Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Hans und Hanna suchen das Glück
Uraufführung „Eine einzige Nacht“von Sebastian Seidel lotet die Grenzen zwischen jugendlicher Romantik und Selbstzerstörung aus
Tief steigt „Eine einzige Nacht“in das Lebensgefühl zweier 17-Jähriger ein. Beide suchen das Glück. Doch aus den Erfahrungen und Traumata gibt es kaum ein Entrinnen. Das Setting: Eine Kneipe. Sie (Lisa Fertner) sitzt allein am Tresen. Er (Serzan Celik) poltert, gibt den Gangsta, schmeißt mit Bierflaschen und hämmert auf einen Barhocker ein: „Ey, so habe ich auf ihn eingedroschen. Weil, er hat mich gefragt, woher kommst du.“
Die Katastrophe. Er hat jemanden zusammengeschlagen, vielleicht sogar getötet. Doch auch in ihr brodeln die Gefühle. Ein anständiges Mädchen sei sie, sagt sie. Nicht wie die ehemalige Freundin, die aufgetakelt durch die Bars zieht. Ihr Bruder passe auf sie auf, das sei gut.
„Eine einzige Nacht“(Autor: Sebastian Seidel) lotet bedrohlich, berührend und intensiv die große Frage der Jugend aus: Wie will ich leben? Welche Chancen habe ich? Die Uraufführung des 70-minütigen Zweipersonen-stückes ist ausverkauft. Regisseurin Gianna Formicone machte den Barbereich des Sensemble Theaters zur Bühne, das Publikum nimmt vorm Tresen Platz und ist nah dran an den Gefühlseruptionen von Hanna und dem offenbar türkischstämmigen Jungen, der sich Hans nennt.
Mal manisch-euphorisch, mal zutiefst verzweifelt, jeweils gefangen in ihrer Herkunft und Vergangenheit, nähern sich beide an. Sie sind ein ungleiches Paar. Er gibt den coolen Ghetto-typen, fläzt breitbeinig auf dem Hocker. Sie ist harmoniebedürftig, bringt ihn zum Reden, über seine Mutter, den „Putzlappen“, und seinen Vater, den er nicht kennt. Doch auch sie ist auf der Suche, fühlt sich unverstanden, verlassen. Autoaggressiv und beinah angezogen von seiner Gewalt, provoziert sie ihn, nimmt ihn trotzdem mit in ihr Schlafzimmer.
Ortswechsel zum Theatersaal. Die beiden wollen abhauen, nach Berlin, ein neues Leben anfangen. Doch bei Tageslicht, nach dieser Nacht, macht Hanna einen Rückzieher. Ihre Abhängigkeit von ihrer Familie, vor allem ihrem Bruder, blockiert sie. Hans drängt, bis ihr Trauma aus ihr herausbricht. Für sie ist ihr Verhältnis zu Hans eine Fortsetzung des Verbrechens, dessen Opfer sie seit ihrer Kindheit ist.
Das Stück ist mutig, körperbetont und überzeugend milieutypisch geschriebenes und inszeniertes Theater. Mit Lisa Ferner und Serzan Celik engagierte das Sensemble zwei Schauspieler, die das Romantische wie auch das Selbstzerstörerische ihrer Figuren in allen Nuancen beherrschen. Vor allem Celiks perfekter Ghetto-gangsta-style macht jenes benachteiligte, junge Deutschland erfahrbar, das sich vom Rest abgehängt und gedemütigt fühlt.
Weitere Aufführungen am 17., 18., 24., 25. Februar sowie am 24., 25. März und am 1., 7., 8. April jeweils um 20.30 Uhr im Sensemble Theater