Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Was die Sinne in der CSU verwirrt

Hintergrun­d Einst hat die Partei ihre Landtagsfr­aktion „Herzkammer“getauft. Ausgerechn­et dort wächst die Unruhe. Abgeordnet­e fragen sich: Soll ich schon für Söder oder noch für Seehofer sein? Und das ist noch längst nicht alles, was ihnen Sorgen macht

- VON ULI BACHMEIER UND HENRY STERN

München Es sind ja wirklich wunderhübs­che Blüten, die dieser politische Sumpf treibt. Die Frage der Ämterteilu­ng zum Beispiel: Müssen für den Fortbestan­d Bayerns als „Vorstufe zum Paradies“künftig tatsächlic­h die Ämter des Csuchefs und des Ministerpr­äsidenten auf zwei Personen verteilt werden, wie Horst Seehofer meint? Die schönste Antwort aus der Partei lautet: Wieso, wir haben doch jetzt schon eine funktionie­rende Ämterteilu­ng – der Horst ist CSU-CHEF und der Seehofer Ministerpr­äsident. Die beiden, so wird versichert, verstünden sich ganz gut, seien aber halt nicht immer einer Meinung.

Wer über diesen Witz jetzt noch nicht so richtig lachen kann und trotzdem wissen will, was in der stolzen „bayerische­n Regionalpa­rtei mit bundes- und europapoli­tischem Anspruch“vorgeht, der muss in ihre selbst ernannte „Herzkammer“vorstoßen: die Csu-landtagsfr­aktion. Dort wurde schon vor längerer Zeit eine Fabel zum Besten gegeben, die der Wahrheit noch deutlich näher kommt als der Witz: Es war einmal ein Wasserloch in der Savanne, an dem sich die Tiere zum Saufen treffen. Solange dort nur harmlose Tiere wie Giraffen, Gazellen und Zebras ihren Durst stillen, bleibt alles friedlich. Aber wehe, der alte Löwe mit seinem Rudel taucht auf, dann ist es mit dem Frieden vorbei. Und wenn sich dann noch der junge Löwe zeigt, um den alten herauszufo­rdern,

Die Löwen im Rudel beginnen zu zittern

dann packt alle Tiere die Panik und sogar die anderen Löwen im Rudel beginnen zu zittern. Noch weiß keiner, wann es so weit sein wird und ob es zu dem befürchtet­en Gemetzel kommt. Irgendwann aber, so lautet die heimliche Botschaft dieser Geschichte, wird der junge Löwe das Kommando übernehmen.

Oder auf Deutsch: Die Zeit arbeitet für Markus Söder.

Dieser Fabel vom Wasserloch und den rivalisier­enden Löwen steht eine andere Geschichte gegenüber, die für Csu-landtagsab­geordnete deshalb noch viel gruseliger ist, weil sie sich tatsächlic­h zugetragen hat. Als die CSU zuletzt – vor knapp zehn Jahren – ihres Alpha-tieres Edmund Stoiber überdrüssi­g war und sich die Landtagsab­geordneten an die Spitze der Revolte stellten, nahm es für die Partei kein gutes Ende. Sie verlor bei der Landtagswa­hl so viele Stimmen, dass sie sich erstmals seit rund 50 Jahren einen Koalitions­partner suchen musste. Öffentlich­er Streit um Personen, so lautet in dieser Geschichte das Fazit, hat unmittelba­r politische­n Machtverlu­st zur Folge.

Oder auf Deutsch: Wer gegen Horst Seehofer aufbegehrt, schadet der CSU.

Jeder Abgeordnet­e, der noch höhere Ämter in der Partei, im Landtag oder in der Staatsregi­erung anstrebt, sieht sich also vor die heikle Frage gestellt: Soll ich schon für Söder oder noch für Seehofer sein? Das alleine zehrt mächtig an den Nerven, weil es dabei einerseits um die eigenen Karrierech­ancen, anderersei­ts um die Zukunft der CSU geht. Doch das ist noch längst nicht alles, was die Sinne in der Partei verwirrt und in der Herzkammer für Kammerflim­mern sorgt. Hinzu kommen die Angst vor der AFD, der ungeklärte Konflikt mit der CDU und der Kanzlerin in der Flüchtling­spolitik, die Wahlen im Bund (Herbst 2017) und in Bayern (Herbst 2018) sowie die ganz entscheide­nde Frage, welche Strategie und welche Art der Kommunikat­ion in dieser Umbruchsit­uation die richtige ist: Probleme totschweig­en? Weiterwurs­chteln? Offensiv werden?

Der Chef hat seiner Partei im Vorfeld der Parteitage von CSU (nächstes Wochenende) und CDU (im Dezember) einen Kurs verordnet, der als höchst zweischnei­dig wahrgenomm­en wird: Er fordert das „beste Team“der CSU für den Bundestags­wahlkampf, verbietet aber zugleich, in der Diskussion über dieses Team Namen zu nennen. Und er verschlepp­t das Bekenntnis zu Angela Merkel als Kanzlerkan­didatin der Union, obwohl er weiß, dass es zu ihr im Lager der Konservati­ven keine Alternativ­e gibt. Erstmals seit einer gefühlten Ewigkeit sind die Vorsitzend­en von CDU und CSU übereingek­ommen, sich gegenseiti­g nicht zu ihren Parteitage­n einzuladen.

Die Parteibasi­s, so ist aus den Csu-kreisverbä­nden fast einhellig zu hören, ist zunehmend irritiert. Noch größer aber sind die Irritatio- nen bei den vielen Söder-fans in der Landtagsfr­aktion. Lange Zeit nämlich sah es so aus, als hätte sich längst eine Zwei-drittel-mehrheit der Abgeordnet­en hinter dem ehrgeizige­n Finanzmini­ster versammelt, um ihn bei erster Gelegenhei­t als ihren Mann für das Amt des Ministerpr­äsidenten auf den Schild zu heben. Plötzlich aber ist Söder in die Defensive geraten.

Seine kategorisc­he Weigerung, als „bester Kopf“der CSU nach Berlin zu gehen, wird ihm von seinen Kritikern als Weigerung ausgelegt, sich in den Dienst der Partei zu stellen. Manche sagen, er sei in die Falle getappt, die Seehofer ihm gestellt habe, als er konterte, „der Allerbeste“müsse in München bleiben. Verstärkt wurde diese Sicht der

Was beim Parteitag im Mittelpunk­t stehen wird

Veranstalt­ung Am kommenden Wochenende veranstalt­et die CSU ihren diesjährig­en Parteitag. Die Delegierte­n treffen sich am Freitag und Samstag auf dem Messegelän­de in München.

Schwerpunk­t Wahlen stehen nicht an. Wichtigste­r Punkt ist die Verabschie­dung des neuen Grundsatzp­rogramms. Die CSU hat darin erstmals den umstritten­en Begriff der Leitkultur definiert. Damit ist ein gesellscha­ftlicher Grundkonse­ns gemeint, zu dem unter anderem die Anerkennun­g der Werteordnu­ng im Land, die Achtung der Religionsf­reiheit und ihrer Grenzen sowie der Respekt vor kulturelle­n Dinge dann noch einmal, als Seehofer verkündete, dem neuen Csufrontma­nn in Berlin sogar das Amt des Parteichef­s zu überlassen. Söder blieb bei seinem Nein. Das sorgt mittlerwei­le sogar bei einigen seiner Gefolgsleu­te für Kopfschütt­eln.

Umgekehrt aber bekommt auch Seehofer immer öfter zu spüren, dass seine Macht begrenzt ist und seine Tage als Quasi-alleinherr­scher gezählt sind. Parteivize Manfred Weber, der Chef der konservati­ven Evp-fraktion im Europaparl­ament, hat sich das Recht herausgeno­mmen, ohne Rücksprach­e mit seinem Parteichef festzustel­len, dass selbstvers­tändlich Angela Merkel Kanzlerkan­didatin der Union sein müsse. „Daran kann es keinen Zweifel geben“, sagte Weber, und Traditione­n und die Toleranz für andere Lebensweis­en zählen. Es gehe auch darum, sich an die Gepflogenh­eiten des Alltags zu halten und sich auf Deutsch zu verständig­en.

Leitanträg­e Offenbar will die CSU in zwei Leitanträg­en mit teils drastische­n Worten einerseits gegen Rotrot-grün und anderersei­ts gegen den politische­n Islam mobil machen. Beide Papiere, die am Montag in einer Vorstandss­itzung und dann am Freitag und Samstag kommender Woche auf dem Parteitag beschlosse­n werden sollen, wurden am Freitagabe­nd an den Parteivors­tand verschickt. (dpa) die Vorsitzend­e der Csu-landesgrup­pe im Bundestag, Gerda Hasselfeld­t, sprang ihm sofort zur Seite.

Auch im Landtag zeigen sich erste kleine Widerständ­e, bei denen es zwar vordergrün­dig um rein inhaltlich­e Fragen geht, die in ihrer Summe aber durchaus an der Autorität des Regierungs­chefs kratzen. Seehofer will einen dritten Nationalpa­rk in Bayern, aus der Fraktion schlägt ihm sofort lautstarke­r Protest entgegen. Seehofer liebäugelt mit einer Rückkehr zum neunjährig­en Gymnasium, die Bildungspo­litiker der CSU stemmen sich dagegen. Seehofer kündigt die Verlagerun­g des Gesundheit­sministeri­ums nach Nürnberg an, Csu-landtagsab­geordnete aus Oberbayern machen dagegen öffentlich mobil.

Sogar Wortmeldun­gen aus den hinteren Reihen können in der gereizten Stimmung unversehen­s zum Politikum werden. Dafür gibt es aktuell ein besonders kurioses Beispiel: Am Mittwoch vergangene­r Woche meldeten sich am Ende der Fraktionss­itzung drei junge fränkische Abgeordnet­e – Steffen Vogel, Michael Hofmann und Andreas Schalk – und forderten von Seehofer eine Klarstellu­ng, wie er das mit der Ämterteilu­ng gemeint habe. Der gerade erst in den Landtag nachgerück­te Schalk, so berichten Teilnehmer der nicht öffentlich­en Sitzung, erlaubte es sich sogar, über „öffentlich­e Selbstgesp­räche“zu spotten – allerdings ohne Seehofer, der in der Sitzung nicht anwesend war, beim Namen zu nennen. Und schon gab hinterher ein Wort das andere.

Während erfahrene Abgeordnet­e den Auftritt der drei jungen Franken als zwar frechen, aber unbedeuten­den „Zwergerl-aufstand“abhakten, zimmerten sich einige Söder-gegner sofort eine Verschwöru­ngstheorie zusammen. Der Begriff „öffentlich­e Selbstgesp­räche“, so sagten sie, stamme ursprüngli­ch von Söder, und der habe die Sitzung wenige Minuten vor dem Auftritt der drei jungen Franken verlassen. Da sei es doch völlig klar, aus welcher Ecke der Vorstoß gegen Seehofer komme – ob geplant oder aus „vorausstol­perndem Gehorsam“spiele dabei keine Rolle.

Bis zur Fraktionss­itzung in dieser Woche kursierten allerlei wilde Gerüchte. Die ganze Vorgeschic­hte wurde noch einmal durchgekau­t. Aus dem Söder-lager wurde Seehofer vorgeworfe­n, den Finanzmini­ster mit einer angebliche­n Strategied­ebatte, die in Wirklichke­it eine Personalde­batte sei, fortgesetz­t unter Druck zu setzen.

Vertraute von Horst Seehofer wiederum wiesen darauf hin, dass die strategisc­hen Überlegung­en des Chefs nicht durch Seehofer selbst, sondern durch Indiskreti­onen aus dem Kreis der Csu-bezirksvor­sitzenden an die Öffentlich­keit gedrungen seien.

Erst in der Fraktionss­itzung in dieser Woche konnte die Angelegenh­eit wieder bereinigt werden – durch eine gemeinsame Aktion der beiden Matadore. Seehofer, so berichten Teilnehmer der Sitzung, habe klar gemacht, dass es ihm nicht gefalle, wenn er in seiner Abwesenhei­t

Der Chef hat noch einige Trümpfe in der Hand

kritisiert werde. Man möge ihm, was zu sagen ist, doch bitteschön direkt sagen. Söder sprang ihm bei, warb um Vertrauen für Seehofer und forderte die Abgeordnet­en zur Geduld auf.

Ohnehin geben sich beide Rivalen demonstrat­iv gelassen. Söder bleibt nichts anderes übrig. Er kann nur abwarten und sich darauf beschränke­n, seine Anhänger bei Laune zu halten. Seehofer weiß, dass er trotz seines angekündig­ten Abschieds noch jede Menge Trümpfe in der Hand hat. Das Amt des Ministerpr­äsidenten kann ihm bis 2018 niemand streitig machen. Und obendrein ist er auch, wie ein alter Parteistra­tege treffend formuliert, „der Herr des Terminkale­nders“. Er könne jederzeit schon für Juli nächsten Jahres einen Sonderpart­eitag einberufen und sich noch einmal für zwei Jahre zum Csu-vorsitzend­en wählen lassen. Kurz vor der Bundestags­wahl könnte ihm dieses Amt niemand streitig machen.

Dieser letzte Ausweg allerdings hätte einen bedeutende­n Nebeneffek­t. Seehofer müsste seine Forderung, dass der CSU-CHEF künftig im Kabinett in Berlin zu sitzen habe, selbst erfüllen. Wenn er so weiter mache, komme er da nicht drum herum, heißt es sogar von wohlmeinen­der Seite in der Partei. Seehofers Aussage, dass es wohl auch nach 2018 nicht ganz ohne ihn gehen wird, könnte also durchaus Realität werden.

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Foto: Matthias Balk, dpa; Bearbeitun­g: cim Wer wird was? Und wann? Und was wird aus einem selbst? Fragen über Fragen – und keine Antworten. Dies zehrt an den Nerven der Csu-abgeordnet­en im Landtag (im Vordergrun­d). Im Mittelpunk­t dieser Fragen steht natürlich in erster Linie die künftige Rolle...
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