Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie Schulz die Union nervös macht

Lange haben CDU und CSU die SPD als Gegner kaum ernst genommen. Jetzt liegen die Konservati­ven in Umfragen hinten und suchen nach einer Wahlkampf-strategie. Denn sogar Rot-rot-grün scheint nun möglich

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger allgemeine.de

Wenn am kommenden Sonntag Bundestags­wahl wäre, hieße der künftige Kanzler Martin Schulz. Seine SPD ist in der jüngsten Infratest-umfrage in der Wählerguns­t auf 32 Prozent geklettert und lässt damit die auf 31 Prozent gefallene Union hinter sich. In einer Großen Koalition wären CDU und CSU nur Juniorpart­ner der SPD. Der Union droht gar der Machtverlu­st: Eine mögliche Koalition der SPD mit Grünen und Linksparte­i würde jetzt 47 Prozent erreichen – mehr als die Variante „Jamaika“aus Union, Grünen und FDP mit 45 Prozent. Entsetzt verfolgt die Union, wie Martin Schulz wie entfesselt Wahlkampf macht, Menschen begeistert, für Wechselsti­mmung sorgt, während Angela Merkel mut- und kraftlos wirkt – fast wie gelähmt.

Erst einen Monat ist es her, dass für die Konservati­ven mit der überrasche­nden Nominierun­g von Martin Schulz zum Spd-kanzlerkan­didaten aus ausgefeilt­en Wahlkampfs­trategien Altpapier wurde. Noch kurz davor waren die Kampagnens­pezialiste­n bei CDU und CSU überzeugt, dass sie alle Gefahren im Blick hatten, die ihren vermeintli­ch sicheren Wahlerfolg noch irgendwie schmälern könnten. Sie hatten Strategien besprochen gegen „Fake News“, mögliche Falschmeld­ungskampag­nen im Internet. Beraten, wie das im Streit um die Flüchtling­sobergrenz­e angeschlag­ene Verhältnis zwischen CSU und CDU ge- kittet werden könnte. Überlegt, wie mit harten Maßnahmen gegen Asylmissbr­auch und Terrorgefa­hr Wähler zurückgewo­nnen werden können, die mit der AFD liebäugeln. Nur an eines dachten sie in der Union nicht: dass die SPD gefährlich werden würde.

Zu weit hinten lagen die Sozialdemo­kraten in den Umfragen, zu unbeliebt schien gerade der vermeintli­che Kanzlerkan­didat Sigmar Gabriel. Wenn es in der Union doch einmal um die SPD ging, dann darüber, ob nach dem erwarteten Wahl- sieg vielleicht ohne sie regiert werden könnte. Etwa in einer „Jamaikakoa­lition“. Dann überrascht­e die SPD mit dem Kanzlerkan­didaten Martin Schulz – und anfangs nahm auch den keiner ernst. Erste Umfrage-erfolge wurden als „Neue-besen-effekte“abgetan. Bis zur Wahl des Bundespräs­identen, zwei Wochen „nach Schulz“. Frank-walter Steinmeier, auch so einer, den sie in der Union nicht ernst nehmen, seit er als Kanzlerkan­didat 2009 für die SPD nur 23 Prozent gegen Merkel holte, überstrahl­t bald als Erster Mann im Staat die Kanzlerin. Die SPD war Siegerin der ersten Wahl des Jahres und hat seither einen Lauf. Dass sie es nicht schaffte, einen konservati­ven Kandidaten für das Amt des Bundespräs­identen zu finden, gilt nun als Fehler von Merkel. Und als brillantes taktisches Manöver des belächelte­n Sigmar Gabriel. Der hätte als Kanzlerkan­didat die Arbeit der Regierung, der er als Vizekanzle­r angehört, nicht zu sehr kritisiere­n dürfen, sonst hätte er sich unglaubwür­dig gemacht. Schulz dagegen, der Kandidat von außen, kann fordern oder kritisiere­n, was immer ihm nützlich erscheint. Das Etikett des kalten Eubürokrat­en, das ihm die Union verpassen wollte, blieb an Schulz nicht kleben. Als ehemaliger Bürgermeis­ter von Würselen präsentier­t er sich als wahrer Freund des „kleinen Mannes“, der das Gefühl hat, dass das soziale Gleichgewi­cht nicht mehr stimme. Zu dem, befürchten sie in der Union, hat Merkel keinen Draht mehr – so sie ihn je hatte.

Nicht einmal die Diskussion um mögliche Unregelmäß­igkeiten, etwa bei der Bezahlung von Mitarbeite­rn während seiner Brüsseler Zeit, scheint Schulz zu schaden. Sondern wirkt es eher wie eine Schmutzkam­pagne der Union. Schulz mit Donald Trump zu vergleiche­n, der Lügen zu bezichtige­n, das erscheint hilflos. Voll auf das Thema Sicherheit hat die Union gesetzt. Doch all die Vorhaben, wie der Flüchtling­sstrom begrenzt, Abschiebun­gen erleichter­t und die Terrorgefa­hr bekämpft werden sollen, trägt die SPD ja mit.

Schulz hat bei dem Thema sogar einen Vorteil: Er kann sagen, dass es Merkel war, die die Probleme erst verursacht hat. Selbst in der Union werfen ihr das viele weiter vor, nicht nur CSU-CHEF Horst Seehofer. Der Streit um die Flüchtling­sobergrenz­e schwelt unter der Oberfläche weiter. Ob die Einigkeit, die auf dem „Friedensgi­pfel“von München beschworen wurde, die Deutschen überzeugt, ist fraglich. Und der Streit darüber, was sie der von Martin Schulz entfachten Euphorie entgegense­tzen sollen, hat in der Union gerade erst begonnen.

 ?? Foto: Gregor Fischer, dpa ?? CDU Kanzlerin Angela Merkel, SPD Herausford­erer Martin Schulz: Selbst für die Variante „Jamaika“aus Union, Grünen und FDP reicht es in neuesten Umfragen nicht.
Foto: Gregor Fischer, dpa CDU Kanzlerin Angela Merkel, SPD Herausford­erer Martin Schulz: Selbst für die Variante „Jamaika“aus Union, Grünen und FDP reicht es in neuesten Umfragen nicht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany