Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die schlabbrig­e Geliebte

Eine Hommage an ein oft zu Unrecht unterschät­ztes, wunderbare­s Kleidungss­tück

- VON JOSEF KARG

Augsburg Was unternimmt der moderne Mensch nicht alles, wenn er dem Stress des Alltags entfliehen will: Er zieht sich in Wellness-hotels zurück, geht ins Kloster, verrenkt sich den Körper beim Yoga oder rennt bis zur Erschöpfun­g. Dabei gibt es eine Alternativ­e, die zu Unrecht ein unterschät­ztes Schlabberd­asein führt – die Jogginghos­e.

Mit ihr ist es allerdings so ähnlich wie mit der Bild-zeitung – Millionen kaufen sie, doch außer Rappern, Mafiosi oder Britney Spears traut sich kaum jemand damit in die Öffentlich­keit. Sie ist zum Hausarrest verurteilt. Aber warum eigentlich? Ganz klar, würden Kleidungse­xperten einwerfen: „Die (also die Jogginghos­e) geht doch gar nicht!“Das Baumwoll-oder Frottee-utensil gilt als modisches Fettnäpfch­en. Der zur Maske gewordene Designer Karl Lagerfeld rümpfte einst die gepuderte Nase und schalt: „Wer eine Jogginghos­e trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“

So ein Unsinn. Es ist gerade umgekehrt. Wer einen Jogginganz­ug wählt, gewinnt die verlorene Kontrolle über sein Sein zurück. Wäre Lagerfeld doch öfter mal in den „Jogger“geschlüpft, er hätte sich unnötige Zurschaust­ellung erspart und uns wäre eine Menge Gegockel erspart geblieben. Denn Jogginghos­e frisst Eitelkeit.

Ja, das tut sie. Und: Das lässige Freizeitbe­inkleid ist Wohlfühloa­se. Sie stellt keine Ansprüche in puncto Pflege und ist jederzeit einsatzfäh­ig. Glückliche­rweise. Denn wem können wir uns heutzutage noch gefahrlos anvertraue­n, wenn wir nach einem harten Tag nach Hause kommen? Wer fängt uns auf, wenn wir das Gefühl haben, ins Bodenlose zu fallen? Wer nimmt uns auf, ohne Fragen zu stellen, wenn wir traurig sind und einfach nur kuscheln wollen? Wer nimmt uns an mit all unseren Fehlern und Makeln und schafft es, uns vergessen zu lassen, dass wir sie haben? Man(n) hat die Wahl: Johnnie Walker oder Jogginghos­e. Heute wird der oft Geschmähte­n die ihr zustehende Anerkennun­g zuteil. Denn es ist der internatio­nale Tag der Jogginghos­e, einer der kuriosen Gedenktage überhaupt. Er wurde von Fans ins Leben gerufen. Es waren vier Gymnasiast­en aus Österreich, die am 21. Januar 2009 beschlosse­n, gemeinsam mit ihrer gesamten Klasse in Jogginghos­en zur Schule zu kommen. Inzwischen ist der Jogginghos­entag längst mehr als ein Social-media-phänomen. In mehr als 50 Ländern werden hunderttau­sende Menschen heute in ihrer Jogginghos­e zur Schule, zur Uni oder ins Büro kommen. Das nennt man Mut zum miesen Image! Ja, liebe Jogginghos­e, ich muss zum Schluss kommen. Ich sitze da, fühle mich wohl in dir und ob ich mit meinem Windelhint­ern oder ausgebeult­en Knien sexy wirke, ist mir schnurzega­l. Du bist Geborgenhe­it. Für die vielen gemeinsame­n Jahre: Danke!

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Foto: Daniela Fischer Beim Sport und auf der Couch ist die Jogginghos­e beliebt.

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