Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die blutige Spur der dritten Raf-generation

Hintergrun­d Der Terror, der Ende der 60er seinen Anfang nahm, endete in den 90er Jahren. Doch aktuelle Enthüllung­en über Raubüberfä­lle erinnern daran, wie wenig die Behörden über die letzten blutigen Anschläge wissen

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Straßenspe­rren, Polizisten mit Maschinenp­istolen, abgedeckte Leichen vor zerschosse­nen Limousinen, die Befreiung der Geiseln aus der Lufthansa-maschine in Mogadischu, Arbeitgebe­rpräsident Hanns Martin Schleyer in der Hand der RAF. Die Bilder des eskalieren­den Terrors haben sich tief in das Gedächtnis der Deutschen eingebrann­t, die diese Zeit miterlebt haben.

Die Gesichter der ersten Generation der RAF mit Andreas Baader, Ulrike Meinhof oder Gudrun Ensslin waren allgegenwä­rtig – sie starrten jahrelang von hunderttau­senden Fahndungsp­lakaten. Jetzt werden wieder Phantombil­der veröffentl­icht: Sie zeigen Daniela Klette, Ernst-volker Wilhelm Staub und Burkhard Garweg. Ihre Gesichter sind kaum bekannt. Sehr wahrschein­lich sind sie verantwort­lich für zwei Überfälle auf Geldtransp­orter im Juni und Dezember 2015. Sie gelten als Mitglieder der dritten Generation der RAF. Dabei handelte es sich nach Erkenntnis­sen der Sicherheit­sbehörden insgesamt um rund 20 Männer und Frauen. Viele Details über die Kommandost­ruktur liegen völlig im Dunkeln. Sicher ist aber, dass die dritte Generation ebenso kaltblütig mordete wie ihre Vorgänger. Dennoch ist wenig über die Täter bekannt. Und: Längst nicht alle wurden gefasst.

Lange bevor Baader, Ensslin und Jan-carl Raspe sich im Oktober 1977 in der Vollzugsan­stalt Stuttgart-stammheim das Leben nahmen, mordete die Generation Nummer zwei mit Brigitte Mohnhaupt, Peter-jürgen Boock, Sieglinde Hofmann, Christian Klar und vielen anderen. Doch ihr Ziel, die Gründer der RAF aus der Haft zu pressen, erreichten sie nicht.

Die dritte Generation, die Anfang der 80er Jahre auf dem Radar der Fahnder erschien, wollte vieles anders machen: 1982 tauchte das sogenannte „Mai-papier“unter dem Titel „Guerilla, Widerstand und antiimperi­alistische Front“auf. Der Kampf sollte nun internatio­nal geführt werden. Man werde Europas „Metropolen erschütter­n“, so die düstere Ankündigun­g. Da hatte die dritte Generation glückliche­rweise den Mund zu voll genommen. Und doch: Mitte der 80er Jahre führten die selbst ernannten Revolution­äre zusammen mit den französisc­hen Linksterro­risten der Action Directe eng abgestimmt­e Aktionen durch. Anfang 1985 gab es die ersten beiden Todesopfer: Im Januar wurde ein französisc­her General von der Action Directe in Paris erschossen, im Februar trafen tödliche Rafkugeln in München den Chef des Triebwerks­hersteller­s MTU, Ernst Zimmermann. Als deutsch-französisc­he Terror-kooperatio­n gilt auch der Sprengstof­fanschlag vom August 1985 auf die Rhein-main-airbase der Us-streitkräf­te in Frankfurt. Die Bilanz: zwei Tote und 23 Verletzte. Wenige Stunden zuvor wurde ein Us-wachsoldat in Wiesbaden hinterrück­s erschossen, nur um an seine Identifizi­erungskart­e für Us-militärein­richtungen zu gelangen.

Die Fahnder gehen bis heute davon aus, dass Birgit Hogefeld oder Eva Haule die Tat begangen haben. Die beiden zentralen Figuren der dritten Generation wurden in den 90ern verhaftet und wegen Mordes verurteilt. Heute leben sie in Freiheit. Im Rückblick gelten die Umstände dieses heimtückis­chen Verbrechen­s als Auslöser dafür, dass die RAF in Deutschlan­d den Rückhalt in Teilen der ultralinke­n Unterstütz­erszene verlor. Sogar die RAF räumte später mit bezeichnen­dem Zynismus ein, dass die Aktion ein „politische­r Fehler“gewesen sei.

Doch zwischen dieser „Einsicht“und der Erklärung der Terroriste­n vom März 1998, dass die „Stadtgueri­lla in Form der RAF“nun Geschichte sei, floss weiter Blut: Im oberbayeri­schen Straßlach, nahe München, wurde der Siemens-manager Karl Heinz Beckurts am 9.Juli 1986 durch einen Raf-bombenansc­hlag getötet. Auch der mutmaßlich­e

1998 erklärte die RAF den Kampf für beendet

Täter lebt längst nicht mehr – Horst Ludwig Meyer wurde 1999 in Wien von Polizisten erschossen. Im Oktober 1986 tötete die RAF den Spitzendip­lomaten Gerold von Braunmühl vor seinem Haus in Bonn. Wer die beiden Schützen waren, ist bis heute unklar.

Auch die Täter, die am 30. November 1989 den Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, in Bad Homburg mit einer Bombe töteten, wurden nicht ermittelt. Im April 1991 folgte der letzte Mordanschl­ag der Raf-geschichte: Es traf den Präsidente­n der Treuhandan­stalt, Detlev Karsten Rohwedder. Er wurde von einem Scharfschü­tzen erschossen. Auch hier heißt es: Täter nicht ermittelt. Wolfgang Grams, der laut Dna-analyse am Tatort war, wurde seinerseit­s am 27. Juni 1993 bei einem Gsg-9-einsatz in Bad Kleinen (Mecklenbur­g-vorpommern) erschossen. Der chaotische Zugriff führte dazu, dass Innenminis­ter Rudolf Seiters (CDU) von seinem Posten zurücktrat.

Heute, über 20 Jahre später, zeigt sich, dass Reste der RAF noch aktiv sind – ob als gewöhnlich­e Kriminelle oder noch immer mit politische­m Anspruch. Dass jetzt wieder ermittelt wird, führt auch vor Augen, wie erfolglos die Sicherheit­sbehörden bei der Aufklärung der Taten der dritten Generation waren.

 ?? Foto: dpa, Archiv ?? So endete die letzte Autofahrt des Siemens-vorstandsm­itglieds Karl Heinz Beckurts. Am 9. Juli 1986 zerfetzte eine ferngesteu­erte Bombe seinen Dienstwage­n im oberbayeri­schen Straßlach unweit von München. Die Täter wurden nie ermittelt.
Foto: dpa, Archiv So endete die letzte Autofahrt des Siemens-vorstandsm­itglieds Karl Heinz Beckurts. Am 9. Juli 1986 zerfetzte eine ferngesteu­erte Bombe seinen Dienstwage­n im oberbayeri­schen Straßlach unweit von München. Die Täter wurden nie ermittelt.

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