Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wenn das Karussell schläft
Porträt Thomas Kreis reist das ganze Jahr von Volksfest zu Volksfest. Aber was macht ein Schausteller im Winter? Er trifft sich zum Beispiel mit tausenden Kollegen in Augsburg
Augsburg Vielleicht kann der Mann nicht anders. Als ans Telefon zu gehen und automatisch in den Hörer zu flöten: „Hey, der große Karussellspaß für die Kleinen.“Oder die Wendeltreppe in seiner Wohnung hochzugehen und dabei zu rufen: „So, Kinder, jetzt geht’s nach oben.“Ist natürlich großer Quatsch. Aber man ist halt vollgepumpt mit Klischees, bevor man an der Tür eines Schaustellers klingelt. Bis hin zu dem, dass die Wintermonate für so jemanden ziemlich erholsam sein müssen, wenn weit und breit kein Volksfest in Sicht ist.
Man läutet also in Augsburg bei Thomas Kreis, 49, hauptberuflicher Betreiber eines Kinderkarussells und einer Schiffschaukel, sitzt kaum bei einem Glas Wasser im Wohnzimmer, und schon klingelt das Telefon. Stadt Füssen, wie das denn heuer sei mit dem Stellplatz und so. Der Januar ist der Monat im Jahr eines Schaustellers, in dem das Veranstaltungsjahr festgezurrt wird. Es laufen die letzten Zu- oder Absagen ein für Bewerbungen, die man im Sommer zuvor abgeschickt hat. Man durchstöbert den Kalender, liest: Augsburg, Marktoberdorf, Pöttmes, Landsberg, Kaufbeuren, ups, da ist noch ein Wochenende frei, wo könnte es hingehen?
Letztes Jahr waren es 23 Volks- feste. Heißt: 23 mal am Steuer der eigenen Zugmaschine hin, Karussell aufbauen oder Schiffschaukel oder beides, rein ins Kassenhäuschen, klingeling, Schlumpfmusik, Zapfenstreich, aufräumen, putzen, kurze Nächte im Wohnwagen, abbauen, zurück. Das alles sehr oft in einer Art Ein-mann-show, wenngleich an Wochenenden oder in den Ferien mit Unterstützung von Ehefrau Ramona und Sohn Thomas junior, 18.
Jetzt ist Winter, die Geschäfte sind eingemottet und Thomas Kreis kann sich am Wohnzimmertisch ein Lächeln nicht verkneifen, als ihm das Klischee mit den ach so ruhigen Monaten vorgehalten wird. Dann beginnt er aufzuzählen. Also: Saisonende war im November. Dann war Christkindlesmarkt, wo er seit Jahren am Rande der Fußgängerzone einen Baguettestand betreibt. Jetzt stehen Reparaturen an, hier eine Lackierung, da ein Nachbessern, Kontaktpflege mit Geschäftspartnern, Telefonate mit Ämtern – „man muss die Zeit gut nutzen, es ist ja kein Verdienst da“.
Am Wochenende kommt noch ein Großereignis außer der Reihe hinzu. Der Deutsche Schaustellerbund veranstaltet sein Jahrestreffen erstmals seit 40 Jahren in Augsburg, das größte dieser Art „weltweit“, so der Verband. Mehrere tausend Besucher werden erwartet, ebenso die politische Prominenz. Die Familie Kreis packt mit an. Aufbauen, Staplerfahren, Mädchen für alles.
Am Faschingswochenende stellt Thomas Kreis dann zum ersten Mal wieder sein Kinderkarussell auf, das „Samba“mit acht Fahrzeugen: zwei Schildkröten, zwei Drachen, zwei Raumschiffe, zwei Hubschrauber. Zum ersten Mal wieder: große Kinderaugen, ein Lächeln, „ich verkaufe doch Freude“. Danach ist bald Josefimarkt in Füssen, und es beginnt die Zeit, wo man Kreis nur noch selten zu Hause antreffen wird. Wie es in der Branche eben üblich ist.
Die Geschichte der Schaustellerfamilie Kreis geht fast 150 Jahre zurück. Urahn Valentin Kreis, ein gelernter Schreiner aus der Pfalz, zimmerte aus Holz eine Schiffschaukel zusammen. Ein Kinderkarussell kam hinzu. So gesehen hat sich seitdem wenig geändert. Nur, dass die Schaustellerfamilie wuchs und wuchs. Thomas Kreis’ Vater legte sich irgendwann eine Schießbude zu. Die Kindheit des Filius kann man sich bildhaft vorstellen. Heute ist das ein moderner Schießwagen.
Mama Kreis ist eine geborene Lutzenberger, auch das eine weitverzweigte Schausteller-dynastie in Augsburg. Die Oma saß noch mit 90 im Kassenhäuschen. Ehefrau Ramona wiederum ist Kartenlegerin, eine ziemlich bekannte sogar. Mit Verlaub, noch so ein Klischee: Täuscht der Eindruck, dass überdurchschnittlich oft Kinder von Schaustellern zueinanderfinden? „Wenn dem so ist“, sagt Kreis, „wundert mich das nicht.“Wer anders könne so ein Leben nachvollziehen? Verstehen, wie entbehrungsreich es bei aller Freiheit sein kann. Die räumliche Enge im Wohnwagen, die Arbeitszeiten, die körperliche Belastung bei zwei Wochen Plärrer am Stück. Bestes Beispiel: Papa Helmut und Mama Luise haben sich auf dem Festplatz kennengelernt.
Bei aller Romantik – das Geschäft ist launisch. Bei Dauerregen, bei Dauerhitze wie letztes Jahr oder einer Fußball-europameisterschaft wie in diesem. „Wenn Deutschland spielt, können Sie nackt über den Festplatz laufen und keiner merkt’s“, sagt Kreis – so wenig ist dann los. Den Junior hält das nicht von seinem Lebensplan ab. Natürlich will der 18-Jährige mal ein Fahrgeschäft in Eigenregie betreiben, welches auch immer, „Hauptsache mit viel Technik“. Noch gut ein Jahr, dann ist er fertiger Karosserieund Fahrzeugbaumechaniker. Es wartet der Rummel. Warum? „Weil das mein Traum ist. Eine Art Lebenseinstellung.“Es scheint, als kann der junge Mann nicht anders.
Die Oma saß noch mit 90 im Kassenhäuschen