Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Mittel gegen Schmerz brachte den Tod
Medizin Zuerst dachten die Ärzte an Schlaganfall. In Wirklichkeit starb ihr Patient nach einem Medikamententest. Sein Tod ist völlig rätselhaft. Doch Frankreich will die Studien fortsetzen
Paris Als sich Frankreichs Gesundheitsministerin Marisol Touraine gestern endlich öffentlich zu dem Todesfall bei einem Medikamententest äußert, weiß das Land nur eines: Irgendetwas ist gründlich schiefgegangen. Ein Mann verstarb am Sonntag, fünf weitere Patienten liegen noch in der Universitätsklinik von Rennes. Der Gesundheitszustand ist stabil, teilte das Krankenhaus gestern mit. Aber noch sei unklar, ob sich die neurologischen Probleme, die bis auf einen alle Männer zwischen 28 und 49 Jahren zeigen, wieder zurückbilden.
„Wir dachten zunächst, es habe sich um einen Schlaganfall gehandelt“, berichtete Pierre-gilles Edan, Chef der neurologischen Abteilung am Krankenhaus Centre Hospitalier Universitaire de Rennes. „Wir versuchen mit Hochdruck herauszufinden, was da passiert ist.“Unruhe soll nicht aufkommen, deshalb betonte Ministerin Touraine auch gestern eilig: „Wir müssen verstehen, was passiert ist, aber es gibt keinen Grund, sämtliche zu unterbrechen.“
Fest steht, dass das staatliche Biotrial-labor am 9. Juli 2015 eine Testreihe mit 128 Männern und Frauen zwischen 18 und 55 Jahren aus den Regionen Bretagne und Mayenne begonnen hatte. 90 Teilnehmer der Reihenuntersuchungen erhielten den neuen Wirkstoff BIA 10-2474 in unterschiedlichen Dosierungen, die übrigen 38 bekamen ein wirkungsloses Placebo. Bei dem Versuchspräparat handelt es sich inzwischen bestätigten Angaben zufolge um einen sogenannten Faahinhibitor, der unter anderem die Schmerzempfindlichkeit regeln soll. Langfristig verspricht sich der portugiesische Pharma-konzern Bial einen Einsatz auch bei bedingten Bewegungsstörungen, wie sie etwa bei Parkinson auftreten.
Nachdem die Patienten den Stoff zunächst gut vertragen hatten, wurde die Dosis am 7. Januar erhöht, drei Tage später musste der erste Teilnehmer an der Versuchsreihe ins Krankenhaus eingeliefert werden, einen Tag später brach das La-
klinischen
Tests Ostertag zeigt seine Kollektion in einer ehemaligen Bäckerei. Dieses Model des Berliner Designers Michael Michalsky aber tritt nicht etwa in einem staubigen Dachboden auf, wie es das Bild suggerieren könnte: Es entstand ganz klassisch, backstage beim Schminken nämlich. Foto: Britta Pedersen, dpa bor die Versuchsreihe ab. Am vergangenen Sonntag verstarb der Mann. Bisher schweigen die Klinik und die französischen Behörden über die Identität des Opfers.
Nicht nur in Frankreich wird gerätselt, wie es zu dem Zwischenfall kommen könnte. „Es ist ein absolut außergewöhnliches Ereignis, dass in einer so frühen Testphase ein Teilnehmer stirbt oder in ein Krankenhaus kommt“, sagte Rolf Hömke vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) in Deutschland. Üblicherweise würden neue Wirkstoffe in Phase eins noch nicht in der Konzentration verabreicht, die später für das Arzneimittel vorgesehen ist.
Im Jahr 2014 nahmen in Frankreich 20000 Menschen an 821 klinischen Studien für Medikamente teil. Der dortige Verband der Kliniken (AFCRO) betonte gestern, es gebe eine Vielzahl von Untersuchungen auf gesundheitliche Risiken, ehe ein Freiwilliger zugelassen wird. Der Dienst an der Forschung zahlt sich aus: So wurde ein 15-tägiger Klinikaufenthalt in der Bia-test-reihe mit 1900 Euro entschädigt. Guy, ein 34-jähriger Anwalt aus Paris, der an Tests für Diabetes und Cholesterinpräparate teilgenommen hat, bestätigte gestern, er habe sich immer gut informiert gefühlt. Außerdem seien 150 Euro pro Tag leicht verdientes Geld. Sarah, eine Medizinstudentin aus Paris, die an einer Verträglichkeitsstudie über Impfstoffe teilnimmt, sagte: „Wir sind jederzeit frei auszusteigen, wann immer wir wollen.“