Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die große „Landreform“im Internet
Domains Hunderte neuer Endungen wie „.bayern“oder „.shop“wollen die bekannten Kategorien wie „.de“oder „.com“ablösen. Was Sie zu diesen sprechenden Adressen für alle möglichen Zwecke wissen müssen
Lange Zeit waren die Verhältnisse sehr klar. Das World Wide Web bestand, so paradox es klingt, vor allem aus Ländergrenzen. Die Endung .de stand für deutsche Webseiten und die Endung .fr für französische Inhalte. Dann gab es noch .com für Unternehmen aller Art oder .org für Organisationen.
Seit mehr als drei Jahren ist es mit dieser Klarheit vorbei. Hunderte neuer Endungen sind seitdem hinzugekommen. Anders als ihre Vorgänger bestehen sie nicht mehr aus technisch anmutenden Kürzeln. Statt dessen „sprechen“sie: Schon im Namen wird signalisiert, worum es auf der jeweiligen Webseite vermutlich geht. Die Branchenendung .reise weist auf touristische Angebote hin, .bayern hingegen auf Unternehmen oder Blogs aus dem Freistaat. Schlauberger können ihre Blog auf .expert oder .guru enden lassen, Unternehmer unter .shop ihre Produkte verkaufen und Spaßvögel unter .lol humoristisches Talent beweisen.
Vergeben werden die Endungen von der „Internet Corporation for Assigned Names and Numbers“(ICANN), eine Art globale Internet-behörde. Die neuen Top Level Domains, wie es in der Tech-sprache heißt, sollen vor allem Platz schaffen. Der war im eigentlich unbegrenzten World Wide Web nämlich knapp geworden. Unter den klassischen Endungen war irgendwann kaum noch eine attraktive Webadresse verfügbar.
„Die Einführung der neuen Top Level Domains ist einer der größten Umbrüche in der Geschichte des Internet“, meint Cherine Chalaby, der im Vorstand der ICANN sitzt. „Seit Beginn des Internets gab es nur eine begrenzte Zahl an Internet-endungen, etwa 200 Länder-endungen und einige allgemeine. Dank dem neuen Verfahren werden etwa 1300 neue Endungen eingeführt.“Das führe zu mehr Wettbewerb und zu mehr Auswahlmöglichkeiten.
Man könnte die neuen Endungen als große, digitale Landstücke bezeichnen. Die Inhaber der Internetendungen bieten einzelne Parzellen zum Kauf an, auf den verkauften Webadressen sollen sich dann Shops, Blogs und Onlinepräsenzen
Top Ten neuer Endungen
1. berlin 2. bayern 3. koeln 4. hamburg 5. ruhr 6. gmbh 7.nrw 8. kaufen 9. immobilien 10. jetzt (Quelle: ntldstats.com, Stand 13.01.2017) 58 625 Adressen 30 809 24 267 24 157 13 097 14 291 10 983 8781 7566 6865 von Privatleuten und Unternehmen ansiedeln.
Auch der Freistaat verfügt seit Frühjahr 2014 über eine eigene Endung. Da wurde .bayern formal in die Liste aller Endungen eingetragen, am 30. 9. des gleichen Jahres wurde sie zur Registrierung für jedermann freigeschaltet. Hinter der Endung steht die in München ansässige Bayern Connect Gmbh, die allerdings Firmentochter des global agierenden Domain-unternehmens Minds + Machines ist. Der Freistaat ist nicht an .bayern beteiligt, erhält jedoch am Umsatz des Betreibers eine Provision. Zurzeit sind etwa 30 000 einzelne .bayern-domains vergeben, beispielsweise gibt es die Seiten Finanzministerium.bayern und Wiesn.bayern. Viele der Adressen werden allerdings noch nicht aktiv genutzt oder leiten nach einem Klick auf die ursprüngliche Adresse unter .de oder .com weiter. Die erfolgreichste deutsche Internet-endung ist .berlin. Dort wurden knapp 60 000 Webadressen verkauft.
Bei einigen Endungen mit mehreren Interessenten ist bis heute noch nicht entschieden, wer sie betreiben darf, meist weil sich mehrere finanzkräftige Investoren darum streiten. Etwa 1200 neue Endungen sind zur Zeit im Netz. Ein großer Teil davon wird von den USA aus betrieben, und wie so oft im Internet geben wenige große Unternehmen den Ton an. Das Startup Donuts beispielsweise hatte sich für mehr als 300 bunt zusammengewürfelte Endungen beworben und steht unter anderem hinter dem deutschsprachigen .reisen sowie hinter .gmbh und .schule. Auch Google und Amazon mischen in dem Geschäft mit.
Der deutsche Sprachraum ist mit 19 Endungen vertreten, dazu zählen unter anderem die Branchenkategorien .reise, .versicherung und .immobilien. Dann gibt es allgemeinere Kategorien wie .jetzt, .kaufen oder .gmbh. Und vor allem verfügen verschiedene Städte und Regionen über eigene Top Level Domains. Neben .berlin gibt es .hamburg und .köln sowie die Länder-endungen .bayern, .nrw. und .saarland. Darüber hinaus bestehen viele Endungen aus internationalisierten Begriffen, die auch im Deutschen verwendet werden können, etwa .auto oder .bar, .yoga oder .email.
Und dann gibt es noch einen anderen ganzen Typus: Marken-endungen. Dort darf nicht wie üblich jeder eine Webadresse kaufen. Statt dessen sind die speziellen Endungen wie .edeka, .lidl, .volkswagen oder auch .eurovision exklusiver Hoheitsraum der jeweiligen Markeninhaber. Für die Unternehmen bedeutet das eine ganz neue und innovative Art, sich zu präsentieren.
Ein Fall wurde allerdings zu einem kleinen Politikum: .kinder. Der Grund: Der Süßwarenkonzern Ferrero wollte daraus eine Markenendung machen, die zu seinen Produkten wie „Kinder-riegel“oder „Kinder-schokolade“passt. Der Plan blieb lange Zeit unbemerkt. Als er publik wurden, gab es dann doch Proteste. Besonders der Deutsche Kinderschutzbund versuchte in letzter Minute zu intervenieren. Er erreichte unter anderem, dass die Kinderkommission des Deutschen Bundestags sich mit der Sache beschäftigte und schließlich sogar die Staatssekretärin des deutschen Familienministeriums, Caren Marks, offiziell bei der ICANN protestierte. Doch die Internetverwaltung ließ die Politik größtenteils abblitzen und verwies darauf, dass die Proteste zu spät kommen. Seit Oktober letzten Jahres ist .kinder als Ferrero-endung tatsächlich im Netz.
Die Betreiber der neuen Endungen versprechen den Unternehmen und den Nutzern im Netz viel. Neben der größeren Auswahl von Web-namen und einer besseren Orientierung soll ein gezielteres Marketing möglich werden, und das Netz soll vielfältiger werden. Die Betreiber sind überzeugt: Die neuen Endungen sind die digitale Zukunft.
Wann diese Vorteile und Visionen tatsächlich voll sichtbar werden, ist allerdings noch weitgehend unklar. Unter allen mehr als tausend neuen Endungen wurden bisher weltweit um die 28 Millionen Webadressen verkauft. Das klingt viel. Es relativiert sich aber schnell im Vergleich. Allein das deutsche .de weist mehr als 16 Millionen Adressen auf, beim immer noch tonangebenden Marktführer .com sind es etwa 130 Millionen.
Klar ist eines: Mit .bayern und .berlin, mit .reise, .club und .yoga wird das Internet thematischer, ein bisschen bunter und teilweise regionaler. Und nachdem es jahrzehntelang vor allem aus Ländergrenzen bestand, wird das Netz endlich zu dem, was es eigentlich schon seit Anfangstagen sein wollte: ein wirklich globales World Wide Web.