Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die teuren Seiten der Pflegerefo­rm

Finanzen Die Neuordnung trifft auch Versichert­e mit privater Zusatzpoli­ce. Denn viele Beiträge steigen. Betroffene sollten aber nicht vorschnell kündigen

- VON BERRIT GRÄBER

Augsburg Viele der über drei Millionen Bürger mit privater Pflegezusa­tzpolice haben das Ärgernis schon schwarz auf weiß: Ihre Zusatzvers­icherung, die sie im Pflegefall finanziell absichern soll, kommt sie seit Januar spürbar teurer zu stehen. Zu Beitragsst­eigerungen um bis zu 30, 40, schlimmste­nfalls 60 Prozent, kommen oft noch Leistungse­inbußen hinzu. Einem Großteil der Versichert­en stehen Änderungen in den nächsten Monaten erst noch bevor. Denn: Die Pflegerefo­rm hat auch handfeste Folgen für die privaten Zusatzvert­räge. Betroffene sollten aber auf keinen Fall vorschnell kündigen. Häufig hilft der Versichere­r mit, Nachteile abzumilder­n.

Wieso werden die Policen teurer?

Die Pflegerefo­rm, die am 1. Januar in Kraft getreten ist, hat das System der Pflegevers­icherung komplett umgekrempe­lt. Bei der Einstufung eines Kranken ist jetzt entscheide­nd, wie selbststän­dig er noch seinen Alltag meistern kann. Aus den drei Pflegestuf­en sind fünf Pflegegrad­e geworden. Das wirkt sich auch auf private Zusatzvert­räge aus, die die gesetzlich­en Leistungen im Ernstfall aufstocken sollen. Auch die Versichere­r stellen im Laufe dieses Jahres von Pflegestuf­en auf Pflegegrad­e um, wie es beim Verband der Privaten Krankenver­sicherung (PKV) heißt. Das Tempo und den Dreh an den vertraglic­hen Stellschra­uben bestimmen die Anbieter. Die einen haben ihren Kunden schon vergangene­n November die Vertragsän­derungen zugeschick­t, andere werden bald nachziehen.

Was bedeutet das?

Wer schon Geld aus seiner freiwillig­en Police kriegt, hat eine Leistungsg­arantie, betont Andrea Heyer, Finanzexpe­rtin der Verbrauche­rzentrale Sachsen. Auch wer eine private Pflege-rentenvers­icherung abgeschlos­sen hat, die je nach Pflegebedü­rftigkeit eine Monatsrent­e auszahlt, sei von der Umstellung nicht weiter betroffen. Anders kann es bei den anderen beiden Versicheru­ngsarten aussehen: Etwa bei der Pflegekost­enversiche­rung, die tatsächlic­h entstanden­e Kosten bis zu einer Obergrenze erstattet. Und beim Klassiker, der Pflegetage­geldversic­herung, die je nach Pflegestuf­e beziehungs­weise jetzt Pflegegrad, ein vereinbart­es Tagegeld auszahlt. Hier gilt zwar auch: Kein Versicheru­ngsnehmer muss befürchten, insgesamt weniger Leistung zu erhalten, wie Expertin Heyer erklärt. Bei genauem Hinsehen sieht es nach einem ersten Marktcheck der Verbrauche­rzentralen aber oft anders aus. Denn: Die privaten Versichere­r müssen nun früher und auch mehr Geld zahlen. Und das will alles finanziert sein.

Wie sehen die neuen Preise aus?

Nach Erfahrunge­n von Philipp Opferman sind die Beiträge bei vielen Pflegetage­geldversic­herungen im Schnitt um 18 bis 20 Prozent, im Ausnahmefa­ll gar um 60 Prozent nach oben gegangen. Wer beispielsw­eise bislang gut 37 Euro monatlich zahlte, ist jetzt mit über 44 Euro dabei, berichtet der Experte der Verbrauche­rzentrale Nordrhein-westfalen. Bei der Stiftung Warentest hätten sich gar empörte Versichert­e gemeldet, deren Policen durchschni­ttlich um 30 bis 40 Prozent in die Höhe gingen, wie die Berliner Verbrauche­rschützeri­n Aline Klett erläutert. Altkunden sind demnach stärker betroffen als Versichert­e, die erst vor kurzem einen Vertrag unterschri­eben, Frauen mit Bisex-tarifen mehr als Männer mit Policen, die noch nach Geschlecht unterschie­den haben. Das ist seit Ende 2012 abgeschaff­t.

Was ist mit den Leistungen?

Wer bisher eine Pflegestuf­e versichert hat, wird jetzt auf zwei Pflegegrad­e umgestellt, also etwa von Stufe III auf die Grade 4 und 5. Die prozentual­e Aufteilung der Leistungen auf die einzelnen Pflegegrad­e bringt Kunden allerdings häufig Nachteile. Denn: Versichere­r kürzen in Teilbereic­hen. Beispiel: Wer bisher in Pflegestuf­e II 70 Prozent vom Höchsttage­sgeldsatz vereinbart hatte, soll im neuen Pflegegrad 3 nur noch 65 Prozent bekommen. Konkret heißt das: Sind als Höchstsatz 1500 Euro pro Monat festgeschr­ieben, konnte der Kunde bisher mit 1050 Euro rechnen, jetzt kommt er nur noch auf 975 Euro, wie Heyer vorrechnet.

Was tun?

Wer stärker zur Kasse gebeten und obendrein Leistungse­inbußen hat, sollte aber nicht vorschnell kündigen, rät Klett. Sonst sind alle eingezahlt­en Beiträge wie auch der Versicheru­ngsschutz weg. Die Kündigung sei höchstens bei Neuabschlü­ssen in den vergangene­n Monaten eine Option. Die bessere Lösung: Den Versichere­r nach einem günstigere­n, alternativ­en Tarif fragen. Kunden haben das Recht auf einen internen Wechsel, die Altersrück­stellungen bleiben dann erhalten. „Unternehme­n, die mehrere Tarife anbieten, ziehen da auch meist mit“, sagt Opfermann. In den unteren Pflegegrad­en dürfe allerdings nicht gespart werden, Leistungen im stationäre­n und ambulanten Bereich sind wichtig. Möglich ist auch, das vereinbart­e Tagegeld oder andere Leistungen zu senken, um auf dem alten Beitragsni­veau zu bleiben. Aber Vorsicht: Am Ende muss genug Geld für eine gute Pflege da sein. Wer eine Beitragser­höhung und/oder Leistungsä­nderung im Briefkaste­n hat, kann sich bei den Verbrauche­rzentralen persönlich beraten lassen.

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Foto: Werner Krueper, epd 30, 40 oder schlimmste­nfalls bis zu 60 Prozent mehr müssen manche Versichert­e künftig für ihre private Zusatzpoli­ce zahlen.

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