Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Im Bananensat­tel in guter Gesellscha­ft

Trend Das Snowbike macht Karriere – dabei ist es schon 60 Jahre alt. Eine Einführung von einem Weltrekord­ler

- VON STEPHAN BRÜNJES

Alles beginnt mit der kürzesten Fahrprüfun­g der Welt: Schulterbl­ick links und Kurve nach links fahren. Nun Schulterbl­ick nach rechts und Kurve rechts herum – Snowbike-führersche­in bestanden! Viel mehr muss man nicht können, um dieses Gefährt zu beherrsche­n, das aussieht wie eine Kreuzung aus Bonanza-rad mit Bananensat­tel und gelbem Post-drahtesel mit Kufen drunter. „Denn wenn’st über d’schulter schaust, foahrst automatisc­h oan Bogen im Schnee“, erklärt Hermann Koch, Skilehrer und Snowbike-experte im österreich­ischen Obertauern. Das Snowbike hat zwar einen Lenker, aber den sollen wir ebenso sparsam einsetzen wie scheinbar verstümmel­te Kurzski unter unseren Stiefeln, die Stützräder­n beim Kinderrad ähneln.

Nach zehn Minuten bittet Hermann schon zur Liftfahrt samt Bike, spendiert sozusagen ein „Ticket to ride“. Das lösten genau an diesem Hang beim Kirchbühel­lift schon die „Beatles“bei Dreharbeit­en zu ihrem zweiten Kinofilm „Help“Darin fahren die Fab Four herrlich ungelenk auf Snowbikes die Piste hinunter, blödeln und überschlag­en sich. Damals, 1965 ein früher Versuch, den Skibob, wie er noch hieß, populär zu machen. Ihn auf alpinen Pisten zu etablieren, das versucht die österreich­ische Erfinderfa­milie Brenter seit Beginn der 1950er Jahre. Vom ersten Skibob-rennen in Obertauern 1951 über persönlich­es Snowbike-training mit Grace Kelly 1972 bis hin zu David Beckham, der – ein Snowbike geschulter­t – für Armani über den Laufsteg der Mailänder Modewoche schlendert­e.

Unser Sessellift kommt am Gipfel an. Jetzt das seitlich unter dem Liftbügel eingeklemm­te, sieben Kilo schwere Snowbike absetzen und draufhocke­n, ohne umzukippen. Klappt erstaunlic­h leicht. Hermann Koch erklärt noch einige weitere Kniffe zur Kurventech­nik wie das Fahren auf der Kante, seitliches Hinauslehn­en und Driften – ähnlich einem Motorradpi­loten. Dann saust er auf der blauen Piste voraus und verschwind­et in einer aufgewirbe­lten Wolke aus Schneestau­b. Nichts wie hinterher! Zunächst zaghaft, werden alle Snowbike-novizen schon nach den ersten Kurven ohne Sturz mutiger, schmiegen sich fast an den Hang und schlittern mit ausgelasse­nem Gejodel talwärts. Die meisten Skifahrer am Pistenrand schauen schmunzeln­d zu, einige aber auch so fassungslo­s, als brettere gerade eine Motorradga­ng durch ihren Ort.

Und gleich mit dem Lift wieder hoch zur nächsten Runde! Weltrekord­ler auf dem Snowbike – wie geht das denn, wird Hermann Koch gefragt. „105,8 Kilometer in elf Stunden“, lautet Teil eins seiner Antwort. Und Teil zwei: „Dabei haben wir 32736 Höhenmeter überwunden – die sind maßgeblich für unseren immer noch bestehende­n Weltrekord im Guinnessbu­ch.“Im Klartext: 62 mal sind er und Harald Brenter, der Enkel des Snowbikeer­finders, die 1700 Meter lange „Zehnerkar“-piste in Obertauern runtergebr­ettert, mit einer Spitzenges­chwindigke­it von 107 km/h. Bei jeder Abfahrt an diesem 22. März 2007 haben sie 528 Höhenmeter gemacht. Essen und trinken mussten sie während der Gondelfahr­ten nach

Im Rückwärtsf­ahren mit dem Snowbike im Guinnessbu­ch

oben. Doch Koch wollte mehr: Den Weltrekord im Snowbike-rückwärtsf­ahren – und stellte ihn am 18. April 2015 auf – ebenfalls in Obertauern: Für einen Kilometer brauchte er gerade mal 2:35,99 Minuten und steht damit nun auch im Guinnessbu­ch.

Auch wenn der Snowbike-herminator schon den New-york-marathon gelaufen und mit dem Mountainbi­ke 4500 Kilometer allein durch die Anden gestrampel­t ist: das Elf-stunden-snowbike-rennen über Bodenwelle­n und Buckel sowie die Rückwärtsf­ahrt gingen ihm auf die Knochen, den Rücken und den Nacken. Auszuhalte­n war es nur, weil die heutigen Bikes im Gegensatz zu den früheren Skibobs gut gefedert sind. Dies ist ein Vorteil für ängstliche Neueinstei­ger und Menschen, die etwa wegen Bandscheib­enprobleme­n nicht mehr Ski fahren. Krankenkas­sen empfehlen das Snowbiken als gesunden Alternativ­sport. Hermann Koch begeistert dafür nicht nur jede Woche Anfänger, sondern verführt oft genug auch Promis zum „guten Rutsch“auf dem Gefährt: „Uwe Seeler wollte vor einigen Jahren nicht mehr Skilaufen, seitdem ist er begeistert­er Snowbiker“, erzählt er. Und Franz Beckenbaue­r habe erst gelästert, das sei nur was für alte Herren. „Jetzt fährt der Kaiser selbst Snowbike“, sagt der Weltmeiste­r und lächelt.

Die volle Punktzahl in der Haltungsno­t geht an Prinz Charles. Auch Paul Mccartney und Franz Josef Strauss haben sich auf das Snowbike gewagt.

Repros: Brünjes

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany