Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Nach Köln: Selbstverteidigung ist sehr gefragt
Sicherheit Nach den Übergriffen in der Silvesternacht ist bei vielen Frauen die Verunsicherung groß. Verlangt wird nicht nur nach Pfefferspray. Viele melden sich für Kurse an. Doch was hilft wirklich?
Wer wissen will, wie sich die sexuellen Übergriffe der Silvesternacht in Köln ausgewirkt haben, kann ins Internet schauen: Seit Anfang Januar suchen deutlich mehr Menschen nach „Pfefferspray“und „Selbstverteidigung“. Um zirka 80 Prozent ist die Zahl der Suchanfragen in beiden Fällen im Vergleich zum Dezember 2015 gestiegen. Doch auch in der wirklichen Welt haben die Übergriffe Spuren hinterlassen. Das bestätigt auch Mohsen Sarreshtehdari, Inhaber des Us-freizeitshops in Augsburg: „Die Angst und Unsicherheit der Augsburger ist seit den Überfällen in Köln angestiegen, ebenso wie meine Umsätze.“In seinem Geschäft verkauft Sarreshtehdari momentan vor allem Pfeffersprays und Schrillalarme an Frauen jeden Alters. Die Männer interessieren sich eher für Schlagstöcke und Elektroschocker.
Die Polizei warnt jedoch vor dem Griff zu Waffen, auch wenn es sich nur um Pfefferspray handele. „Waffen sind kein Spielzeug. Man sollte sie den Spezialisten überlassen“, sagt Polizeisprecher Siegfried Hartmann. Für Hartmann stellen Pfefferspray und Co. eine trügerische Sicherheit dar. Besser sei es, in Notsituationen um Hilfe zu rufen oder sich mit lauter Stimme und Selbstverteidigungsgriffen zu wehren.
Das Interesse an Selbstverteidigungskursen
Nursel Korkmaz trainiert mit Guido Fiedler.
ist seit Jahresbeginn gestiegen. „Gerade die Mädchen zwischen elf und siebzehn Jahren rennen mir gerade die Bude ein“, sagt Guido Fiedler, Inhaber einer Augsburger Kampfsportschule. „Meine Frauenkurse boomen, das allerdings schon seit etwa einem hal- ben Jahr,“sagt Fiedler.
Offenbar waren die Ereignisse in der Silvesternacht für Frauen aus der Region aber ein Grund, sich zu einem entsprechenden Kurs anzu- melden: „Ich habe vermehrt telefo- nische Anfragen von Frauen, die sich wehren wollen und sich dabei explizit auf Köln beziehen“, sagt Sa- bine Rochel, Frauenbeauftragte im Augsburger Polizeipräsidium. Nicht nur Frauen würden anrufen, teilweise informieren sich auch Väter oder Mütter nach Kursen für ihre Töchter, so Rochel.
Doch auch wenn das Interesse momentan groß ist: Lange währt die Euphorie für Selbstverteidigung oft nicht. „Solche Ereignisse wie jüngst in Köln geben solchen Kursen immer einen Schub, aber im Großen und Ganzen verebbt das Interesse dann auch wieder“, sagt Fabian Wirth, der Selbstverteidigungskurse bei der Volkshochschule (Vhs) durchführt. Der Kung-fu-lehrer warnt: „Solche Ereignisse verschieben die Wahrnehmung der Realität immer ein wenig. Denn die mit Abstand meisten Vorfälle, bei denen Selbstverteidigung nötig wäre, geschehen in der Familie oder im Bekanntenkreis.“
Gemäß der Erfahrung von Wirth ist Aktionismus ohnehin keine nachhaltige Lösung: „Ein einmaliger Kurs ist ein netter Einstieg, aber der hält auch nur ein oder zwei Jahre“, sagt er. Von vierwöchigen Selbstverteidigungs-crashkursen hält auch Gerhard Jung, Inhaber der Jiujitsu-karate-schule, nichts. „Nach einer solch kurzen Zeit kann man sich höchstens selbstbehaupten, selbstverteidigen lernt man nur bei einem langfristigen Training“, so Jung. Doch wie unsicher oder sicher fühlen sich Frauen?
Wer zufällig Augsburgerinnen auf der Straße befragt, bekommt auch solche Antworten: „Ich habe überhaupt keine Angst“, erzählt Ingrid Bauer. „Große Menschenansammlungen vermeide ich sowieso und ein Pfefferspray würde ich mir höchstens für einsame Waldspaziergänge zulegen.“Die 64-Jährige betont, dass es jetzt besonders wichtig sei, nicht alle Flüchtlinge über einen Kamm zu scheren. Auch die 19-jährige Lena Haupt hat keine Angst: „Bei mir in Meitingen gibt es auch Flüchtlinge, die ich bisher aber als sehr nett kennengelernt habe.“Ähnlich geht es auch der 45-jährigen Jasmin Marker. Sie fühlt sich nach den Kölner Übergriffen nicht unwohler in Augsburg. Über Pfefferspray hat sie zwar nachgedacht, gekauft hat sie bisher jedoch keines.
Wer einen Selbstverteidigungskurs sucht, sollte sich das Angebot genau anschauen, rät die Polizei. Sabine Rochel weist darauf hin, dass es zwar viele Anbieter gebe, aber keine verbindlichen Qualitätsstandards. Ihr Tipp: Interessenten sollten sich verschiedene Offerten anschauen. Ein Ausscheidekriterium sei, wenn Echtfall-rollenspiele angeboten werden, so Rochel. „Da bekommen Frauen eher Ängste vermittelt, die sie sonst gar nicht haben. Man muss auch praktische Übungen machen, klar, aber bitte keinen fingierten Überfall im Keller oder Ähnliches“, sagt die Polizei-frauenbeauftragte.
Nach ihrer Einschätzung waren die Vorfälle in Köln ein in Deutschland bisher einzigartiges Ereignis – hinsichtlich der Masse an Tätern und deren Aggressivität. „Gruppen sind generell gefährlich“, so Sabine Rochel. Wenn Worte oder Gegenwehr aussichtslos erscheinen, helfe manchmal nur noch Wegrennen. „Ein Mob von 1500 Männern ist immer ein Haufen testosterongesteuerter Idioten, egal um wen es sich bei den Teilnehmern handelt“, sagt Fiedler.
Polizei rät: Mehrere Angebote prüfen