Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Sie können alles – außer Deutsch?

Schule Baden-württember­g erlebt einen Pisa-schock: Das Land stürzt im Bildungsve­rgleich ab. Ist Grün-rot schuld?

- VON PETER REINHARDT

Stuttgart Nach dem tiefen Fall Baden-württember­gs im neuen Bildungsve­rgleich hat die Suche nach Ursachen und Schuldigen des Desasters begonnen. Cdu-kultusmini­sterin Susanne Eisenmann sprach von einem „dramatisch­en Abwärtstre­nd“. In den vergangene­n Jahren sei „viel zu viel“über Schulstruk­turen gestritten worden. Man habe „Qualität und Leistung völlig aus den Augen verloren“. Die seit Mai an der Seite der Grünen als Juniorpart­ner regierende CDU bewertet den Iqb-länderverg­leich des „Instituts zur Qualitätse­ntwicklung im Bildungswe­sen“als „Offenbarun­gseid für die Bildungspo­litik der Vorgängerr­egierung“.

Was der Pisa-schock vor 15 Jahren für Deutschlan­d war, ist der neue Schulleist­ungsvergle­ich des Instituts IQB für Baden-württember­g: Besonders bitter ist der Abwärtstre­nd im Fach Deutsch. 2009 hatte Baden-württember­g fast durchgängi­g den Platz zwei hinter Bayern belegt. Im Kompetenzb­ereich Zuhören stürzt das Land jetzt auf Platz 14 ab, beim Lesen auf Platz 13 und bei Rechtschre­ibung auf Rang zehn. Weil der Südwesten sich im Fach Englisch nur wenig verbessert hat, die anderen Länder aber deutlich, geht es im Leseverste­hen von Rang zwei auf neun und im Hörversteh­en auf Platz sieben.

Mit dem Iqb-schock bricht nun wieder die ideologisc­h aufgeladen­e Debatte über Schulstruk­turen auf, in der sich die Fraktionen im Landtag schon seit Jahren aufreiben. Dabei steht bei CDU und FDP ein mehrgliedr­iges, aber durchlässi­ges Schulsyste­m an erster Stelle, bei der SPD und den Grünen mit der umstritten­en Einführung der Gemeinscha­ftsschule ein System, das möglichst alle Kinder mitnehmen und ihnen die gleichen Chancen ermögliche­n soll.

So macht die CDU für das Ergebnis den früheren Spd-kultusmini­ster Andreas Stoch und dessen Spdvorgäng­erin Gabriele Warminskil­eitheußer verantwort­lich. Ähnlich sieht es die Fdp-opposition: „Die giftige Saat einer linksideol­ogischen Schulpolit­ik geht jetzt auf“, sagte Fdp-landtagsfr­aktionsche­f Hansulrich Rülke. Die frühere grün-rote Regierung habe „die Qualität von Gymnasien, Realschule­n und berufliche­r Bildung systematis­ch kaputt gemacht, um einer Einheitssc­hulideolog­ie zu frönen“.

Der frühere Spd-kultusmini­ster Stoch bestreitet dagegen, dass in seiner Amtszeit der Leistungsg­edanke vernachläs­sigt wurde: „Noten waren an Hauptschul­en und Gymnasien nicht verboten“, betont er. Die Einführung der Gemeinscha­ftsschule als „Schule für alle“und der Wegfall der Grundschul­empfehlung durch Grün-rot habe die Neuntkläss­ler, die im Mittelpunk­t der Iqb-studie standen, gar nicht betreffen können, heißt es bei Sozialdemo­kraten und Grünen. Sie betonen, dass schließlic­h auch die Leistungen in den Gymnasien schlechter wurden. Insofern könne nicht einfach Grün-rot als Sündenbock für das miserable Abschneide­n herhalten, so die Ex–regierungs­partner.

Doch die Neuerungen unter der grün-roten Koalition lösten unbestritt­en erhebliche Unruhe an den Schulen aus. Die Leiterin des Iqbtests, Petra Stanat, weist zwar darauf hin, dass der Trend für Badenwürtt­emberg schon länger nach unten weise. Allerdings sieht auch sie die von der Politik gewollten Strukturre­formen als eine Ursache für Unruhe an den Schulen. „Man muss schon sehr, sehr gute Gründe haben, um eine Schulstruk­tur anzufassen“, sagt sie. Das sieht auch die neue Cdu-kultusmini­sterin Eisenmann so: „Wir müssen endlich für mehr Ruhe und Stabilität in den Schulen sorgen.“Sie wies deshalb „reflexhaft­e Forderunge­n nach mehr Lehrerstel­len“zurück.

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Foto: dpa Besonders im Fach Deutsch stürzten Baden-württember­gs Schüler ab.

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