Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Wucht des Schicksals
Jugendsinfonieorchester Wie das schwäbische Auswahl-ensemble mit berühmten Werken zurechtkam
Wertschätzung und herzliche Zuneigung ist das Schwäbische Jugendsinfonieorchester gewohnt. Doch beim letzten Konzert nach seiner herbstlichen Probenphase war der Andrang derart groß, dass sich der Beginn verzögerte, bis sich die Kongresshalle fast vollständig gefüllt hatte. Und der Abend hielt, was die Atmosphäre dieses ungewöhnlichen Auftriebs versprochen hatte: Das attraktive Programm mit Werken von Beethoven, Sibelius und Tschaikowsky unter der Leitung Allan Bergius brachten die jungen Musikerinnen und Musiker imponierend über die Bühne.
Es war ein Programm der klingenden Leidenschaften und der expressiven Farben. Mit Beethovens „Leonoren“-ouvertüre Nr. 3 setzten sich Bergius und das Orchester mit seiner stattlichen Besetzung, besonders dem Streicherapparat, zu Beginn schon klangvoll auseinander. Die Spannungsbögen der ersten Noten, die tastenden Stimmungswechsel, die Apotheose der Rettung machen die Ouvertüre als für sich stehendes Minidrama fast vom Libretto des „Fidelio“unabhängig. Die Darstellung hatte instrumentale Substanz, die am Schluss hereinbrechende erlösende Gewaltfuge durch alle vier Streicherstufen kam überzeugend gesteigert. Die Kraftentladungen hätten jedoch ein wenig mehr Differenzierung vertragen – Beethovens Dramaturgie ist heikel.
Doch schon beim nächsten Werk konnte man staunen über die Farben, die das Orchester hervorzubringen imstande ist, das Austarieren von Wucht und feiner Poesie. Das Violinkonzert von Jean Sibelius erfreute nicht nur durch das orchestrale Klangbett, sondern hatte in dem jungen Geiger Albrecht Menzel einen Solisten, der auf seiner wunderbaren Stradivari eine technisch überaus virtuose, in der Gebärde überlegen ausmusizierende Souveränität ausstrahlte, die das Publikum hinriss. Singende Melos-teile, glutvoll gepeitschte Arpeggio-gewitter und Läufe durch alle Register, die toll jagenden punktierten Spitzen im Finale – dies alles war nicht bloß Demonstration von internationaler Klasse, sondern mit künstlerischer Intelligenz in den Dienst dieser aufregenden Musik gestellt. Die mit euphorischem Beifall bedachte Leistung quittierte Menzel mit einem ruhig gleitenden Bach-satz sowie – als virtuose Überraschung – mit der Grande Caprice über Schuberts „Erlkönig“des romantischen Violinzauberers Heinrich Wilhelm Ernst.
Zum weiteren Höhepunkt des Konzerts wurde Peter Tschaikowskys 4. Sinfonie. Sie erfuhr vom Schwäbischen Jugendsinfonieorchester eine Interpretation, die einen erneuten Schritt der Steigerung seiner Qualität offenbarte. Ohne Spannungsabfall, mit feinen Solopassagen bei den Bläsern, kaum instrumentalen Schwächemomenten – bedeutungslos sind bei dem Jugendensemble natürlich minimale Grenzgänge – ging man durch diese geniale Partitur. Sie erzählt nicht nur eine Geschichte aus der seelisch zerrütteten Biografie des Komponisten, sondern steckt voller poetischer und motorischer Wunder. Nach der goldenen Blech-phalanx zu Beginn schwebte man durch ein kontrastreiches Wechselbad in einem latent versteckten langsamen Walzertakt. Die Melancholie setzte sich klangfein im Andantino fort, entzündete das berühmte Pizzicatofeuer des Scherzos und erreichte das überzeugend getimte Finale. Tschaikowskys genial aufgetürmte Wucht des Schicksals war mit famoser Dramaturgie gesteigert. Begeisterter Beifall und als Zugabe Léo Delibes Polka aus dem Ballett „Le Corsaire“.