Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Erdogans Osmanisches Reich
Analyse Was plant der Präsident in Syrien und im Irak? Das türkische Fernsehen zeigt eine Landkarte, die Hinweise gibt. Ärger ist programmiert
Augsburg Als das Osmanische Reich in den letzten Zügen lag, wurde es in den Hauptstädten Europas als „der kranke Mann am Bosporus“verspottet. Auch die Gründer der modernen Türkei hielten es für entbehrlich und schafften es 1922 ab. In der Gedankenwelt des heutigen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan lebt die Zeit der Sultane allerdings wieder auf. Sogar der Harem, den die Herrscher in Istanbul unterhielten, gilt wieder etwas: Präsidentengattin Emine Erdogan preist ihn als „eine Lehreinrichtung, in der Frauen auf das Leben vorbereitet wurden“.
In türkischen Zeitungen und im Fernsehen tauchen neuerdings Landkarten mit den Grenzen des Osmanischen Reiches auf. Das seit 1453 von Istanbul aus regierte Imperium, das mehr als sechs Jahrhunderte lang bestand, umfasste in seiner Blütezeit außer der heutigen Türkei auch Griechenland, den Balkan und Teile Osteuropas, den Nahen Osten, Nordafrika und große Teile der Arabischen Halbinsel. Was Erdogan besonders wichtig ist: Syrien und der Irak mit den beiden umkämpften Millionenstädten Aleppo und Mossul gehörten zum osmanischen Kerngebiet.
Dort möchte Erdogan wieder mitmischen. „Die Türkei wird auf jeden Fall bei jeder Entwicklung im Irak und in Syrien eine Rolle spielen“, verkündete der Präsident in Ankara. Außenminister Mevlüt Cavusoglu wurde noch deutlicher: „Sollte sich eine Bedrohung für die Türkei ergeben, werden wir alle unsere Möglichkeiten einschließlich einer Bodenoffensive nutzen.“Als Bedrohung wird offenbar auch verstanden, wenn neue Fluchtwellen ausgelöst werden.
Einen Vorgeschmack hat Ankara bereits gegeben: Im August marschierten türkische Truppen unweit von Aleppo in Syrien ein. Sie vertrieben gemeinsam mit gemäßigten Rebellen die Terrormiliz IS aus der Stadt Dscharablus. Damit hatte Erdogan gleichzeitig einen Keil nach Syrien hineingetrieben, der das Entstehen eines zusammenhängenden Kurdengebiets entlang der türkischen Ostgrenze verhindern soll. Die Kurden sind Erdogans wahre Gegner in Syrien: Vor kurzem meldete Ankara, man habe Stellungen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) nördlich von Aleppo angegriffen und 200 Kämpfer getötet. Ginge es vorrangig um den Kampf gegen den IS, wären diese Männer Bundesgenossen gewesen ...
Gleichzeitig operieren türkische Einheiten auch bei Mossul. Diese Stadt stellt die letzte Bastion des IS im Nordirak dar. Regierungstruppen und verbündete Milizen, unterstützt aus der Luft von der westlichen Anti-is-allianz, haben zum Sturm geblasen. Jetzt wurde überraschend bekannt, dass türkische Einheiten bereits mitmischen: Sie sollen Peschmerga-kämpfer, die der kurdischen Regionalregierung im irakischen Erbil unterstehen, auf deren Bitte hin an der Front mit Artillerie und Panzern gegen den IS unterstützt haben. Die Regierung in Bagdad hatte dagegen türkische Aktivitäten in ihrem Land verboten.
Auf den ersten Blick erscheint es verwirrend, dass Erdogan einmal gegen Kurden vorgeht, ein anderes Mal aber Vertretern dieser Volksgruppe sogar hilft. Doch das Spiel „Gute Kurden, böse Kurden“hat System. Eine kurdische Provinz innerhalb des Staates Irak akzeptiert Erdogan, zumal deren Einwohner sunnitische Glaubensbrüder sind. Sie sollen ein Gegengewicht zur von Schiiten dominierten Zentralregierung
Das Spiel „Gute Kurden, böse Kurden“hat System
in Bagdad bilden. Erdogan möchte gerne als Schutzherr der Sunniten im Irak gesehen werden.
In Syrien dagegen will er verhindern, dass direkt an der Grenze ein Kurdenstaat entsteht. Dieser könnte auch bei den türkischen Kurden das durchaus spürbare Streben nach Autonomie verstärken. Bereits seit geraumer Zeit verschlechtert sich die Lage in der Osttürkei zusehends: Immer wieder kommt es zu Attentaten, während andererseits die Sicherheitskräfte rigide gegen die Bevölkerung vorgehen.
Die Einmischung Ankaras in Syrien und im Irak verursacht auch auf der internationalen Bühne böses Blut. Wegen des Streits erschien in dieser Woche zur Konferenz der Verteidigungsminister der Anti-is-koalition in Paris weder ein türkischer noch ein irakischer Vertreter. Beim Treffen der Natoverteidigungsminister in Brüssel bekam Ankara dann den Unmut der Bündnispartner zu spüren. Die Souveränität anderer Staaten müsse respektiert werden, sagt Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Mit der Türkei werde „unmissverständlich“geredet.
Westliche Politiker wollen unbedingt verhindern, dass ein Bündnisfall entsteht: Würde die Türkei vom Irak angegriffen, müsste die Nato ihrem Mitglied Türkei beispringen – und Erdogans Großmachtfantasien schützen.