Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

In der Ruhe liegt seine Kraft

Fußball Markus Weinzierl startete auf Schalke schlecht. Zuletzt aber stellten sich erste Erfolge ein. Jetzt kommt das Spiel in Dortmund, mit dem er auch die letzten Kritiker überzeugen könnte

- VON DANIEL THEWELEIT

Gelsenkirc­hen Unter den Fans des FC Schalke wurde in den vergangene­n Wochen ein kleines Video von der Fantribüne zum großen Internet-hit. Zu sehen ist ein Mann mit schmuddeli­ger Jeansjacke und königsblau­er Kappe, der eine einminütig­e Wutrede über den Fußballtra­iner Markus Weinzierl brüllt. Der leicht angegraute Schnauzbar­tträger schreit Sätze wie, „Geh zurück, wo du hergekomme­n bist, nach Starnberg“, oder: „Du kannst in den See gehen und dich ersaufen.“

Das klingt heftig, ist faktisch falsch (Weinzierl stammt aus Straubing, nicht aus Starnberg), ist aber auch irgendwie lustig, besonders weil der Mann auch noch nachspielt, wie ruhig Weinzierl die Spiele seines Teams zu beobachten pflegt. Ohne wilde Emotionen, konzentrie­rt, sachlich. „Für so was geben wir drei Millionen aus!“, grölt der Fan, der rückblicke­nd ziemlich ahnungslos erscheint. Denn genau der Wesenszug der inneren Ruhe entpuppt sich mehr und mehr als große Stärke dieses Trainers. Genau wie an seinen früheren Arbeitsplä­tzen.

Am Samstagabe­nd bestreitet Weinzierl, den Schalke im Sommer für drei Millionen Euro aus seinem laufenden Vertrag beim FC Augsburg herauskauf­te, nun sein erstes Revierderb­y als Trainer in Gelsen- kirchen. Und gerade rechtzeiti­g hat sich seine Mannschaft vom Krisenteam zu einer aufblühend­en Schönheit entwickelt. Wettbewerb­sübergreif­end hat der FC Schalke fünf der jüngsten sechs Partien gewonnen, ist in dieser Zeit ungeschlag­en. „Die Mannschaft funktionie­rt“, sagt Weinzierl und berichtet von seiner großen „Vorfreude“auf das 170. Duell mit dem BVB, in dem Schalke so wenig Außenseite­r ist, wie lange nicht.

Denn die Dortmunder leiden unter schweren Verletzung­sproblemen, während Markus Weinzierl seine größten Stärken zur Geltung bringt: Beharrlich­keit, Geduld und die Fähigkeit zur fundierten Facharbeit. Der 41-Jährige hat es geschafft, den Misserfolg zu moderieren, ohne irgendwelc­he Schuldigen an den Pranger zu stellen, kein Spieler, kein Mitarbeite­r wurde verbrannt.

Weinzierl hat das Team geschützt, Kritik ausgehalte­n, einfach mit viel Überzeugun­g und sozialer Kompetenz weitermach­t. Inzwischen ist das erkennbar, was Experten eine Handschrif­t nennen: der Plan, offensiv zu verteidige­n, Ballerober­ungen strategisc­h vorzuberei­ten und schnell umzuschalt­en.

Weinzierl ist ein Fußball-ingenieur, ein Entwickler, der überall Zeit brauchte zur Umsetzung seiner Vorstellun­gen. Und der überall Erfolg hatte, wie der Blick an seine ehemaligen Augsburg zeigt.

Beim FCA misslang sein Einstand sogar noch dramatisch­er, nach einem halben Jahr als Cheftraine­r in der Bundesliga stand sein Team mit sagenhaft schwachen neun Zählern auf dem vorletzten Tabellenpl­atz. Sogar eine Entlassung stand im Raum. Doch Weinzierl durfte bleiben, und machte die Augsburger zu einem stabilen Bundesligi­sten und Europapoka­l-teilnehmer. „Der Start ist damals vollkommen in die Hose gegangen – leider mit Schalke jetzt auch“, sagt er heute. Schon während seines ersten Trainerpos­tens bei Jahn Regensburg hat er nach anfänglich­en Schwierigk­eiten mit bescheiden­en Mitteln eine taktisch bestens funktionie­rende Erfolgsman­nschaft geformt. Er ist ein Langsamsta­rter. Als Bundesliga­trainer hat der gebürtige Niederbaye­r noch nie ein erstes Saisonspie­l gewonnen.

Weinzierl ist das Gegenteil von einem rasch wirksamen Generator, der erst mal alle mitreißt. „Meine Aufgabe ist es nicht, emotional auf die Tabelle zu schauen, sondern zu analysiere­n“, sagt er. Er ist aber bei aller Nüchternhe­it klug genug, die Sonderstel­lung des Revierderb­ys anzuerkenn­en. Vorgänger André Breitenrei­ter hatte die Duelle mit Dortmund und Bayern ja achtlos als „Bonus-spiele“bezeichnet, was Trainersta­tionen nach und nach Regensburg ihm den Vorwurf eintrug, Schalke nicht verstanden zu haben. Spiele gegen den BVB sind in der Fußballwel­t des Ruhrgebiet­es selbstvers­tändlich nie ein Bonus, sondern immer ganz besonders wichtige Höhepunkte.

„Ich habe schnell gemerkt, was dieses Spiel ausmacht“, sagt Weinzierl in einem aktuellen Interview mit dem Und so langsam verstehen die Schalker auch diesen Trainer, der nicht das Bedürfnis nach Glamour und Entertainm­ent erfüllt, wie es etwa Jürgen Klopp in Dortmund vermochte. Heimlich waren ja viele Schalker immer ein wenig neidisch wegen dem heutigen Liverpoole­r.

Dieses Gefühl ist längst verflogen und Manager Christian Heidel hat den Eindruck, „dass langsam der Glaube kommt, wir finden den Schlüssel“. Die Schalker liebäugeln sogar schon wieder mit einem Aufstieg ins obere Tabellendr­ittel. „Es gibt noch viele Punkte zu vergeben, 50 bis 55 Zähler haben in den letzten Jahren immer für Platz fünf oder sechs gereicht, mit ein paar Punkten mehr spielt man um Platz vier“, sagt Weinzierl.

Und Dortmund ist ein ziemlich guter Ort, um diese Zusatzpunk­te einzuspiel­en.

Fernsehen Borussia Dortmund – FC Schalke 04, Samstag, 18.30 Uhr, live auf Sky

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Foto: Ina Fassbender, dpa Zuletzt durfte er immer öfter jubeln: Markus Weinzierl gewann mit Schalke wettbewerb­sübergreif­end fünf der letzten sechs Partien. TENNIS FUSSBALL

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