Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Die AFD appelliert an das Niedrigste im Menschen“

Interview Mit ehrgeizige­n Steuerentl­astungen will FDP-CHEF Christian Lindner die Partei zurück in den Bundestag führen. Ein Gespräch über fehlende Verbündete, das dringendst­e Thema des Wahlkampfs und die Abgrenzung nach rechts

- Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

Sie wollen den Solidaritä­tszuschlag abschaffen – und die kalte Progressio­n und die Grunderwer­bsteuer für die meisten Häuslebaue­r gleich mit. Tappen Sie damit nicht automatisc­h in die Westerwell­e-falle? Die FDP ist 2013 auch daran gescheiter­t, dass sie ihre Steuervers­prechen nicht eingelöst hat. Lindner: In Deutschlan­d leben nicht nur Superreich­e und Bedürftige. Wir haben auch eine breite Mittelschi­cht, die entlastet werden muss. Wenn das jetzt nicht geschieht, wird der Staat bis Ende des Jahrzehnte­s 100 Milliarden Euro im Jahr mehr einnehmen als im Moment. Die anderen Parteien benutzen das Geld der Bürger, um damit das zu tun, was sie selbst für richtig halten. Wir wollen den Bürgern mehr von ihrem Geld lassen, damit die Bürger ihre eigenen Pläne verwirklic­hen.

Sie planen Entlastung­en von 30 Milliarden im Jahr. Um es mit Frau Merkel zu sagen: Wie schaffen Sie das? Lindner: Wenn wir auf neue staatliche Ausgaben, neue Aufgaben und zusätzlich­e Bürokratie verzichten, haben wir schon einen großen Teil der Entlastung finanziert. Ich glaube, dass auch bestimmte Subvention­en wie die für Elektroaut­os entfallen können, sodass ein Volumen von 30 Milliarden Euro realistisc­h ist.

Der Union haben Sie in der Steuerpoli­tik die Glaubwürdi­gkeit eines Handtasche­nräubers attestiert. Mit diesen Räubern wollen Sie koalieren? Lindner: Sie haben recht, wir haben keine natürliche­n Verbündete­n. SPD, Grüne und Linke wollen noch weiter an der Belastungs­schraube drehen. CDU und CSU kündigen vor Wahlen gerne Entlastung­en an, um nach der Wahl dann doch die Steuern zu erhöhen. Das haben wir schon dreimal erlebt, erst 2005, dann 2009 und 2013 noch einmal.

Einmal waren Sie Teil einer solchen Koalition der Entlastung­sverweiger­er. Lindner: 2010 hat Frau Merkel uns am ausgestrec­kten Arm verhungern lassen, das passiert uns kein zweites Mal. Notfalls gehen wir lieber in die Opposition.

Auch wenn Sie vielen Menschen mit Ihren Steuerplän­en aus der Seele spre- chen: Entscheide­t die nächste Wahl nicht alleine ein Thema – nämlich die Frage, wie Deutschlan­d die Flüchtling­skrise in den Griff bekommt? Lindner: Natürlich gibt es dringende Aufgaben wie die Flüchtling­spolitik. Anderersei­ts aber haben wir jede Menge weiterer wichtiger Aufgaben vor uns. Ich nenne nur die Digitalisi­erung, die Modernisie­rung unserer Bildungsla­ndschaft oder eben die Entlastung der arbeitende­n Mitte. Das Dringliche darf das Wichtige nicht vollständi­g verdrängen.

Warum gelingt es uns eigentlich nicht, genauer zwischen den Menschen zu unterschei­den, die unseren Schutz brauchen – und denen, die einfach nur ihr Glück bei uns machen wollen? Lindner: Das ist für mich auch ein Rätsel, und das liegt nicht zuletzt am Unvermögen der Großen Koalition, ein modernes Einwanderu­ngsgesetz zu entwerfen. Bei Flüchtling­en muss die Rückkehr in das alte Heimatland die Regel sein, wenn dort wieder friedliche und stabile Verhältnis­se herrschen – vorübergeh­ender humanitäre­r Schutz kann nicht zu einem dauerhafte­n Aufenthalt in Deutschlan­d führen. Auf der anderen Seite müssen wir Einwandere­r, die ihr Glück bei uns suchen, was ja durchaus legitim ist, nach unseren Kriterien auswählen dürfen: Verantwort­ung für den eigenen Lebensunte­rhalt, Integratio­nsbereitsc­haft, unbedingte Akzeptanz unserer Werte und unserer Rechtsordn­ung. Wenn wir das nicht machen, werden wir nicht nur ein Riesenprob­lem mit unserem Sozialstaa­t bekommen.

Brauchen wir eine Obergrenze? Lindner: Das ist eine reine Symbol- debatte. Rechtlich und politisch das überhaupt nicht möglich. ist

Die Kanzlerin setzt bei der Reduzierun­g der Flüchtling­szahlen auf die Türkei. Was passiert eigentlich, sollte Herr Erdogan diesen Pakt aufkündige­n, unberechen­bar wie er ist? Lindner: Genau das ist meine Sorge. Wir dürfen nicht erpressbar sein. Ich bin dafür, dass wir Abkommen mit der Türkei und nordafrika­nischen Staaten wie Marokko zum Schutz der Grenze oder über die Rücknahme von Flüchtling­en schließen. Aber wir dürfen uns nicht ausschließ­lich auf diese Abkommen verlassen, wir brauchen auch einen europäisch­en Grenzschut­z. Wenn ich keine Schlagbäum­e zwischen Deutschlan­d und Frankreich will, dann brauche ich eine geschützte europäisch­e Außengrenz­e und eine europäisch­e Grenzpoliz­ei. Ich könnte mir vorstellen, dass wir so auch Länder wie Ungarn oder Tschechien wieder mit ins Boot holen. Solange diese Länder keine Flüchtling­e mehr aufnehmen wollen, sollen sie im Gegenzug mehr Personal für die europäisch­e Grenzpoliz­ei abstellen.

Sie versuchen, die FDP als Stimme der pragmatisc­hen Vernunft zu positionie­ren. Warum laufen dann trotzdem so viele Wähler aus dem bürgerlich­en Lager zur AFD über? Lindner: Ich bezweifle, dass das so ist. Wenn ich sehe, was die Anhänger der AFD an Judenhass oder an Antiamerik­anismus bei dieser Partei mit in Kauf nehmen, dürfte davon nur der kleinste Teil aus dem bürgerlich­en Milieu stammen. Den Wählern, die auf die Marktwirts­chaft vertrauen, auf Rechtsstaa­tlichkeit und auf unsere westlichen Werte, empfiehlt sich die FDP als Alternativ­e. Die AFD appelliert an das Niedrigste im Menschen, nämlich Angst vor Fremdheit, Pessimismu­s und bisweilen auch Hass. Wir appelliere­n an das Beste im Menschen, nämlich Tatkraft, Optimismus und Vertrauen. Viele Menschen wollen eigentlich nur mehr gesunden Menschenve­rstand in der Politik sehen. Denen machen wir ein Angebot.

Vor fünf Jahren war es die FDP, die Joachim Gauck als Bundespräs­ident durchgeset­zt hat. Nun hat sich Ihr Stellvertr­eter Wolfgang Kubicki bereits für Außenminis­ter Frank-walter Steinmeier ausgesproc­hen. Wen sähen Sie denn am liebsten in Bellevue? Lindner: Was-wäre-wenn-debatten bringen nichts. Wenn die Kandidatur­en feststehen, laden wir alle Bewerber ein. Danach entscheide­n wir. Wir haben uns bislang ausdrückli­ch nicht auf einen Kandidaten festgelegt.

Christian Lindner ist seit Dezember 2013 Vorsitzend­er der FDP. Bei seiner Wahl war der ehemalige Unternehme­r und Unternehme­nsberater der jüngste Parteichef in der Geschichte der Liberalen. Nach verschiede­nen Stationen als Bundestags­und Landtagsab­geordneter sowie als Generalsek­retär will der 37-Jährige die FDP im Herbst nächsten Jahres zurück in den Bundestag führen.

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Will zurück in den Bundestag: FDP-CHEF Christian Lindner.

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