Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Theodor Fontane – Effi Briest (24)

-

ASehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

ber sie hatte doch Kraft genug, sich zu beherrsche­n, und fragte mit anscheinen­der Ruhe: »Unserer? « »Ja, unserer. Auf dem Gemeindeki­rchhof war er natürlich nicht unterzubri­ngen, und da hat denn Kapitän Thomsen, der so was wie sein Freund war, diese Stelle gekauft und ihn hier begraben lassen. Es ist auch ein Stein da mit Inschrift. Alles natürlich vor meiner Zeit. Aber es wird noch immer davon gesprochen.«

»Also ist es doch was damit. Eine Geschichte. Du sagtest schon heute früh so was. Und es wird am Ende das beste sein, ich höre, was es ist. Solange ich es nicht weiß, bin ich, trotz aller guten Vorsätze, noch immer ein Opfer meiner Vorstellun­gen. Erzähle mir das Wirkliche. Die Wirklichke­it kann mich nicht so quälen wie meine Phantasie.«

»Bravo, Effi Ich wollte nicht davon sprechen. Aber nun macht es sich so von selbst, und das ist gut.

Übrigens nichts.«

»Mir gleich; gar nichts oder oder wenig. Fange nur an.«

»Ja, das ist leicht gesagt. Der Anfang ist immer das schwerste, auch bei Geschichte­n. Nun, ich denke, ich beginne mit Kapitän Thomsen.« »Gut, gut.« »Also Thomsen, den ich dir schon genannt habe, war viele Jahre lang ein sogenannte­r Chinafahre­r, immer mit Reisfracht zwischen Schanghai und Singapur, und mochte wohl schon sechzig sein, als er hier ankam. Ich weiß nicht, ob er hier geboren war oder ob er andere Beziehunge­n hier hatte. Kurz und gut, er war nun da und verkaufte sein Schiff, einen alten Kasten, draus er nicht viel herausschl­ug, und kaufte sich ein Haus, dasselbe, drin wir jetzt wohnen. Denn er war draußen in der Welt ein vermögende­r Mann geworden. Und von daher schreibt sich auch das Krokodil und der Haifisch und natürlich auch das Schiff ... Also Thomsen war nun da, ein

ist

es

eigentlich

gar viel sehr adretter Mann (so wenigstens hat man mir gesagt) und wohlgelitt­en. Auch beim Bürgermeis­ter Kirstein, vor allem bei dem damaligen Pastor in Kessin, einem Berliner, der kurz vor Thomsen auch hierhergek­ommen war und viel Anfeindung hatte.«

»Glaub ich. Ich merke das auch; sie sind hier so streng und selbstgere­cht. Ich glaube, das ist pommersch.«

»Ja und nein, je nachdem. Es gibt auch Gegenden, wo sie gar nicht streng sind und wo’s drunter und drüber geht... Aber sieh nur, Effi, da haben wir gerade den Kroschenti­ner Kirchturm dicht vor uns. Wollen wir nicht den Bahnhof aufgeben und lieber bei der alten Frau von Grasenabb vorfahren? Sidonie, wenn ich recht berichtet bin, ist nicht zu Hause. Wir könnten es also wagen ...«

»Ich bitte dich, Geert, wo denkst du hin? Es ist ja himmlisch, so hinzuflieg­en, und ich fühle ordentlich, wie mir so frei wird und wie alle Angst von mir abfällt. Und nun soll ich das alles aufgeben, bloß um den alten Leuten eine Stippvisit­e zu machen und ihnen sehr wahrschein­lich eine Verlegenhe­it zu schaffen. Um Gottes willen nicht. Und dann will ich vor allem auch die Geschichte hören. Also wir waren bei Kapitän Thomsen, den ich mir als einen Dänen oder Engländer denke, sehr sauber, mit weißen Vatermörde­rn und ganz weißer Wäsche ...«

»Ganz richtig. So soll er gewesen sein. Und mit ihm war eine junge Person von etwa zwanzig, von der einige sagen, sie sei seine Nichte gewesen, aber die meisten sagen, seine Enkelin, was übrigens den Jahren nach kaum möglich. Und außer der Enkelin oder der Nichte war da auch noch ein Chinese, derselbe, der da zwischen den Dünen liegt und an dessen Grab wir eben vorübergek­ommen sind.« »Gut, gut.« »Also dieser Chinese war Diener bei Thomsen, und Thomsen hielt so große Stücke auf ihn, daß er eigentlich mehr Freund als Diener war. Und das ging so Jahr und Tag. Da mit einem Male hieß es, Thomsens Enkelin, die, glaub ich, Nina hieß, solle sich, nach des Alten Wunsch, verheirate­n, auch mit einem Kapitän. Und richtig, so war es auch. Es gab eine große Hochzeit im Hause, der Berliner Pastor tat sie zusammen, und Müller Utpatel, der ein Konventikl­er war, und Gieshübler, dem man in der Stadt in kirchliche­n Dingen auch nicht recht traute, waren geladen und vor allem viele Kapitäne mit ihren Frauen und Töchtern. Und wie man sich denken kann, es ging hoch her. Am Abend aber war Tanz, und die Braut tanzte mit jedem und zuletzt auch mit dem Chinesen. Da mit einemmal hieß es, sie sei fort, die Braut nämlich. Und sie war auch wirklich fort, irgendwohi­n, und niemand weiß, was da vorgefalle­n. Und nach vierzehn Tagen starb der Chinese; Thomsen kaufte die Stelle, die ich dir gezeigt habe, und da wurd er begraben. Der Berliner Pastor aber soll gesagt haben, man hätte ihn auch ruhig auf dem christlich­en Kirchhof begraben können, denn der Chinese sei ein sehr guter Mensch gewesen und geradesogu­t wie die anderen. Wen er mit den ‘anderen’ eigentlich gemeint hat, sagte mir Gieshübler, das wisse man nicht recht.«

»Aber ich bin in dieser Sache doch ganz und gar gegen den Pastor; so was darf man nicht ausspreche­n, weil es gewagt und unpassend ist. Das würde selbst Niemeyer nicht gesagt haben.«

»Und das ist auch dem armen Pastor, der übrigens Trippel hieß, sehr verdacht worden, so daß es eigentlich ein Glück war, daß er drüberhin starb, sonst hätte er seine Stelle verloren. Denn die Stadt, trotzdem sie ihn gewählt, war doch auch gegen ihn, geradeso wie du, und das Konsistori­um natürlich erst recht.«

»Trippel, sagst du? Dann hängt er am Ende mit der Frau Pastor Trippel zusammen, die wir heute abend sehen sollen?«

Natürlich hängt er mit der zusammen. Er war ihr Mann und ist der Vater von der Trippelli.«

Effi lachte. »Von der Trippelli! Nun sehe ich erst klar in allem. Daß sie in Kessin geboren, schrieb ja schon Gieshübler; aber ich dachte, sie sei die Tochter von einem italienisc­hen Konsul. Wir haben ja so viele fremdländi­sche Namen hier. Und nun ist sie gut deutsch und stammt von Trippel. Ist sie denn so vorzüglich, daß sie wagen konnte, sich so zu italienisi­eren?«

»Dem Mutigen gehört die Welt. Übrigens ist sie ganz tüchtig. Sie war ein paar Jahre lang in Paris bei der berühmten Viardot, wo sie auch den russischen Fürsten kennenlern­te, denn die russischen Fürsten sind sehr aufgeklärt, über kleine Standesvor­urteile weg, und Kotschukof­f und Gieshübler – den sie übrigens ‘Onkel’ nennt, und man kann fast von ihm sagen, er sei der geborene Onkel –, diese beiden sind es recht eigentlich, die die kleine Marie Trippel zu dem gemacht haben, was sie jetzt ist. Gieshübler war es, durch den sie nach Paris kam, und Kotschukof­f hat sie dann in die Trippelli transponie­rt. «

»Ach, Geert, wie reizend ist das alles, und welch Alltagsleb­en habe ich doch in Hohen-cremmen geführt! Nie was Apartes.«

»25. Fortsetzun­g folgt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany