Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Luigi Malerba – Die nackten Masken (24)
Von Migräne geplagt setzte sich Cosimo Rolando wieder in den Spiegelsalon, löste seine Pantoffeln und fragte sich, welches der wahre Grund dieses Besuchs gewesen sein mochte. Er dachte lange nach, stellte Dutzende von Vermutungen an, und verwarf sie alle. Endlich beschloß er, daß der Kardinal Ottoboni, befriedigt vom Erwerb des Abreviatoramts und mit der Gewißheit, gute Karten für das des Kardinalkämmerers in der Hand zu haben, einfach gekommen war, um ihn zu überreden, sich den Bart nicht abzuschneiden. Manchmal sind die Dinge wirklich so, wie sie sich darstellen, und der Schein stimmt mit der Wahrheit überein.
DRITTES BILD Von Barcelona nach Livorno
DWer als Renaissance-kardinal ein laster- und lotterhaftes Leben in Rom gewöhnt war, dem konnte es nicht in den Kram passen, wenn ein neuer Papst gewählt wird, der aufräumen möchte mit allen Orgien . . . Luigi Malerba: Die nackten Masken © Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 288 Seiten, 13,90 Euro ie päpstliche Flotte segelte bis Barcelona die Küste entlang – aus Furcht vor den häufigen Unwettern in diesen Buchten. Obwohl die
Flotte aus fünfzig Schiffen bestand und mit zweitausend Soldaten bemannt war, fürchtete man mehr als die Unwetter die türkischen Piraten, die das ganze Mittelmeer unsicher machten.
In Barcelona wurde Hadrian in der Kathedrale, wo sich die ganze hohe Geistlichkeit der Stadt und der Umgebung versammelt hatte, festlich geehrt. Durch die Anwesenheit des Abtes von Montserrat, einem der berühmtesten kulturellen Zentren der katholischen Welt, wurde diese Begegnung zu einem historischen Ereignis. Aber der Papst enttäuschte jegliche Erwartung, indem er nur wenige Grußworte an die Versammelten richtete, und weder die inneren Schwierigkeiten erwähnte, welche die Römische Kirche quälten, noch jene, die Deutschland nach dem Skandal des Ablaßhandels und dem Anschlag der 95 Thesen Luthers gerade erschütterten.
Nach seiner Rückkehr Montserrat versammelte auf der den Abt alle Mönche der großen Benediktiner-abtei, die mit Spannung seinen Bericht über das Treffen mit dem neuen Papst erwarteten. Aber der Abt sagte von der Höhe seiner Kanzel herab lediglich: „Vidi Ponteficem“, ich habe den Papst gesehen, und verfiel dann in ein strenges Schweigen, das mehr als jede Rede seine tiefe Enttäuschung zeigte.
Von Barcelona stach die Flotte wieder in See und passierte ohne Aufenthalt den Hafen von Marseille – aus Mißtrauen gegen die Franzosen, die in Hadrian ein Geschöpf des Kaisers sahen. Indessen wurde ein Halt in Santo Stefano al Mare beschlossen, um dort den Tag der Himmelfahrt zu feiern. Nach dem Gottesdienst heiterten große Festbeleuchtungen die Dunkelheit auf, als aber die Lichter verloschen, wollte der Papst wissen, wieviele Dukaten dieses Schauspiel gekostet hätte.
In Savona machte man von neuem Halt, und der Papst wurde vom Erzbischof Tommaso Riario mit solchem Prunk an Gold und Silber und solch offensichtlicher Zurschaustellung von Reichtum empfangen und beherbergt, daß der Gast wie betäubt und sprachlos blieb. Über die Pracht solchen Empfangs durch den Erzbischof, der zu einer der reichsten Familien gehörte, die sich in der Römischen Kurie fest eingenistet hatten, sagte der Papst zu seinen Begleitern im Vertrauen, daß er jetzt begänne sich darüber klar zu werden, welches Leben die hohen Prälaten in der Hauptstadt der Christenheit führten – abgestumpft vom Luxus und vom Schirokko.
Bei einem weiteren Halt in Genua, wo Hadrian drei Tage blieb und die tragischen Bilder einer vom Krieg zerrütteten Stadt vor Augen hatte, vermochten die kaiserlichen Kommandanten Prospero Colonna und Antonio Leyva keineswegs seine Traurigkeit zu vertreiben, und sie erhielten auch nicht die herzliche Behandlung, die sie von einem Papst kaiserlicher Provenienz erwarteten. Im Gegenteil, es lief das Gerücht um, daß Hadrian diesen Kriegsherren gar seinen Heiligen Segen verweigert hätte.
Der folgende Halt kam als unerwartete Unterbrechung: im Golf des Tigullio, wo die Flotte wegen stürmischer See für vier Tage vor Anker ging. Die Furcht vor türkischen Piraten veranlaßte dann den Kommandanten der Flotte, bis nach Livorno vorsichtig die Küste entlang zu fahren, wo die Schiffe endlich am 23. August anlegten. Hier fand Hadrian die fünf toskanischen Kardinäle Medici, Petrucci, Passerini, Piccolomini und Ridolfi zu seinem Empfang bereit, gehüllt in funkelnde Mäntel, auf den Köpfen breitkrempige Hüte mit Federschmuck, welche ihn abermals den Luxus und die Frivolität des päpstlichen Hofes ahnen ließen. Gewänder wie am Kaiserhof von Byzanz, so definierte sie Hadrian, und als man ihm das kostbare Silbergeschirr als Geschenk anbot, mit dem die Tafel des feierlichen Banketts dekoriert war, bemerkte er abermals, daß die italienischen Kardinäle wie Könige lebten.
„Verdient euch Schätze für den Himmel und nicht für die Erde“, rief er unter Zurückweisung der Geschenke aus, und er wollte nicht Halt machen in Pisa und Florenz, noch wollte er einen Aufenthalt in Bologna einlegen, wie ihm die Kardinäle vorschlugen, um ihn noch eine Weile von der Pest fernzuhalten, die in Rom wieder begonnen hatte, ihre Opfer hinzuraffen. Vielmehr sei das, so sagte der Papst, ein guter Grund, seine Reise zu beschleunigen, um baldmöglichst in die Hauptstadt zu gelangen, auf daß er den Pestkranken Trost bringe.
Und so trug jedes Wort und jede Geste des Papstes dazu bei, die Bestürzung und Niedergeschlagenheit der Purpurträger zu vergrößern, die allmählich begriffen, wieviel schlimmer der Flame war als alle Vorstellungen, die man sich von ihm gemacht hatte, und daß in der Hauptstadt harte Zeiten für alle Inhaber Auf die Nachricht hin, daß sich ein günstiger Wind erhoben hätte, eilte Hadrian aufs Schiff und gab den Befehl von Livorno in See zu stechen, ohne die Kardinäle zu benachrichtigen, die noch bei einem animierten Konziliabulum tafelten.
Trotz des Affronts durch diese plötzliche Flucht, beeilten sich die Kardinäle in ihre Kutschen zu steigen, um bei der Einsetzungszeremonie in Rom anwesend zu sein, und sie fragten sich, welche weiteren bösen Überraschungen noch von diesem arroganten und plebejischen Papst zu gewärtigen wären, den sie einfältigerweise mit ihren eigenen Stimmen erwählt hatten. Einer von ihnen richtete gar glühende Gebete an den Allmächtigen Gott, auf daß er ihn, sich der Pest bedienend, zu den Seligen in den Himmel riefe, oder noch besser, ihn für das Fegefeuer bestimmte – zur Buße für seine Arroganz.
Dkirchlicher Würden
Sünde der Wollust
begannen. aß der Kardinal della Torre ihn dazu angestiftet hatte, eine Sünde der Wollust zu begehen, erschien dem Diakon Baldassare eine sehr extravagante und ausgelassene Verrücktheit. »25. Fortsetzung folgt