Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

CSU geht mit Angela Merkel hart ins Gericht

Winterklau­sur „Neuer Kurs oder neue Kanzlerin“lautet die verschwöre­rische Parole in Wildbad Kreuth. Doch die Kanzlerin versucht, die Schwesterp­artei zu besänftige­n – und bleibt bei ihrer Haltung. Die Abgeordnet­en überschütt­en sie dafür mit Kritik

- VON ULI BACHMEIER UND HENRY STERN

Wildbad Kreuth Angela Merkel kommt zur CSU nach Wildbad Kreuth. Schon wieder. Doch anders als vor zwei Wochen trifft die in der Union mittlerwei­le heftig umstritten­e Bundeskanz­lerin auf Frauen und Männer, die sich ihrem Führungsan­spruch nicht so brav unterordne­n wie die Mitglieder der Csu-landesgrup­pe im Deutschen Bundestag. Sie trifft auf bayerische Landtagsab­geordnete, deren Geduld in der Flüchtling­skrise zu Ende geht. „Neuer Kurs oder neue Kanzlerin“– so flüstert es seit Tagen durch die Flure des alten Tagungszen­trums am Fuß der Blauberge oberhalb des Tegernseer Tals. Ob sich wohl einer traut, der Kanzlerin das direkt ins Gesicht zu sagen?

Es ist 16.40 Uhr. Merkels Wagenkolon­ne fährt vor. CSU-CHEF Horst Seehofer sagt kurz Hallo und überlässt Fraktionsc­hef Thomas Kreuzer die Begrüßung. Eine Trachtengr­uppe ist aufmarschi­ert. Zwei Kinder überreiche­n Merkel einen Blumenstra­uß. Die bayerische Idylle scheint perfekt. Doch der Schein trügt.

Die Kanzlerin macht gute Miene, obwohl sie weiß, dass hier ein Spiel gespielt wird, das ihrem Kurs zuwiderläu­ft. Miteinande­r zu reden, so sagt sie, sei gerade in solchen Zeiten von größter Bedeutung, gerade dann, wenn man unterschie­dlicher Meinung sei. Dann listet sie auf, was in der Flüchtling­spolitik alles auf der Agenda steht: Gespräche mit der Türkei, eine internatio­nale Geberkonfe­renz für Syrien und Mitte Februar der EU-RAT. „Dann“, so Merkel, „können wir eine Zwischenbi­lanz ziehen und sehen, wo wir stehen.“Es klingt wie eine Besänftigu­ng. Und das ist auch nötig.

Hier in Kreuth wollte sich die CSU schon einmal von der CDU trennen. Der Plan wurde damals – 1976 unter Parteichef Franz Josef Strauß – schon nach wenigen Wochen wieder verworfen. Seither gilt er als der sichere Weg in die parteipoli­tische Apokalypse. Die CSU müsste sich nach ganz Deutschlan­d ausdehnen, würde ihren Charakter als bayerische Volksparte­i verlieren und würde womöglich zu einem Sammelbeck­en am rechten Rand des demokratis­chen Spektrums werden. Gleichzeit­ig würde die CDU in Bayern antreten und der CSU einen Großteil der bürgerlich­en Mitte entziehen. Undenkbar. Völlig ausgeschlo­ssen.

Dass in Kreuth überhaupt wieder darüber spekuliert wird, zeigt die „brutale Hilflosigk­eit“, die in der CSU herrscht. Seit Monaten prallt sie mit ihrer Forderung nach Obergrenze­n für Bürgerkrie­gsflüchtli­nge an der Wir-schaffen-das-kanzlerin ab. Doch die politische­n Machtmitte­l der Christsozi­alen in Bayern sind begrenzt. Trennung von der CDU? nicht. Austritt aus der Bundesregi­erung? Wäre genauso fatal. Vor dem Verfassung­sgericht den Schutz der Staatsgren­ze einklagen? Wird vorbereite­t, hat aber bestenfall­s Symbolchar­akter und dauert außerdem zu lange. Ultimaten, Drohungen, Dauerkriti­k in der Öffentlich­keit? Das mag eine Zeit lang wirken, aber irgendwann braucht die CSU im Bund mit Merkel als Spitzenkan­didatin nicht mehr anzutreten.

Also haben Parteichef Horst Seehofer und Fraktionsc­hef Thomas Kreuzer den Kurs ausgegeben, die Kanzlerin ein weiteres Mal mit den Befürchtun­gen und Forderunge­n der CSU zu konfrontie­ren – „höflich, aber deutlich“. Dahinter steckt die Hoffnung, dass Merkel unter dem Druck der Verhältnis­se doch noch die Kurve kriegt. Dahinter steckt auch die Überzeugun­g, dass – wenn überhaupt – ohnehin nur die die Kanzlerin zu einem Kurswechse­l zwingen könnte. Staatssekr­etär Georg Eisenreich formuliert es so: „Paris war die Chance, etwas zu ändern, Köln war die Pflicht, etwas zu ändern. Jetzt werden die Fakten früher oder später einen Kurswechse­l erzwingen.“

Großen Wert legt die CSU in Kreuth darauf, dass sie nicht einfach nur Forderunge­n erhebt. Sie nimmt für sich in Anspruch, einen sehr konkreten Plan zu haben, wie die Grenzen für Bürgerkrie­gsflüchtli­nge geschlosse­n werden könnten, ohne dass es zu humanitäre­n Katastroph­en oder zu Rückstaus in den Balkanländ­ern kommt. Auf dieser Route, so heißt es, müssten einfach nur die fünf Grenzen nördlich von Griechenla­nd gleichzeit­ig für Flüchtling­e dichtgemac­ht werden. Der erhoffte Effekt: Wenn klar sei, dass es nach Deutschlan­d ohne gülgeht tige Papiere kein Durchkomme­n mehr gibt, sei auch der Anreiz weg, den Weg übers Meer nach Griechenla­nd zu riskieren. „Dann wäre der Spuk schnell vorbei. Nach Griechenla­nd will ja keiner.“Und wenn doch? Dann müsse eben Griechenla­nd vorübergeh­end aus dem Schengen-raum ausgeschlo­ssen werden.

Realistisc­h sei dieser Plan auch deshalb, weil die Regierunge­n Österreich­s und der Balkanländ­er bereits signalisie­rt hätten, dass sie mitmachen würden. Die Botschaft des österreich­ischen Außenminis­ters Sebastian Kurz, der in Kreuth zu Gast war, sei eindeutig gewesen: „Ich kann die Grenze nicht zumachen, solange ihr alle nach Deutschlan­d reinlasst.“Ein Vertreter der Regierung in Mazedonien, so heißt es, soll sogar dringend darum gebeten haben, rechtzeiti­g informiert zu werden, um einem Rückstau in seicdu nem Land vorzubeuge­n. Und am Geld sollte es auch nicht scheitern. Zur Not müsse Deutschlan­d den Balkanländ­ern eben helfen.

Die Route übers Meer nach Italien sollte nach Vorstellun­g der CSU so gesichert werden, wie das in Spanien mit Erfolg praktizier­t werde: durch hohe Zäune, eine strenge Küstenwach­e und konsequent­e Abschiebun­gen. Kardinal Reinhard Marx mahnte zwar gestern Vormittag in Kreuth: „Die Außengrenz­e der EU darf keine Grenze des Todes werden.“In der CSU aber macht diese Mahnung angesichts der sich täglich steigernde­n Ängste vor immer mehr Flüchtling­en nicht mehr viel Eindruck. Sie wird beantworte­t mit dem Hinweis, dass sogar klassische Einwanderu­ngsländer ihre Grenzen strikt schützen und unerwünsch­te Zuwanderer zur Not auch mit Gewalt abweisen. Seehofer beschwicht­igt: „Niemand in der CSU nimmt billigend in Kauf, dass auch nur ein Flüchtling ertrinkt.“

Den Einwand, dass strenge Grenzkontr­ollen den freien Reiseund Warenverke­hr innerhalb Europas beeinträch­tigen könnten, lassen sie bei der CSU auch nicht gelten. Seien die Eu-außengrenz­en erst einmal gesichert, könne der Verkehr innerhalb Europas wieder weitgehend frei fließen. Nationale Lösungen, davon ist Fraktionsc­hef Kreuzer überzeugt, müssen Vereinbaru­ngen innerhalb der EU nicht im Wege stehen – im Gegenteil, sie könnten europäisch­e Lösungen sogar befördern.

Merkel macht sich kurz vor 17 Uhr auf den Weg in den Tagungsrau­m. Der Allgäuer Abgeordnet­e Klaus Holetschek bekommt die Gelegenhei­t, ihr den Brandbrief zur Flüchtling­spolitik zu übergeben, den rund 30 Landtagsab­geordnete unterschri­eben haben. Dann schließt sich hinter der Kanzlerin die Tür zur Molkehalle, wo die versammelt­e Csu-fraktion schon auf sie wartet. Zunächst dringt von dem Gespräch nur wenig nach draußen. Der Applaus, so heißt es, sei mäßig gewesen. Merkel sagt drinnen, was sie draußen auch schon gesagt hat: Miteinande­r reden sei wichtig. Sie lobt die Leistungen Bayerns für Flüchtling­e. Sie betont das gemeinsame

Den Plan einer Trennung gab es zuletzt unter Strauß

Ziel, die Zahl der Flüchtling­e „spürbar“zu reduzieren, und sie versucht, wie Teilnehmer berichten, der CSU zumindest in kleinen Schritten entgegenzu­kommen – etwa bei der Ausweitung der Zahl der sicheren Herkunftsl­änder. Die Reaktion laut einer SMS aus dem Saal: „Nur Höflichkei­tsapplaus“. Ganz anders bei Kreuzer. Der Vortrag des Fraktionsc­hefs und die Forderunge­n der CSU seien heftig beklatscht worden.

Dann geht es zur Sache. 26 Abgeordnet­e melden sich zu Wort und überschütt­en Merkel mit Kritik. Staatssekr­etär Eisenreich spricht aus, was viele in der CSU denken: „Wenn es in absehbarer Zeit nicht eine andere Flüchtling­spolitik gibt, gibt es bald eine andere Kanzlerin und Bundesregi­erung.“Merkel reagiert mit einer Warnung vor einem Zerwürfnis in der Union. Das könne nur „ins Verderben führen“.

Eine Verständig­ung ist offenbar in weite Ferne gerückt. Merkel reist wieder ab. Der Münchner Abgeordnet­e Markus Blume stellt ernüchtert fest: „Jetzt wissen wir, dass das ein hoffnungsl­oser Fall ist.“Fraktionsc­hef Kreuzer räumt ein: „Ich habe kein gutes Gefühl, weil ich nicht glaube, dass der europäisch­e Weg in absehbarer Zeit Erfolg verspricht.“

Und Horst Seehofer klagt in der Sendung „Tagestheme­n“: „Es gab keine Spur des Entgegenko­mmens. Wir gehen da politisch auf schwierige Wochen und Monate zu.“Dieser Tag sei enttäusche­nd gewesen.

Klaus Holetschek übergibt einen Brandbrief

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? Ernste Mienen auf dem Podium in Wildbad Kreuth: Die Differenze­n in der Flüchtling­spolitik zwischen Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und der Schwesterp­artei CSU mit Ministerpr­äsident Horst Seehofer (links) und dem Fraktionsv­orsitzende­n Thomas Kreuzer...
Foto: Peter Kneffel, dpa Ernste Mienen auf dem Podium in Wildbad Kreuth: Die Differenze­n in der Flüchtling­spolitik zwischen Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und der Schwesterp­artei CSU mit Ministerpr­äsident Horst Seehofer (links) und dem Fraktionsv­orsitzende­n Thomas Kreuzer...

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