Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Der Bauernhof neben dem Oktoberfest
Leistungsschau Das Zentral-landwirtschaftsfest läuft parallel zur Wiesn. Heuer ist dort erstmals ein moderner Milchvieh-stall zu sehen. Wie Technik den Beruf des Bauern attraktiver machen soll
München Stellen Sie sich vor, sie laufen mitten durch München und plötzlich stehen Ihnen Alma, Paska und Erna gegenüber. Gut, die drei Kühe rennen nicht wild durch die Luxusmetropole. Aber sie sind da, in München, genauer gesagt im Herzen des Zentral-landwirtschaftsfestes 2016 (ZLF), direkt neben dem Oktoberfest.
Die drei Rinder gehören dem Staat. Sie stammen von Lehr-, Versuchsund Fachzentren. Davon gibt es neun in Bayern mit unterschiedlichen Schwerpunkten, unter anderem eines in Achselschwang (Kreis Landsberg) für Rinderund Milchviehhaltung und in Almesbach bei Weiden in der Oberpfalz, ebenfalls spezialisiert auf die Milchviehhaltung. Alma, Paska und Erna haben es heuer bis nach München geschafft. Eine Premiere auf dem ZLF, das alle vier Jahre parallel zum Oktoberfest auf der Theresienwiese stattfindet, heuer noch bis Sonntag, 25. September. Neben dem Kuhstall stellen 650 Firmen ihre Produkte rund um die Land- und Forstwirtschaft vor. Außerdem galoppieren täglich Pferde bei einem historischen Pferderennen um die Wette, es gibt ein Schweinemobil und eine Milch-bar. Der Kuhstall, den man 24 Stunden täglich über die Zlf-internetseite live beobachten kann, ist aber dieses Jahr das Highlight.
19 Kühe teilen sich den knapp 20 Meter langen, 16 Meter breiten und bis zu fast sieben Meter hohen Stall. „Jede Kuh hat zwölf Quadratmeter für Ihre Bewegung“, sagt Georg Hammerl. Er ist der Landwirtschaftsdirektor des Fachzentrums in Achselschwang. Der Stall ist in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Bauernverband, der BBV Landsiedlung, Proholz Bayern und anderen Firmen entstanden. „Der Zweck des Stalls ist, zu zeigen, dass die heutige moderne Tierhaltung sehr positiv für das Tierwohl ist“, sagt Hammerl. „Früher waren die Kühe angebunden, die Ställe waren stickig und schmutzig.“In der modernen Landwirtschaft seien die Ställe geräumi- ger, luftiger und heller. Aber was passiert, wenn es regnet? Der Stall ist offen – den ganzen Tag lang. „Das ist Absicht, dass die Kühe den Klimareizen ausgesetzt sind“, erklärt der Landwirtschaftsdirektor. „Sie freuen sich, wenn sie sich nach den heißen Tagen der vergangenen Wochen mal abduschen lassen können.“
Die Rinder haben einen selbstbestimmten Tagesablauf oder „Gleitzeit“, wie Hammerl es nennt: Entweder sie legen sich in eine Liegebox, fressen, bürsten sich an der montierten Rundbürste oder laufen herum und sehen sich die Besucher des ZLF aus ihrem Stall heraus etwas genauer an. Jede Kuh trägt außerdem ein Sensorenhalsband. Läuft sie damit in den Melkroboter, erfasst dieser die Daten des Viehs und melkt es – ganz automatisch. Ein kleiner Trick soll die Rinder in die Melkbox locken, verrät Hammerl: „Wir geben ihnen im Roboter nur ganz besonders gutes Futter. Sie sind schon feinschmecklerisch.“Die Kühe können nicht tricksen. War ein Rind fünf Minuten vorher in der Anlage, erkennt das die Maschine und lässt es nicht durch. Eine automatisch geregelte Pforte koordiniert das Verfahren und steuert die Kühe, quasi wie ein Türsteher. Bis zu drei Mal wird eine Kuh laut Hammerl gemolken und „leer gemacht“. In der Natur saufe ein Kalb bis zu zwölf Mal am Tag, „aber eben nie leer“, sagt der Experte. Nicht nur das Melken wird dem Bauern von heute abgenommen, auch das Füttern und das Misten: Eine Maschine fährt wie ein riesiger Besen über den Boden und kehrt den Dreck weg. Ganz langsam, damit die Tiere nicht über die Maschine stolpern.
„Trotzdem muss beim Landwirt jeder Handgriff sitzen, er sollte alles gleich machen, damit er Routine bekommt. Denn diese Routine bedeutet Sicherheit für die Kühe“, erklärt der Fachmann. Dadurch seien sie weniger gestresst. „Der beste Tag für eine Kuh ist ein langweiliger Tag.“Genauso entspannt wirken die Tiere auch im Stall mitten in München. Sie lassen sich beispielsweise genüsslich von der 18-jährigen Auszubildenden Karin Fleischmann striegeln. Ein bedeutender Schritt, findet Hammerl. Denn in der Landwirtschaft sei die Mensch-tier-beziehung enorm wichtig. Jedes Tier habe einen eigenen Charakter, darauf müsse man achten. Besonders im modernen Stall, in dem fast alles automatisch läuft.
Der Bauer hat so nämlich mehr Zeit für sein Vieh. „Das ist die Zukunft. Die neue Technik macht den Beruf attraktiver“, erklärt Hammerl. Man sei nicht mehr so gebunden, wie früher. Interessenten können den Stall nach der Ausstellung kaufen. Ohne die Technik schätzt Hammerl den Preis auf etwa 100000 Euro.