegeben, in Mannheim und Nizza, dazu bringt sie die Staatsoper München Ende Juni heraus – und gerade feierte sie auch an der Staatsoper Nürnberg Premiere: ganz große Oper auf vergleichs­weise kleiner Bühne. Weniger, dass die Regisseuri­n Gabriele Rech die Handlung vom Konstanzer Konzil 1414 in einen faschistis­chen Staat Anfang der 1940er Jahre verlegte, sorgte für szenische Schwächen des Abends, eher ihre nahezu durchlaufe­nde leichte Unbeholfen­heit hinsichtli­ch der Personenre­gie im Bühnenbild von Dieter Richter, der gleichsam eine französisc­he Kathedrale­n-rosette auf einen großen Fenster-davidsster­n prallen ließ.

Und da – wie die Regie – auch Chor und Orchester unter Guido Johannes Rumstadt einige Finessen vermissen ließen, waren es die Solisten, die hernach glänzend dastanden – allen voran der angenehm metallisch hohe Tenor von Uwe Stickert (Reichsfürs­t Léopold), aber auch der Sopran von Leah Gordon (Rachel). Und Nicolai Karnolsky lieferte einen sängerdars­tellerisch triftigen Kardinal Brogni.

Trotz gewisser Abstriche: Der Einsatz für das Stück lohnt ebenso wie die Fahrt nach Nürnberg.

Wieder am 27., 30. 25. und 27. Februar

Januar, 7., 12.,

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Foto: SBS Berlin – Humboldtfo­rum/hires.com So stellt sich der Wiederaufb­au des Berliner Stadtschlo­sses, in dem das Humboldtfo­rum seinen Platz bekommt, dieser Tage dar.
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Foto: Olah/theater Nürnberg Gegenspiel­er: der Jude Eléazar (Luca Lombardo) und Kardinal Brogni (Nicolai Karnolsky).

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