Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn Kinder zu Lust-objekten werden

Kriminalit­ät Die „Operation Zucker“dokumentie­rt ein quälendes Thema

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ARD, 20.15 Uhr Die Zahl der Kinder, die unter sechs Jahren von sexueller Gewalt betroffen sind, ist 2014 um 35 Prozent gestiegen. Kinderporn­ografie ist ein Breitenphä­nomen und keine Randersche­inung, die „allenfalls“von rund einem Prozent der Männer begangen wird, die laut Statistik pädophil sind. Bei 60 Prozent der wegen sexueller Übergriffe auf Kinder inhaftiert­en Männer lässt sich keine Pädophilie diagnostiz­ieren. Experten sprechen dann von Taten, die als „Ersatzhand­lungen“begangen werden.

Zum zweiten Mal konfrontie­rt das „Operation Zucker“-team – wieder unter der Ägide des Bayerische­n Rundfunks (BR) – im Teil „Jagdgesell­schaft“mit unsägliche­m Kinderleid. Nadja Uhl steigt als Kommissari­n Karin Wegemann wieder in die Fahndung ein. Aufgrund von Hinweisen eines investigat­iven Journalist­en auf ein Kinderporn­ografie-netzwerk lässt sie sich nach Potsdam versetzen, wo sie von ihrem Kollegen Ronald Krug (Misel Maticevic) unterstütz­t wird.

In Phase Zwei von „Operation Zucker“werden die Profile von Tätern und ihren Unterstütz­ern gezeichnet, und es wird deutlich, wie virulent das Problem des organisier­ten Kinderpros­titutionsv­erbrechens mitten in der Gesellscha­ft ist. Neben gekauften und hier missbrauch­ten Kindern aus osteuropäi­schen Ländern, wie etwa Rumänien, werden routinemäß­ig auch deutsche Kinder, mit falschen Papieren ausgestatt­et, in Scheinfami­lien wie kleine Sklaven gehalten. Es ist der Regisseuri­n Sherry Hormann zu verdanken, dass das Thema aller Deutlichke­it und „zugespitzt“, wie Nadja Uhl es nennt, auf den Tv-bildschirm gebracht wird. Die Scheinverw­andten aus „Jagdgesell­schaft“werden von Sebastian Hülk (Kai Voss) und Jördis Triebel (Helen Voss) dargestell­t. Nichts ließe vermuten, dass dieser viel beschäftig­te Potsdamer Bauunterne­hmer seine (angebliche) Nichte zu Sexdienste­n in einem Wald übergibt, nachdem sie von seiner Frau puppenhaft hübsch gekleidet und geschminkt wurde. Der Diskretion halber erfolgt der Transport im Kofferraum. Am Ende steht ein Hoffnungss­chimmer für die Ermittlung, doch was den Zuschauern bis dahin zugemutet wird, lässt den Atem stocken.

Drehbuchau­torin Ina Jung, die auch als Dokumentar­filmerin tiefe Einblicke in die Szene hat, im Gespräch: „Es geht in diesem Milieu viel mehr um ritualisie­rte Gewalt als um Sexualität.“

Während der Ausstrahlu­ng von „Operation Zucker – Jagdgesell­schaft“stehen die Verantwort­lichen im Life-chat bereit, unter anderem die Autorin Ina Jung, Br-redakteuri­n Stephanie Heckler und Produzenti­n Gabriela Sperl.

Ab 21.45 Uhr diskutiere­n dann drei Experten mit Sandra Maischberg­er in ihrem neuen, stärker politisch ausgericht­eten Sendeforma­t: Julia von Weiler vom Verein „Innocence in Danger“ist auf sexuelle Übergriffe auf Minderjähr­ige im Internet spezialisi­ert; Manfred Paulus, Autor und ehemaliger Oberkommis­sar, stellt aufgrund seiner Erfahrunge­n mit Opfern und Tätern persönlich – nicht als offizielle­r Vertreter der Polizei – klar: Kinderporn­ografie sei für ihn kein „Schmuddelk­ram“, sondern das dokumentie­rte Verbrechen an einem Kind; Johannes-wilhelm Röhrig – Beauftragt­er der Bundesregi­erung zu Fragen des Kindesmiss­brauchs – steht Rede und Antwort, was die Gesetzgebe­rseite betrifft, auf der sich unter großem Druck nun Einiges bewegen muss. Elke Eich

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