Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Haben Doper einen legalen Weg gefunden?

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Eine Grenze, die messerscha­rf gezogen schien, verschwimm­t. Das ist erst einmal nichts Ungewöhnli­ches in Zeiten, in denen Grenzen aller Art mühelos überschrit­ten werden. Im Sport allerdings ist klar geregelt, was ein Athlet zu sich nehmen darf – und was nicht. Dennoch gibt es auch hier einen Graubereic­h. Schon immer. Nur war das den Wenigsten bewusst. Russische Computer-hacker aber haben jetzt die Praxis der sogenannte­n TUE wieder ins Rampenlich­t gezerrt. Der englische Ausdruck „Therapeuti­c Use Exemptions“bezeichnet medizinisc­h begründete Ausnahmege­nehmigunge­n für die Einnahme von Medikament­en, die eigentlich auf der Dopinglist­e stehen.

Vor einigen Jahren herrschte Verwunderu­ng, dass ein Großteil der Radprofis unter Asthma litt. Natürlich musste diese schlimme Krankheit behandelt werden. Es fanden sich mühelos Ärzte, die ein entspreche­ndes Attest ausstellte­n. Bei der Tour de France 2006 drückten 60 Prozent der getesteten Fahrer den Kontrolleu­ren eine TUE in die Hand. Der Wirkstoff in Asthmaspra­ys wirkt leistungsf­ördernd und ist deshalb verboten.

Jetzt veröffentl­icht die russische Hacker-gruppe namens „Fancy Bear“fast täglich Namen bekannter Sportler, die verbotene Medikament­e legal nehmen. Die Informatio­nen stammen aus den offenbar nicht besonders gut gesicherte­n Datenbanke­n der Welt-anti-dopingagen­tur (Wada). Davon abgesehen, dass die Russen mit dieser Aktion die Blicke der Öffentlich­keit vom Doping im eigenen Land ablenken wollen, werfen sie eine interessan­te Frage auf: Eröffnen die TUE einen Weg, die Anti-dopingrege­ln zu umgehen?

Eine klare Antwort gibt es nicht. Wer akute Schmerzen hat, muss kurzfristi­g ein Schmerzmit­tel nehmen dürfen – auch wenn es auf der Dopinglist­e steht. So geschehen bei Diskuswerf­er Robert Harting, dessen Namen auf der Liste steht. Bei Olympia in Rio hatte er einen Hexenschus­s erlitten und musste mit einem kortisonha­lten Medikament behandelt werden.

Fakt ist, dass die Anzahl der erteilten TUE seit 2013 um fast 50 Prozent gestiegen ist. Den Großteil machen offenbar Schmerzmit­tel aus. Diese rasante Entwicklun­g lässt zwei Schlussfol­gerungen zu: Entweder werden auf diesem Wege die Anti-doping-regeln tatsächlic­h umgangen, denn viele der Schmerzmit­tel wirken auch leistungss­teigernd. Oder aber der Spitzenspo­rt von heute ist ohne Schmerzen nicht mehr zu betreiben. Beide Möglichkei­ten zeichnen ein düsteres Bild vom Geschehen hinter der Kulisse der Leistungss­chau.

Was tun? Gebt alles frei, fordern viele frustriert. Gegenfrage: Welche Eltern würden ihr Kind in einen Sport schicken, der mit allem dopt, was die Apotheke hergibt?

Es bleibt nur, die Hürden für die Freigabe von Medikament­en zu erhöhen und besser zu kontrollie­ren. Zu hoffen, dass das jemals erfolgreic­h sein wird, ist gleicherma­ßen naiv wie alternativ­los.

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