Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die traurige Denis Scheck Show
Literatur Was macht gute Bücher aus? Und was schlechte? Der Fernseh-kritiker gibt Antworten auf der Bühne
Da ist diese Firma, Hulesch & Quenzel, Fachgebiet: schlechte, enttäuschende Produkte. Wie Schuhe etwa, die bei der Anprobe perfekt passen, ab dem zweiten Mal Tragen nach dem Kauf aber immer irgendwo drücken. Oder Elektrogeräte, die direkt nach Ablauf der Garantie den Geist aufgeben. Wer anfängt, darüber nachzudenken, wird schnell feststellen, wie viele Produkte, auf denen eigentlich andere Namen stehen, letztlich von dieser Firma stammen: Hulesch & Quenzel …
Denis Scheck liebt so was. Ideen, die den Blick auf Welt und Wirklichkeit verschieben und erweitern. Wie die von Hulesch & Quenzel eben, die aus Heimito von Doderers Roman „Die Merowinger“stammt. „Das macht gute Bücher aus“, schwärmt der Literaturkritiker, dem Fernsehzuschauer doch eigentlich am liebsten dabei zusehen, wie er Titel von der Bestsellerliste im
„Druckfrisch“mit Verve in die Tonne haut. In seiner 90-minütigen Bühnenshow wie am Freitagabend im Parktheater Göggingen aber wirbt der 52-jährige Stuttgarter vor allem für gute Bücher. Mit Sätzen, die das Glück des Lesens fassen: mehr als tausend Leben leben können, ohne mehr als den einen Tod sterben zu müssen. Mit viel Witz, hoher Wortfrequenz, mächtigem Werkpensum – bloß mit nicht mal 50 Zuschauern im riesigen Saal, ein bisschen traurig also.
Am witzigsten ist Scheck dennoch bei seinen Verrissen, die er aus dem heimischen „Doofelregal“mitgebracht hat und mit denen er auch diesen Abend beginnt. Er liest aus Oliver Kahns Biografie-bestseller: „Die Trennung von meiner Frau hatte nichts mit ihrer Person zu tun.“Er bezeichnet Krimi-knüller Sebastian Fitzek als „Ground Zero der deutschen Unterhaltungsliteratur“. Er fragt, wie es sein kann, dass derselbe Qualitätsverlag, in dem einst Vladimir Nabokovs „Lolita“erschien, jetzt mit Alissa Nuttings „Tampa“dessen blöde psychopornöse Umkehrung ins Frau-knabeschema veröffentlicht hat.
Und Denis Scheck macht sich lustvoll über die Wahl von Bob Dylan zum Literatur-nobelpreisträger und von Bodo Kirchhoffs „Widerfahrnis“als bester deutschsprachiger Roman des vergangenen Jahres lustig. Aber dann geht’s endlich und noch lustvoller zu all dem Schönen, Wahren, Guten, das er aus jährlich 90 000 allein in Deutschland erscheinenden Büchern herausliest …
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