Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die schlabbrige Geliebte
Eine Hommage an ein oft zu Unrecht unterschätztes, wunderbares Kleidungsstück
Augsburg Was unternimmt der moderne Mensch nicht alles, wenn er dem Stress des Alltags entfliehen will: Er zieht sich in Wellness-hotels zurück, geht ins Kloster, verrenkt sich den Körper beim Yoga oder rennt bis zur Erschöpfung. Dabei gibt es eine Alternative, die zu Unrecht ein unterschätztes Schlabberdasein führt – die Jogginghose.
Mit ihr ist es allerdings so ähnlich wie mit der Bild-zeitung – Millionen kaufen sie, doch außer Rappern, Mafiosi oder Britney Spears traut sich kaum jemand damit in die Öffentlichkeit. Sie ist zum Hausarrest verurteilt. Aber warum eigentlich? Ganz klar, würden Kleidungsexperten einwerfen: „Die (also die Jogginghose) geht doch gar nicht!“Das Baumwoll-oder Frottee-utensil gilt als modisches Fettnäpfchen. Der zur Maske gewordene Designer Karl Lagerfeld rümpfte einst die gepuderte Nase und schalt: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“
So ein Unsinn. Es ist gerade umgekehrt. Wer einen Jogginganzug wählt, gewinnt die verlorene Kontrolle über sein Sein zurück. Wäre Lagerfeld doch öfter mal in den „Jogger“geschlüpft, er hätte sich unnötige Zurschaustellung erspart und uns wäre eine Menge Gegockel erspart geblieben. Denn Jogginghose frisst Eitelkeit.
Ja, das tut sie. Und: Das lässige Freizeitbeinkleid ist Wohlfühloase. Sie stellt keine Ansprüche in puncto Pflege und ist jederzeit einsatzfähig. Glücklicherweise. Denn wem können wir uns heutzutage noch gefahrlos anvertrauen, wenn wir nach einem harten Tag nach Hause kommen? Wer fängt uns auf, wenn wir das Gefühl haben, ins Bodenlose zu fallen? Wer nimmt uns auf, ohne Fragen zu stellen, wenn wir traurig sind und einfach nur kuscheln wollen? Wer nimmt uns an mit all unseren Fehlern und Makeln und schafft es, uns vergessen zu lassen, dass wir sie haben? Man(n) hat die Wahl: Johnnie Walker oder Jogginghose. Heute wird der oft Geschmähten die ihr zustehende Anerkennung zuteil. Denn es ist der internationale Tag der Jogginghose, einer der kuriosen Gedenktage überhaupt. Er wurde von Fans ins Leben gerufen. Es waren vier Gymnasiasten aus Österreich, die am 21. Januar 2009 beschlossen, gemeinsam mit ihrer gesamten Klasse in Jogginghosen zur Schule zu kommen. Inzwischen ist der Jogginghosentag längst mehr als ein Social-media-phänomen. In mehr als 50 Ländern werden hunderttausende Menschen heute in ihrer Jogginghose zur Schule, zur Uni oder ins Büro kommen. Das nennt man Mut zum miesen Image! Ja, liebe Jogginghose, ich muss zum Schluss kommen. Ich sitze da, fühle mich wohl in dir und ob ich mit meinem Windelhintern oder ausgebeulten Knien sexy wirke, ist mir schnurzegal. Du bist Geborgenheit. Für die vielen gemeinsamen Jahre: Danke!