Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Fremdenhass schadet Ostdeutschland
Deutsche Einheit Im Bericht der Bundesregierung wird gewarnt: Rechtsextremismus ist ein Standortnachteil. So kann die Kluft zwischen Ost und West nicht kleiner werden Kommentar
Berlin Iris Gleicke weiß genau, wovon sie spricht. Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium und Ostbeauftragte der Bundesregierung kommt aus Schleusingen, einer Kleinstadt mit etwas mehr als 5000 Einwohnern am Südrand des Thüringer Waldes. Vor einigen Jahren erklärte die NPD Schleusingen zur „Frontstadt“und zog am Vorabend des 30. Januar, dem Jahrestag der Machtergreifung Hitlers, mit einem Fackelzug durch die Innenstadt.
Wenn die Spd-politikerin in offizieller Mission unterwegs ist und als Mitglied der Bundesregierung beispielsweise wie jüngst in Japan bei Investoren und Unternehmern Werbung für den Standort Ostdeutschland macht, sind Vorfälle wie diese oder die Anschläge auf Flüchtlingsheime jedes Mal ein Thema. „Ich werde auf der ganzen Welt gefragt, ob Ostdeutschland sicher ist“, sagt sie. Im Ausland werde sehr genau registriert, was in Deutschland passiere und wie sich vor allem die Situation für Ausländer in den neuen Ländern darstelle. Dies sei durchaus ein Standortnachteil im weltweiten Wettbewerb um Ansiedlungen. „Ein Standort, der sich nicht weltoffen präsentiert, hat ökonomische Probleme.“
Darum schlägt Gleicke bei Vorstellung des Jahresberichts der der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit, den das Bundeskabinett am Mittwoch verabschiedet hat, Alarm und warnt in ungewöhnlich deutlicher Form vor den Folgen des zunehmenden Fremdenhasses zwischen Elbe und Oder. „Der Rechtsextremismus in all seinen Spielarten stellt eine sehr ernste Bedrohung für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung
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Deutschland einig Vaterland? Von wegen. Noch immer zieht sich eine unsichtbare Mauer durch das Land. Ökonomisch läuft der Westen dem Osten davon, gleichzeitig driften die sozialen Verhältnisse auseinander, die Spannungen nehmen zu. Und der Frust über diese neue Spaltung entlädt sich ausgerechnet an den Schwächsten der Gesellschaft, die am allerwenigsten dafür können – den Flüchtlingen.
In einer bislang nicht gekannten Deutlichkeit prangert die Bundesregierung den sich verfestigenden Fremdenhass und Rassismus in den neuen Ländern an und nennt ihn eine ernste Bedrohung für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Es ist eine fast schon der neuen Länder dar“, so die Ostbeauftragte.
Ausdrücklich weist Gleicke darauf hin, dass die große Mehrheit der Ostdeutschen weder fremdenfeindlich noch rechtsextrem sei, gleichwohl würden die Verfassungsschutzberichte belegen, „dass in Ostdeutschland im Verhältnis zur Einwohnerzahl eine besondere Häufung von fremdenfeindlichen und rechtsextremen Übergriffen zu verzeichnen ist“. So seien gewalttätige Ausschreitungen wie in Heidenau zu „Symbolen eines sich verfestigenden Fremdenhasses geworden“, heißt es im Bericht der Regierung; bei den Protesten gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sei deutlich geworden, „dass die Grenzen zwischen bürgerlichen Protesten und rechtsextremistischen Agitationsformen zunehmend verschwimmen“.
Gleichzeitig warnt Gleicke davor, dass sich die wirtschaftliche Kluft zwischen West- und Ostdeutschland weiter öffnet. So ist die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern zwar deutlich gesunken und liegt im Jahresdurchschnitt bei 9,2 Prozent, doch in der alten Bundesrepublik sind lediglich 5,7 Prozent ohne Job. Und während die Wirtschaft östlich der Elbe um 1,5 Prozent wuchs, wofür fast ausschließlich die positive Entwicklung Berlins verantwortlich ist, waren es im Westen sogar 1,7 Prozent – noch immer liegt die Wirtschaftskraft Ostdeutschlands pro Kopf rund 27,5 Prozent niedriger als in Westdeutschland.
„Nichts deutet darauf hin, dass sich diese Lücke mittel- oder langfristig schließen könnte“, warnt Gleicke. Die Wirtschaft im Osten müsste eigentlich deutlich stärker wachsen als in den alten Ländern, um aufzuschließen, doch das Gegenteil sei der Fall. Der Westen läuft dem Osten davon.