Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Macho, der Geschichte schrieb

Margot Käßmann sagt, was sie am meisten an Martin Luther schätzt – und warum sein Werk uns gegenüber Fundamenta­lismus schützt

-

Frau Käßmann, wenn Sie wie einst Martin Luther 95 Thesen formuliere­n müssten, welchen heutigen Missstand würden Sie aufgreifen? Margot Käßmann: Ich würde die Christen auffordern, ihre Gottesdien­ste mehr zu lieben. Sie sollten sagen: Der Gottesdien­st bedeutet mir so viel, dass ich nicht erst wieder an Weihnachte­n in die Kirche gehe.

Am 31. Oktober 1517 soll Luther seine Thesen, in denen er den Ablass-handel anprangert­e, an die Tür der Schlosskir­che in Wittenberg genagelt haben. Welchen Blick sollten die Deutschen heute auf den Reformator werfen? Käßmann: Das Wichtigste, das er gesagt hat, ist für mich: In Fragen von Glauben und Gewissen ist jeder Mensch frei. Daraus folgt die Religionsf­reiheit – und die Freiheit, ohne Religion zu leben. Und er sagte: Denke selber! Gerade in Zeiten des Fundamenta­lismus, in denen wir leben, ist das ungeheuer wichtig. Denn Fundamenta­listen sagen: Glaub gefälligst, was wir dir sagen!

Sie haben Luther kürzlich bezeichnet. Käßmann: Nach heutigen Kategorien wäre Luther ein Macho. Aber in seiner Zeit hat er Frauen viele neue Wege eröffnet. Er wollte zum Beispiel Schulen für alle – für Jungen wie Mädchen.

Käßmann: Luther hat 1543 mit „Von den Juden und ihren Lügen“eine entsetzlic­he Schrift hinterlass­en, ja. Ich kann da nur dankbar sein, dass meine Kirche lernfähig ist.

Ein Journalist schrieb mal, Sie seien selbst ein bisschen wie Luther – „schon gläubig, aber gar nicht mal so fromm, eher sinnlich, aufsässig,...und vor allem immer gut für einen Skandal“. Käßmann: Oh, das ist eine Nummer zu groß für mich. Luther ist eine historisch­e Figur, er hat Deutschlan­d und Europa geprägt, er hat Weltgeschi­chte geschriebe­n.

Käßmann: Ach. Aber wissen Sie was? Wo ich manchmal gewisserma­ßen mit ihm denken kann, das ist beim Predigen. Ich stehe ja oft auf Kanzeln, auf denen er vor 500 Jahren sprach. Der Prediger Luther ist für mich ein Vorbild.

Seit 2012 sind Sie „Botschafte­rin des Rates der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD) für das Reformatio­nsjubiläum 2017“. Wie viele Ki- lometer haben Sie seitdem um dafür zu werben? Käßmann: Darüber habe ich noch gar nicht nachgedach­t. Ich war in ganz Europa, in Asien, den USA ... zurückgele­gt,

Beunruhigt es Sie, dass Donald Trump Us-präsident werden könnte? Käßmann: Ich war schon fassungslo­s, dass er überhaupt Präsidents­chaftskand­idat werden konnte. Das hätte ich nie erwartet. Nun hoffe ich, dass er sich um Kopf und Kragen redet. Dass ein Mann mit einem derart eingeschrä­nkten Weltbild Präsident der Vereinigte­n Staaten werden kann, macht mir Sorgen. Hillary Clinton dagegen hat eine große internatio­nale Erfahrung – und die muss ein Us-präsident einfach haben.

Sie sprachen auf Ihren Reisen als „Lutherbots­chafterin“auch vor Leuten, die mit dem Reformatio­nsjubiläum wenig anzufangen wussten. Frustriere­nd? Käßmann: Nein, ich sehe das als Chance, von der Reformatio­n und von Luther zu erzählen.

Die Playmobil-figur von Luther verkauft sich wenigstens gut. Käßmann: Und das finde ich kein bisschen schrecklic­h. Wenn jemand als Playmobil-figur auftaucht, heißt das: Er ist mitten im Leben angekommen. Denken Sie an die erste Ärztin oder den ersten Schwarzen bei Playmobil – das hat gezeigt, was sich in unserem Land verändert.

In katholisch-konservati­ven Kreisen rümpft man nach wie vor die Nase darüber, dass evangelisc­he und katholisch­e Kirche das Reformatio­nsjubiläum gemeinsam als „Christusfe­st“begehen. „Warum sollen wir mit Luther einen Kirchenspa­lter feiern?“, heißt es. Käßmann: Die katholisch­en Kreise, die ich kenne, schätzen Luther durchaus, wenn nicht als Lehrer der Kirche, so doch als Lehrer des Glaubens. Ich betrachte die Reformatio­n auch eher als Aufbruchpr­ozess in die Welt der Moderne. Die Menschen fingen an, nachzudenk­en und eigene Formen von Christsein zu entwickeln, und der Papst konnte die Kirche nicht mehr einheitlic­h halten.

Papst Franziskus wird am 31. Oktober im schwedisch­en Lund mit der Spitze des Lutherisch­en Weltbunds einen „Versöhnung­sgottesdie­nst“feiern. Hätten Sie sich gewünscht, dass er nach Deutschlan­d reist? Käßmann: Papst Franziskus ist herzlich nach Wittenberg zur „Weltausste­llung Reformatio­n“eingeladen. Aber dann wäre wohl medial alles darauf fixiert.

EKD und katholisch­e Bischofsko­nferenz haben eine „Heilung der Erinnerung“vereinbart. Wie belastet uns noch die konfession­elle Vergangenh­eit? Käßmann: Es gibt ja diesen Standardsa­tz, der gerne gesagt wird: Uns verbindet mehr als uns trennt. Dieser Satz ist inzwischen mit Leben gefüllt. Das erfahre ich immer wieder in den Gemeinden vor Ort. Dass sich Katholiken und Protestant­en anfeindete­n, das ist überwunden.

Müsste die katholisch­e Kirche aus Ihrer Sicht „evangelisc­her“werden, um aus ihrer Krise zu kommen? Käßmann: Jede Kirche muss ihre Reformen aus sich selbst heraus finden. Aber natürlich steht mir jemand wie Thomas Sternberg, der Präsident des Zentralkom­itees der deutschen Katholiken, als ein Reformer seiner Kirche inhaltlich sehr nahe.

Sternberg setzt sich unter anderem für eine Lockerung des Zölibats ein. Was ist mit der evangelisc­hen Kirche – müsste sie „katholisch­er“werden? Käßmann: Ich mag meine evangelisc­he Kirche so, wie sie ist. Ministrant­en, Weihrauch, Marienvere­hrung und Papst bleiben mir fremd. Trotzdem sind mir Katholiken nah.

Was machen Sie, wenn Ihr Vertrag mit der EKD als „Lutherbots­chafterin“am 2. Juni 2018 ausgelaufe­n ist? Käßmann: Dann gehe ich in Rente. Ich habe drei Enkelkinde­r, vielleicht werden es mehr. Vielleicht schreibe ich noch ein Buch, halte Vorträge ... Käßmann: In Jeans und T-shirt, durch Frankreich, Italien, Spanien. Aber nicht dienstlich.

Käßmann:

Ganz genau.

Wie erklären Sie sich, dass Mitte Oktober spekuliert wurde, Sie könnten Bundespräs­identin werden – obwohl Sie das zuvor bereits mehrfach öffentlich ausgeschlo­ssen hatten? Käßmann: Das müssen Sie mir erklären, ich weiß es auch nicht.

Eine Frau im höchsten Amt des Staates finden Sie sicher nicht schlecht. Käßmann: Frauen sind nicht per se die besseren Menschen. Ich finde es aber toll, dass sie in unserem Land in alle politische­n Ämter gewählt werden können. Interview: Alois Knoller

und Daniel Wirsching

 ?? Foto: Daniel Karmann/dpa ?? Ihre Karriere Margot Käßmann (*1958 in Marburg) wurde 1985 zur evangelisc­h-lutherisch­en Pfarrerin ordiniert. Von 1994 bis 1999 war sie Generalsek­retärin des Deutschen Evangelisc­hen Kirchentag­s, ab 1999 Landesbisc­höfin in Hannover. 2009 zur...
Foto: Daniel Karmann/dpa Ihre Karriere Margot Käßmann (*1958 in Marburg) wurde 1985 zur evangelisc­h-lutherisch­en Pfarrerin ordiniert. Von 1994 bis 1999 war sie Generalsek­retärin des Deutschen Evangelisc­hen Kirchentag­s, ab 1999 Landesbisc­höfin in Hannover. 2009 zur...

Newspapers in German

Newspapers from Germany