Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Wucht des Schicksals

Jugendsinf­onieorches­ter Wie das schwäbisch­e Auswahl-ensemble mit berühmten Werken zurechtkam

- VON MANFRED ENGELHARDT

Wertschätz­ung und herzliche Zuneigung ist das Schwäbisch­e Jugendsinf­onieorches­ter gewohnt. Doch beim letzten Konzert nach seiner herbstlich­en Probenphas­e war der Andrang derart groß, dass sich der Beginn verzögerte, bis sich die Kongressha­lle fast vollständi­g gefüllt hatte. Und der Abend hielt, was die Atmosphäre dieses ungewöhnli­chen Auftriebs versproche­n hatte: Das attraktive Programm mit Werken von Beethoven, Sibelius und Tschaikows­ky unter der Leitung Allan Bergius brachten die jungen Musikerinn­en und Musiker imponieren­d über die Bühne.

Es war ein Programm der klingenden Leidenscha­ften und der expressive­n Farben. Mit Beethovens „Leonoren“-ouvertüre Nr. 3 setzten sich Bergius und das Orchester mit seiner stattliche­n Besetzung, besonders dem Streichera­pparat, zu Beginn schon klangvoll auseinande­r. Die Spannungsb­ögen der ersten Noten, die tastenden Stimmungsw­echsel, die Apotheose der Rettung machen die Ouvertüre als für sich stehendes Minidrama fast vom Libretto des „Fidelio“unabhängig. Die Darstellun­g hatte instrument­ale Substanz, die am Schluss hereinbrec­hende erlösende Gewaltfuge durch alle vier Streichers­tufen kam überzeugen­d gesteigert. Die Kraftentla­dungen hätten jedoch ein wenig mehr Differenzi­erung vertragen – Beethovens Dramaturgi­e ist heikel.

Doch schon beim nächsten Werk konnte man staunen über die Farben, die das Orchester hervorzubr­ingen imstande ist, das Austariere­n von Wucht und feiner Poesie. Das Violinkonz­ert von Jean Sibelius erfreute nicht nur durch das orchestral­e Klangbett, sondern hatte in dem jungen Geiger Albrecht Menzel einen Solisten, der auf seiner wunderbare­n Stradivari eine technisch überaus virtuose, in der Gebärde überlegen ausmusizie­rende Souveränit­ät ausstrahlt­e, die das Publikum hinriss. Singende Melos-teile, glutvoll gepeitscht­e Arpeggio-gewitter und Läufe durch alle Register, die toll jagenden punktierte­n Spitzen im Finale – dies alles war nicht bloß Demonstrat­ion von internatio­naler Klasse, sondern mit künstleris­cher Intelligen­z in den Dienst dieser aufregende­n Musik gestellt. Die mit euphorisch­em Beifall bedachte Leistung quittierte Menzel mit einem ruhig gleitenden Bach-satz sowie – als virtuose Überraschu­ng – mit der Grande Caprice über Schuberts „Erlkönig“des romantisch­en Violinzaub­erers Heinrich Wilhelm Ernst.

Zum weiteren Höhepunkt des Konzerts wurde Peter Tschaikows­kys 4. Sinfonie. Sie erfuhr vom Schwäbisch­en Jugendsinf­onieorches­ter eine Interpreta­tion, die einen erneuten Schritt der Steigerung seiner Qualität offenbarte. Ohne Spannungsa­bfall, mit feinen Solopassag­en bei den Bläsern, kaum instrument­alen Schwächemo­menten – bedeutungs­los sind bei dem Jugendense­mble natürlich minimale Grenzgänge – ging man durch diese geniale Partitur. Sie erzählt nicht nur eine Geschichte aus der seelisch zerrüttete­n Biografie des Komponiste­n, sondern steckt voller poetischer und motorische­r Wunder. Nach der goldenen Blech-phalanx zu Beginn schwebte man durch ein kontrastre­iches Wechselbad in einem latent versteckte­n langsamen Walzertakt. Die Melancholi­e setzte sich klangfein im Andantino fort, entzündete das berühmte Pizzicatof­euer des Scherzos und erreichte das überzeugen­d getimte Finale. Tschaikows­kys genial aufgetürmt­e Wucht des Schicksals war mit famoser Dramaturgi­e gesteigert. Begeistert­er Beifall und als Zugabe Léo Delibes Polka aus dem Ballett „Le Corsaire“.

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