Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Das Abgründige im Namen
Germanistik Figuren in Romanen, in Schauspielen und Gedichten heißen nicht zufällig so. Sprach- und Literaturwissenschaftler gehen in Augsburg ihrer tieferen Bedeutung auf den Grund
sind mitnichten Schall und Rauch. Zum Thema „Namen in Dichtung und literarischer Prosa“tagt der Arbeitskreis für bayerischösterreichische Namenforschung am Donnerstag und Freitag, 22./23. September, in der Staats- und Stadtbibliothek. Ausgerichtet hat die Tagung diesmal Prof. Klaus Wolf von der Universität Augsburg. Mit ihm sprachen wir vorab.
Wolf: Gute Frage. Im Wormser Passionsspiel, womit ich mich zuletzt beschäftigt habe, kommt ein Salman Pharisaeus vor. Es ist ein spezieller Pharisäer, nämlich ein Bischof, der zur Zeit Ludwigs des Bayern vom Papst in Avignon eingesetzt ist. Hier gelangte ins Passionsspiel eine politische Anspielung auf einen Bischof, der in Worms total verhasst war. Das sind die kabarettistischen Möglichkeiten, die man durch solche Namengebung vermitteln konnte.
… ohne gleich in Gefahr zu laufen, von der Zensur belangt zu werden?
Wolf: Auf der Bühne – Theaterluft war doch ein bisschen freier – konnte man bestimmte Dinge verklausuliert sagen und die Intelligenten haben es verstanden.
„Arbeitskreis für Namenforschung“klingt sehr speziell. Wie viele Teilnehmer erwarten Sie bei der Tagung? Klaus Wolf: Der Arbeitskreis für bayerisch-österreichische Namenforschung ist international, er bringt eine Zeitschrift heraus. Regelmäßig finden Tagungen statt, mal in Wien, mal in Innsbruck. Themen waren bislang z. B. Gewässernamen, Ortsnamen, Bergnamen. In Augsburg haben wir 20 Referenten an zwei Tagen – von der allgemeinen Methodik über die Epochen bis zur Gegenwartsliteratur. Die Namenkundler kommen sowohl aus der Literaturals auch aus der Sprachwissenschaft. Bei der Tagung bringen wir die verschiedenen Disziplinen zusammen, weil man im Gespräch über bestimmte Namensdeutung doch ein bisschen tiefer eindringt, wenn auch Experten für Etymologie (Herkunft der Wörter) dabei sind.
Wolf: Die Tagung ist öffentlich. In der Bibliothek haben wir mal für 50 Teilnehmer bestuhlt. Besonders laden wir am Donnerstag um 20 Uhr zum Abendvortrag von Prof. Helmut Koopmann ein: „Viel Komisches und manchmal Abgründiges: Namen im Werk Thomas Manns“.
In Augsburg beschäftigen Sie generell „Namen in Dichtung und Prosa“… Wolf: Das hängt damit zusammen, dass Augsburg ein wichtiger Literaturort ist, nicht nur als Brecht-, sondern auch als Druckerstadt. Gezielt halten wir die Tagung in der Staatsund Stadtbibliothek, die ein wichtiger Erinnerungsort der schwäbischen Literaturgeschichte ist und eine der weltgrößten Brechtsammlungen hat. Wir lassen uns vom Genamen nius Loci inspirieren und haben auch eine eigene Tagungssektion zu Bertolt Brecht.
Bei Brecht werden Sie sicherlich fündig, wenn man an die Spelunkenjenny oder den Münzmatthias in der „Dreigroschenoper“denkt. Was hat es zu bedeuten, wenn ein Name spricht? Wolf: Die Namen sind fiktiv, also vom Dichter selbst gewählt. Damit will er Signale setzen, seine Namen sind ein Hinweis für die Interpretation des Textes. Denkt man z. B. in Thomas Manns „Dr. Faustus“an Adrian Leverkühn, ist dieser der, der als Künstler kühn lebt, einen radikalen Lebensweg hat. Besonders Mann ist sehr bewusst mit Namen seiner Figuren umgegangen.
Denkt man an den Barockroman „Simplicius Simplicissimus“, scheinen sprechende Namen im Deutschen eine lange Tradition zu haben? Wolf: Nicht nur in Deutschland, sondern in der Literatur international. Schon in der antiken Komödie werden komische Namen eingesetzt. Es ist ein weltsprachliches Phänomen, dass die Dichter die Namen ihrer Roman- und Epenfiguren bewusst wählen. Wir springen aus bayerisch-österreichischer Perspektive auf einen internationalen Zug auf. Quer durch die Epochen vom Mittelalter bis in die Moderne können wir beobachten: Namen sind nicht nur Schall und Rauch. Wolf: Ich selbst werde ein Referat über Passionsspiele halten. Auch dort haben Autoren Namen bewusst eingesetzt. So gibt es im Augsburger Passionsspiel einen Juden Lämmlin. Der steht nicht in der Bibel, aber er agiert in dem Passionsspiel. Es ist der Name des jüdischen Gemeindevorstehers zur Zeit der Austreibung der Augsburger Juden um 1440. Er wird auf die Passionsbühne geholt.
In jesuitischen Barockdramen beschreiben die Namen auch Eigenschaften, etwa die Kardinaltugenden und die Laster. Weil es leichter vorstellbar ist, wenn ich Personifizierungen sehe? Wolf: Genau. Wenn ich abstrakt über die Tugenden predige, schlafen die Leute ein. Wenn ich es aber auf die Bühne stelle, dann wird es lebendig. Wenn die Tugenden und die Laster miteinander kämpfen, ist es unmittelbar anschaulich.
Finden sich auch in der Gegenwartsliteratur sprechende Namen? Wolf: Lesen Sie Franz Xaver Kroetz oder Franz Kafka. Dessen Namen sind nicht zufällig gewählt, etwa im „Process“und im „Schloss“. Das ist ein zeitloses Mittel, um die Interpretation des Rezipienten zu lenken.