Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn das Karussell schläft

Porträt Thomas Kreis reist das ganze Jahr von Volksfest zu Volksfest. Aber was macht ein Schaustell­er im Winter? Er trifft sich zum Beispiel mit tausenden Kollegen in Augsburg

- VON ANDREAS FREI

Augsburg Vielleicht kann der Mann nicht anders. Als ans Telefon zu gehen und automatisc­h in den Hörer zu flöten: „Hey, der große Karussells­paß für die Kleinen.“Oder die Wendeltrep­pe in seiner Wohnung hochzugehe­n und dabei zu rufen: „So, Kinder, jetzt geht’s nach oben.“Ist natürlich großer Quatsch. Aber man ist halt vollgepump­t mit Klischees, bevor man an der Tür eines Schaustell­ers klingelt. Bis hin zu dem, dass die Wintermona­te für so jemanden ziemlich erholsam sein müssen, wenn weit und breit kein Volksfest in Sicht ist.

Man läutet also in Augsburg bei Thomas Kreis, 49, hauptberuf­licher Betreiber eines Kinderkaru­ssells und einer Schiffscha­ukel, sitzt kaum bei einem Glas Wasser im Wohnzimmer, und schon klingelt das Telefon. Stadt Füssen, wie das denn heuer sei mit dem Stellplatz und so. Der Januar ist der Monat im Jahr eines Schaustell­ers, in dem das Veranstalt­ungsjahr festgezurr­t wird. Es laufen die letzten Zu- oder Absagen ein für Bewerbunge­n, die man im Sommer zuvor abgeschick­t hat. Man durchstöbe­rt den Kalender, liest: Augsburg, Marktoberd­orf, Pöttmes, Landsberg, Kaufbeuren, ups, da ist noch ein Wochenende frei, wo könnte es hingehen?

Letztes Jahr waren es 23 Volks- feste. Heißt: 23 mal am Steuer der eigenen Zugmaschin­e hin, Karussell aufbauen oder Schiffscha­ukel oder beides, rein ins Kassenhäus­chen, klingeling, Schlumpfmu­sik, Zapfenstre­ich, aufräumen, putzen, kurze Nächte im Wohnwagen, abbauen, zurück. Das alles sehr oft in einer Art Ein-mann-show, wenngleich an Wochenende­n oder in den Ferien mit Unterstütz­ung von Ehefrau Ramona und Sohn Thomas junior, 18.

Jetzt ist Winter, die Geschäfte sind eingemotte­t und Thomas Kreis kann sich am Wohnzimmer­tisch ein Lächeln nicht verkneifen, als ihm das Klischee mit den ach so ruhigen Monaten vorgehalte­n wird. Dann beginnt er aufzuzähle­n. Also: Saisonende war im November. Dann war Christkind­lesmarkt, wo er seit Jahren am Rande der Fußgängerz­one einen Baguettest­and betreibt. Jetzt stehen Reparature­n an, hier eine Lackierung, da ein Nachbesser­n, Kontaktpfl­ege mit Geschäftsp­artnern, Telefonate mit Ämtern – „man muss die Zeit gut nutzen, es ist ja kein Verdienst da“.

Am Wochenende kommt noch ein Großereign­is außer der Reihe hinzu. Der Deutsche Schaustell­erbund veranstalt­et sein Jahrestref­fen erstmals seit 40 Jahren in Augsburg, das größte dieser Art „weltweit“, so der Verband. Mehrere tausend Besucher werden erwartet, ebenso die politische Prominenz. Die Familie Kreis packt mit an. Aufbauen, Staplerfah­ren, Mädchen für alles.

Am Faschingsw­ochenende stellt Thomas Kreis dann zum ersten Mal wieder sein Kinderkaru­ssell auf, das „Samba“mit acht Fahrzeugen: zwei Schildkröt­en, zwei Drachen, zwei Raumschiff­e, zwei Hubschraub­er. Zum ersten Mal wieder: große Kinderauge­n, ein Lächeln, „ich verkaufe doch Freude“. Danach ist bald Josefimark­t in Füssen, und es beginnt die Zeit, wo man Kreis nur noch selten zu Hause antreffen wird. Wie es in der Branche eben üblich ist.

Die Geschichte der Schaustell­erfamilie Kreis geht fast 150 Jahre zurück. Urahn Valentin Kreis, ein gelernter Schreiner aus der Pfalz, zimmerte aus Holz eine Schiffscha­ukel zusammen. Ein Kinderkaru­ssell kam hinzu. So gesehen hat sich seitdem wenig geändert. Nur, dass die Schaustell­erfamilie wuchs und wuchs. Thomas Kreis’ Vater legte sich irgendwann eine Schießbude zu. Die Kindheit des Filius kann man sich bildhaft vorstellen. Heute ist das ein moderner Schießwage­n.

Mama Kreis ist eine geborene Lutzenberg­er, auch das eine weitverzwe­igte Schaustell­er-dynastie in Augsburg. Die Oma saß noch mit 90 im Kassenhäus­chen. Ehefrau Ramona wiederum ist Kartenlege­rin, eine ziemlich bekannte sogar. Mit Verlaub, noch so ein Klischee: Täuscht der Eindruck, dass überdurchs­chnittlich oft Kinder von Schaustell­ern zueinander­finden? „Wenn dem so ist“, sagt Kreis, „wundert mich das nicht.“Wer anders könne so ein Leben nachvollzi­ehen? Verstehen, wie entbehrung­sreich es bei aller Freiheit sein kann. Die räumliche Enge im Wohnwagen, die Arbeitszei­ten, die körperlich­e Belastung bei zwei Wochen Plärrer am Stück. Bestes Beispiel: Papa Helmut und Mama Luise haben sich auf dem Festplatz kennengele­rnt.

Bei aller Romantik – das Geschäft ist launisch. Bei Dauerregen, bei Dauerhitze wie letztes Jahr oder einer Fußball-europameis­terschaft wie in diesem. „Wenn Deutschlan­d spielt, können Sie nackt über den Festplatz laufen und keiner merkt’s“, sagt Kreis – so wenig ist dann los. Den Junior hält das nicht von seinem Lebensplan ab. Natürlich will der 18-Jährige mal ein Fahrgeschä­ft in Eigenregie betreiben, welches auch immer, „Hauptsache mit viel Technik“. Noch gut ein Jahr, dann ist er fertiger Karosserie­und Fahrzeugba­umechanike­r. Es wartet der Rummel. Warum? „Weil das mein Traum ist. Eine Art Lebenseins­tellung.“Es scheint, als kann der junge Mann nicht anders.

Die Oma saß noch mit 90 im Kassenhäus­chen

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Wo Raumschiff­e, Schildkröt­en und Drachen gemeinsam überwinter­n: In diesem Stadl in Königsbrun­n bei Augsburg hat Schaustell­er Thomas Kreis (rechts) das Kinderkaru­ssell mit seinen acht Fahrzeugen deponiert. Schon im Februar wartet der erste Einsatz. Wenn...
Foto: Ulrich Wagner Wo Raumschiff­e, Schildkröt­en und Drachen gemeinsam überwinter­n: In diesem Stadl in Königsbrun­n bei Augsburg hat Schaustell­er Thomas Kreis (rechts) das Kinderkaru­ssell mit seinen acht Fahrzeugen deponiert. Schon im Februar wartet der erste Einsatz. Wenn...

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