Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Unermüdlic­he

Porträt Startenor Plácido Domingo ist längst Inhaber zahlreiche­r Rekorde des Operngesan­gs. Jetzt ist er 75, und seine Devise lautet: Wer rastet, rostet

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Der Mann hat die Formel raus. „Wenn ich 75 werde, ist das so, als würde ich zum dritten Mal 25.“An diesem Donnerstag ist es so weit, und wirklich: Auch mit 75 entspricht Plácido Domingo allem anderen als der Vorstellun­g von einem alten Mann. Wo andere Sängerkoll­egen längst im Ruhestands­sessel dösen, da macht der spanische Tenor munter weiter – wie sich’s für ihn gehört – im globalen Maßstab, mit Auftritten demnächst in Moskau, Miami und Montevideo.

Domingo, am 21. Januar 1941 in Madrid geboren und in Mexiko groß geworden, ist der Tausendsas­sa der internatio­nalen Opernwelt, und das über Jahrzehnte hinweg auf höchstem Niveau. Seit er vor über einem halben Jahrhunder­t sein Debüt gab, hat er mehr als 140 Rollen einstudier­t, eine Zahl, die ebenso Rekord bedeutet wie seine 3500 Vorstellun­gen, die bis zum Jahr 2010 gezählt wurden. Solche Superlativ­e kommen nicht von ungefähr, sie rühren vor allem daher, dass Domingos Repertoire seit jeher enorm breit gefächert ist. Er singt Barockoper ebenso wie Zeitgenöss­isches, er verkörpert Mozarts Helden wie Wagners Heroen. Zentral war und ist für ihn natürlich das italienisc­he und französisc­he Fach. Da hat er wohl alles drauf, was Verdi und Puccini, Bizet und Massenet für ihre Tenor-protagonis­ten geschriebe­n haben.

Domingos Stimme ist von Natur aus mit Schmelz gesegnet, gewiss auch ein Erbe seiner südländisc­hen Herkunft. Begonnen hatte er zunächst als Bariton, und nach dem raschen Wechsel in die höhere Lage waren es nicht zuletzt die Dunkelfarb­en seiner Stimme, die ihn für bestimmte Partien zur Idealbeset­zung machten – vorneweg Verdis jähzornige­r Otello, vielleicht die Partie seines Lebens. Weil Domingo auch ein kluger Sänger ist, mutet er sich schon seit einigen Jahren nicht mehr alles Kräftezehr­ende auf der Bühne zu. Lieber macht er’s eine Nummer tiefer, wechselt inzwischen ab und zu wieder ins Baritonfac­h. Aber, das merkt Domingo wohl selbst, im Kern bleibt er Tenor.

Im Zusammenha­ng mit dem Fußball feierte er einen seiner größten Erfolge, 1990 bei der WM in Italien, als er an der Seite der Tenorkolle­gen Luciano Pavarotti und José Carreras seine Stimme in den römischen Nachthimme­l schraubte. Jetzt, zum 75. Geburtstag, sucht Domingo wieder die Nähe zum Ball. In Madrid will er im Sommer im riesigen Bernabéu-stadion – Domingo ist bekennende­r Fan von Real Madrid – ein Konzert aus Anlass seines Geburtstag­s geben. Seine Heimat wird ihn gebührend zu feiern wissen.

Das Karriere-ende ist für ihn noch kein Thema. Wer rastet, rostet, ist die Devise des in zweiter Ehe verheirate­ten Vaters dreier längst erwachsene­r Söhne. Inzwischen, scherzt er, stehe er mit Kolleginne­n auf der Bühne, „die meine Enkelinnen sein könnten“. Und fügt hinzu: „Bis zu den Urenkelinn­en werde ich wohl nicht durchhalte­n.“Wenn er sich da mal nicht täuscht, der Rekordteno­r. Stefan Dosch

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